Nach einer bereits vor zwei Jahren beschlossenen und im Juli durchgeführten Einwohnerversammlung, Einträgen im Beteiligungsportal Maerker Plus sowie einer vom Investor beauftragten Umfrage durch das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatten die Stadtverordneten am 23. August erstmals darüber beraten, wie sie mit den Ergebnissen nun umgehen möchten. In der Sitzung wurde festgehalten, welche offenen Fragen in welchen Fachausschüssen diskutiert werden sollen – dies wird nun im aktuellen Sitzungslauf abgearbeitet.
Zu den Diskussionspunkten gehörte u.a. die Frage, welchen Verfahrensstand das Projekt hat und welche vertraglichen Vereinbarungen bereits bindend sind. Dazu gab es in der Einwohnerfragestunde auch eine Wortmeldung von Christine Stüber-Errath. Im Verlauf der Sitzung erfolgten jedoch keine Antworten. Frank Vulpius (Fraktion Bürger für Wildau / Grüne) fragte, ob die Entscheidung zum Bebauungsprojekt aktuell nicht die falsche sei und ob nicht erst geklärt werden müsse, inwiefern die Sanierung des kontaminierten Geländes aus eigener Kraft erfolgen könne. Betont wurde, u.a. von Thomas Wilde (SPD), dass die bevorstehende Aufstellung eines Bebauungsplans ergebnisoffen erfolgen solle und alle Fragen beantworten müsse.
Heinz Hillebrand (Die Linke) und Martin Stock (CDU) arbeiteten sich an der Frage ab, wo und wie „Volkes Stimme“ zu vernehmen sei. Ein Bürgerentscheid über die Bebauung des Dahme Nordufers ist nach Paragraf 15, Absatz (5) Satz 9 der Brandenburgischen Kommunalverfassung ausgeschlossen. Martin Stock sagte, aus seiner Sicht unterscheide sich das Bild aus der Forsa-Umfrage einerseits von dem aus der Einwohner-Versammlung sowie den MaerkerPlus-Einträgen andererseits. Die Stadtverordneten hätten dies – auch „im Respekt vor dem Projektträger“ – nun zu bewerten. Heinz Hillebrand erwiderte, dass sich jeder Stadtverordnete nun ausführlich mit dem Projekt beschäftigt habe und eine Entscheidung „im Interesse der Stadt, die die Meinung der Bürger berücksichtigt,“ zu treffen sei. Er sah die Einwohnerversammlung (die „von den Projektgegnern gut vorbereitet“ gewesen sei), die Forsa-Umfrage und MaerkerPlus-Einträge als gleichwertige Formen an, um festzustellen, „wie Bürger denken“.
Zum Ende der Diskussion stellte Manfred Sternagel (SPD) fest, dass auch Überlegungen zu Alternativen zur Wohnbebauung möglich sein müssten. Er verwies auf den Vorschlag von Gerhard Janßen, Chef der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Dahme-Spreewald (WFG), dass sich dort auch weitere Technologiefirmen ansiedeln könnten. „Die Idee stand in der Diskussion, lange bevor die Wohnbebauung ins Gespräch kam“, bestätigte Gerhard Janßen gegenüber Wokreisel – sie stamme ursprünglich vom früheren Wildauer Bürgermeister Uwe Malich. Die WFG sei zuständig für die Nachnutzung der Schwermaschinenbaugebäude in Wildau – dort haben sich Gründerzentren und Technologiefirmen angesiedelt. „Die dortige Entwicklung hat ein absehbares Ende, daher muss die Gemeinde sich überlegen, ob sie das fortsetzen möchte“, erklärte er. Technologie- und Hightech-Firmen würden jedoch nicht ständig vor der Tür stehen – da brauche es eine passende Gelegenheit und den Rückhalt in der Kommune, etwas entwickeln zu wollen und dann auch Grundstücke parat zu haben. Umgekehrt würde das bedeuten, solche Grundstücke auch mal eine gewisse Zeit liegen zu lassen, bis der „lucky punch“, der glückliche Treffer, gelinge. Er würde es begrüßen, sagte Gerhard Janßen, wenn die Bereitschaft in der Kommune dazu da wäre, denn: „Die Wahrscheinlichkeit, dass sich da im Umfeld des Flughafens BER etwas tut, hat sich erhöht.“
Bleibt die Frage, bis wann die kontaminierte Fläche saniert werden muss. Hierzu nannte der Landkreis Dahme-Spreewald auf Wokreisel-Anfrage keinen Termin. Die Sanierungspflicht betreffe die Grundstückseigentümerin, die Wildauer Wohnungsbaugesellschaft (Wiwo). „Der vorliegende Sanierungsplan ist auf die städtebauliche Konfiguration des Investors Bauwert abgestimmt“, heißt es weiter. „Hierdurch werden Synergieeffekte erreicht, da einzelne Elemente der angedachten Bebauung als Sicherungselemente fungieren.“ Der Investor Bauwert möchte dort, wo sich Straßen und Plätze befinden, die Kontamination verkapseln statt sie zu entsorgen, um so die Kosten gering zu halten. Sollten die bestehenden Planungen geändert oder gänzlich verworfen werden, würde eine Überarbeitung oder Neuaufstellung des Sanierungsplanes erforderlich sein – mit entsprechendem Zeitaufwand. Möglichkeiten der Sanierung gebe es viele, jedoch sei „mit der Anlage einer Grünfläche ein erheblich höherer Sanierungsaufwand verbunden“ – der Grund dafür „sind fehlende Synergien aus der für die Sanierung zu berücksichtigenden Bebauung“, teilt der Landkreis mit.
Vor diesem Hintergrund muss der neue Bürgermeister ab 19. September einen Meinungsbildungsprozess moderieren, der den Aufstellungsbeschluss vom 30. April 2019 umsetzt. In diesem hatten die Stadtverordneten vor nunmehr über drei Jahren ihren Willen zur Aufstellung eines Bebauungsplans festgehalten. Der Vorentwurf, der üblicherweise in einen Billigungs- und Offenlegungsbeschluss mündet, also jenen Teil des Verfahrens, in dem die Stadtverordneten den Vorentwurf billigen und diesen der Öffentlichkeit zugänglich machen, hat die Stadtverordnetenversammlung dann nicht mehr passiert.
Doch vor allem die Verwaltung brauche Planungssicherheit, sagte Marc Anders, kommissarischer Bürgermeister, zum Abschluss der Diskussion am 23. August. „Wir müssen nach Recht und Gesetz handeln, deshalb warten wir auf Ihre Zuarbeit“, sagte er und verwies darauf, dass das Rathaus, gemessen an der Einwohnerzahl, unterbesetzt sein. „Wir wollen unsere Leistungsträger nicht verheizen, und wir können mit den Gehältern in Berlin oder beim Landkreis nicht mithalten“, appellierte er an die Stadtverordneten. Bleibt die Frage für den neuen Bürgermeister, was seine erste Amtshandlung in Bezug auf den Entscheidungsprozess zum Projekt Dahme-Nordufer sein wird und in welche Richtung sich der Prozess seiner Ansicht nach entwickeln werde.
Frank Nerlich:
Das Dahme-Nordufer ist aus meiner Sicht kein prioritäres Projekt. Ich bin der Meinung, dass es gezielt immer wieder in den Wahlkampf eingespielt wurde. Wir haben nach meinem Kenntnisstand einen Verkaufswert des Grundstücks von zehn Millionen Euro. Die Sanierungskosten sollen acht bis neun Millionen betragen, wenn die Kontamination zum Teil verkapselt wird. Die vollständigen Sanierungskosten, so ist mir bekannt, würden zirka 24 Millionen Euro betragen. Enno von Essen [Bürgermeisterkandidat der SPD in der Hauptwahl – d.Red.] geht davon aus, dass der Grundstückswert nach der jetzigen Marktlage etwa bei hundert Millionen liegen könnte. Da kann man jetzt vielleicht 20 Millionen abziehen oder draufpacken, aber so als Kalkulationsgröße ist das erst mal ganz passabel. Wenn man dann noch rechnet, dass Wohnungen in Berlin, in dieser Lage, für 8.500 bis 10.000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche angeboten werden und wir von mehreren hundert Wohnungen sprechen, bleibt nach Abzug der Baukosten wahrscheinlich eine dreistellige Millionensumme als Reingewinn übrig. Das ist natürlich äußerst bedenklich.
Wir haben hier ein Grundstück im Berliner Umland, was so kaum noch zu finden ist. Ich würde deshalb nicht für die Fortführung der bisherigen Verträge plädieren, also das werde ich unter allen Umständen verhindern. Alle Optionen müssen nochmal abgewogen werden. Es muss natürlich mit dem bisherigen Investor Bauwert gesprochen werden, aber auch darüber hinaus. Es gibt ja auch Bundesbehörden, es gibt große Firmen, die nach Flächen suchen. Das alles muss auf den Tisch, um zu entscheiden, wie dort weiter verfahren werden kann. Ich spreche mich also nicht gegen eine Bebauung komplett aus. Aber ich habe ein Riesenproblem damit, dass wir quasi über den Tisch gezogen werden sollten, wenn man sich das mal ansieht.
Man könnte das Grundstück auch verpachten. Man könnte selber sanieren, was wir wahrscheinlich sogar machen müssen. Wir werden irgendwann in diesen Sanierungszwang kommen. Und dann könnte man es für ein gutes Geld weiterverkaufen oder selbst bebauen. Das muss man alles prüfen. Und von diesem Geld, das sage ich als jetziger Vorsitzender des Bildungs- und Sozialausschusses – da tränt mir das Auge, könnten wir eine Schule bezahlen oder zwei, wir könnten die Kita bezahlen, wir können alles Mögliche damit bezahlen. Wir müssen uns nicht total verschulden.
Also wer diesen jetzigen Deal eingeht, der geht sehenden Auges mit der Stadt absolut verantwortungslos um. Deshalb sage ich auch ganz offen: Es wurde eine auffällige Öffentlichkeitsarbeit durch den Projektträger dazu betrieben, gerade so, als ob das sehr lohnend sein dürfte.
László Ungvári:
Diese Frage sollte besser Herr Sven Schulze als Chef der Wildauer Wohnungsbaugesellschaft (Wiwo) beantworten. Er ist seit Monaten mit der Bauwert AG in Verhandlungen, wie er auch öffentlich bestätigt hat. Über den Stand der Dinge hat Herr Schulze bisher keine Auskunft gegeben. Im Übrigen entscheiden die Stadtverordneten bzw. die Stadtverordnetenversammlung über das Projekt.
Ich werde mir natürlich ein intensives Bild darüber machen, was zwischen September 2020 und November 2020 geschehen ist. Damals gab es zu dem Projekt seitens der Stadt und der Wiwo zunächst eine klare und breite Zustimmung, dann wurde das Projekt zurückgestellt und wird nun heute von denselben Personen bekämpft. Es sollte eine transparente Aufklärung erfolgen. Immerhin liegt hier auch ein erhebliches finanzielles Risiko für die Stadt, welches wir uns nicht leisten können.