Der Bus zur Schule und zur Party, Schulessen, Digitalisierung, Fachkräfte und Integration: Zu diesen Themen haben Luckauer Gymnasiasten Kandidierende für den Landtag befragt. Es gab vor allem Problembeschreibungen – und einige Lösungen.
Von Dörthe Ziemer
Welche Fragen des Schüleralltags liegen in der Landespolitik begründet? Wie moderiert man eine Gesprächsrunde, die alle Teilnehmenden gleichwertig zu Wort kommen lassen soll, aber auch Kontroversen sichtbar machen will? – Diese Fragen haben sich die Schülerinnen und Schüler der zehnten Klassen zusammen mit ihrer Politik-Lehrerin Marianne Kranisch gut überlegt und schließlich ein klassisches Podiumsformat organisiert. Wokreisel unterstützte sie dabei und stellte den Kontakt zu den Kandidierenden her. Aus der Schülerschaft moderierten Maria und Gregor den Vormittag. Dabei achteten sie strikt darauf, welche Politikbereiche in der Zuständigkeit des Landtages liegen und welche nicht. Die Herausforderung, als Moderationsduo einerseits neutral allen Kandidierenden gegenüber zu sein und andererseits kritisch nachzuhaken, lösten sie durch eine klare Rollenverteilung: Maria stellte die Fragen und Gregor klinkte sich immer wieder mit Verweis auf Schüler-Erfahrungen, Statistiken und mehr ein.
Eingeladen waren die schon jetzt feststehenden Direktkandidaten und die eine Kandidatin im Wahlkreis 28: Pascal Merkes (Linke), Nadine Graßmel (SPD), Benjamin Raschke (Bündnis 90/Grüne), Kersten Haase (BVB/Freie Wähler) und Kay Drews (CDU). Die FDP hat noch keinen Kandidaten nominiert, und unbekannt ist, ob das Bündnis Sarah Wagenknecht im Wahlkreis 28 jemanden ins Rennen schickt. Von der Listenvereinigung Plus Brandenburg war Thomas Löb anwesend. Er kandidiert eigentlich im Wahlkreis 31 rund um Erkner und vertrat den beruflich verhinderten Antony Jonneck, der zudem noch Unterstützerunterschriften sammeln muss, um zur Wahl zugelassen zu werden. Zu Plus Brandenburg gehören die Parteien Volt, Piraten und Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP).
Die AfD war auf Bitten der Schule angefragt worden, einen Vertreter für ihren Direktkandidaten Hans-Christoph Berndt zu schicken. Nach einer früheren Gesprächsrunde in der Schule hatte er mit einem Facebook-Posting den Eindruck erweckt, allein an der Schule gewesen zu sein, obwohl mehrere Kandidaten anwesend waren. Außerdem hat es nach Wokreisel-Informationen Schwierigkeiten mit Bildrechten der Schüler gegeben. Der Kreisverband der AfD teilte mit, dass die Bitte nach Ersatz als Diskriminierung empfunden werde – sowohl für den Direktkandidaten als auch für die Partei. Gregor wies in seiner Moderation auf diesen Umstand hin, dass die AfD eingeladen, aber nicht erschienen war. „Danke für diese Klarstellung“, kommentierte Benjamin Raschke. „Die Lüge, dass die AfD hier ausgegrenzt werde, wird auch im Landtag verbreitet.“
Rufbus und 50:50-Taxi – Lösungen im ÖPNV
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde der Kandidierenden, von denen Nadine Graßmel (Luckau), Kay Drews (Golßen) und Benjamin Raschke (Schönwalde) in nächster Umgebung leben, ging es beim Thema Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) mit mehreren Fragen zur Sache. „Wir feiern gern auf dem Schlossberg. Aber wie kommen wir aus den umliegenden Orten um samstags um 22 Uhr dorthin?“, wollte Marie wissen. Kay Drews hält das bestehende 50:50-Angebot, bei dem Jugendliche Taxis zum halben Preis bestellen können, für eine gute Lösung. Aus Golßen fahre neuerdings ein Rufbus, der bis abends unterwegs sei, ergänzte er. Kersten Haase verwies als möglichen Lösungsansatz auf den Dalli-Bus rund um Storkow, der auf Abruf mit flexiblen Zeiten, aber festen Haltepunkten unterwegs sei. Rückzu müsste man Kleinbusse organisieren, die die Jugendlichen nach Hause bringen. Thomas Löb nahm das Stichwort Kleinbusse auf und schlug vor, dass eine Landesweite Verkehrsgesellschaft für bessere Konditionen und auch bessere Löhne für Busfahrer im ganzen Land sorgen müsse.
Die Kandidierenden im Wahlkreis 28, v.l.n.r.: Pascal Merkes (Linke), Nadine Graßmel (SPD), Benjamin Raschke (Bündnis 90/Grüne), Thomas Löb (Plus Brandenburg, WK 31), Kersten Haase (BVB/Freie Wähler) und Kay Drews (CDU).
Foto: Dörthe Ziemer
Benjamin Raschke, der einzige aktive Landtagsabgeordnete in der Runde, berichtete von neuen Regelungen, durch die Busse und Bahnen besser aufeinander abgestimmt sein müssen. Künftig solle tagsüber jeder Ort stündlich mit dem Öffentlichen Personennahverkehr erreichbar sein, etwa durch Rufbusse. Dabei seien nicht die Kosten in Höhe von 38 Millionen Euro das Problem, sondern die fehlenden Menschen, die die Busse fahren sollen. Für Rufbusse müsse es gute digitale Bestellsysteme geben, forderte Pascal Merkes. Er sei außerdem ein Fan von Mitfahrbänken, bei denen sich mehrere Leute zusammen zu einer Fahrt verabreden könnten.
Gregor gab den Anwesenden mit auf den Weg, dass ein Schülerticket in Kombination mit dem 49-Euro-Ticket eine gute Sache wäre, um auch nach Schulschluss bzw. für Schüler ohne Anspruch auf Schülerbeförderung den ÖPNV nutzbar zu machen. Darauf ging Thomas Löb direkt ein und verwies auf den Landkreis Oberhavel, wo die Piraten ein 9-Euro-Ticket für Schüler angeregt hatten. Etwas ähnliches habe der Landkreis Dahme-Spreewald kürzlich beschlossen, informierte Benjamin Raschke. Dort hatten die Grünen vorgeschlagen, allen Schülern einen Anspruch auf ein einfaches Ticket zu gewähren, auch wenn sie nah an der Schule wohnen. Damit wiederum können sie monatlich das Freizeitticket für 16 Euro erwerben und nach Schulschluss sowie am Wochenende im ganzen Land Brandenburg unterwegs sein.
Whiteboards überall – und nun?
Weniger lösungsorientiert fielen die Antworten bei der Frage nach der Digitalisierung an Schulen aus. „Alle Räume sind mit Whiteboards ausgestattet – was soll als nächstes kommen?“, fragte Marie. Es sei zwar gut, ergänzte Gregor, wenn Millionen für Digitalisierung ausgegeben werden, aber oft seien beispielsweise Whiteboards nicht entsprechend eingerichtet oder die Lehrer nicht ausreichend dafür ausgebildet. Die Kandidierenden verwiesen jeweils auf fehlende Netzabdeckung, auf zu wenige Mitarbeiter für Einrichtung und Wartung von Geräten, und darauf, dass bei der Ausstattung niemand zurückgelassen werden dürfe. Zu bedenken seien aber auch die hohen Kosten, wenn alle Schüler mit Geräten ausgestattet werden, die nach zwei Jahren schon wieder veraltet sind.
Leckeres Schulessen = mehr Esser?
Beim Thema Schulessen ging es etwas kontroverser zu. Maria berichtete vom Schulessen am Gymnasium, das vielen nicht schmecke. Gregor ergänzte: „Von rund 500 Schülern nehmen nur 80 am Schulessen teil. Es wären mehr, wenn es besser schmecken würde.“ Warum also gebe es kein kostenloses Schulessen, lautete die Frage: So würden Ungleichheiten aufgelöst und eine gesunde Ernährung aller Schüler gewährleistet. Pascal Merkes verwies auf die Volksinitiative, die Die Linke gestartet hat. Zunächst gehe es um kostenloses Essen für die Grundschule, das solle aber nur der Startpunkt sein. „Gesunde Ernährung treibt uns Eltern um“, sagte Nadine Graßmel, selbst Mutter dreier Söhne. „Das kollidiert aber manchmal mit dem, was Kinder gern essen“, ergänzte sie. Schulessen für alle würde auch mehr Platzbedarf an den Schulen bedeuten.
Benjamin Raschke erklärte, warum er eine soziale Staffelung der Kosten fürs Schulessen bevorzuge: „Ich verdiene deutlich mehr als meine Nachbarin, ich zahle das gern“, sagte er. Priorität habe für die Grünen, dass das Schulessen besser werde: Es müsse schmecken und aus der Region kommen. Thomas Löb schlug vor, das Thema ganzheitlicher zu betrachten: Man könne es in den Schulalltag integrieren – Schulgärten, Physik, Chemie, Praktika durchführen, Essen selbst herstellen. „Das würde mehr Verständnis für die Umwelt erzeugen und macht auch noch Spaß.“
Kersten Haase sprach sich für kostenloses Schulessen von Klasse 1 bis 13 aus. Warum es nicht schmecke, dafür gebe es eine Erklärung: „Für drei Euro können die Catering-Firmen kaum etwas bieten.“ Außerdem seien Geschmäcker unterschiedlich. „Zu meiner Zeit“, begann Kay Drews sein Statement – eine Floskel, die nicht nur einmal an diesem Vormittag fiel. Zu seiner Schulzeit also sei noch in der Schule gekocht worden, sagte er. Auch er sprach sich für eine soziale Staffelung bei den Kosten aus. Gregor schließlich sagte, er hoffe, dass bei der nächsten Ausschreibung ein anderer Caterer ausgewählt werde.
Wo kommen die Fachkräfte her?
Beim Thema Fachkräftemangel und Wirtschaft gab es wiederum einige Problembeschreibungen, aber wenig Lösungsvorschläge. Was die Kandidierenden gegen Fachkräftemangel unternehmen und welche Wirtschaftsbereiche sie besonders fördern wollen, fragte Marie. Wenn man, wie Brandenburg vor fünf Jahren, 5.000 Lehrer einstellen wolle und 6.000 in Rente gingen, dann stimme in der Rechnung etwas nicht, sagte Kersten Haase. Lehrern, die mit Eintritt ins Rentenalter noch weiterarbeiten wollen, dürfe die Rente nicht gekürzt werden, forderte er. Viele Kandidierende nannten fehlende Wohnungen als Problem, was man, so Thomas Löb, über Dienstwohnungen lösen könne. „Da müssen auch die Firmen umdenken“, sagte er.
Die Aula des Bohnstedt-Gymnasiums war mit Zehntklässlern, die im September wählen dürfen, gut gefüllt. Foto: Dörthe Ziemer
Dass es den Mangel geben würde, habe man schon vor 35 Jahren gewusst, sagte Kay Drews. Pascal Merkes erinnerte jedoch daran, dass dies die Wendezeit war, die dem Osten zunächst eine hohe Arbeitslosigkeit, auch bei Jugendlichen, beschert hatte. Damals sei es schwierig gewesen, gute Tarifverträge auszuhandeln. „Heute gibt es gute Bedingungen für Arbeitnehmer“, stellte er fest und forderte, Großfirmen wie Tesla nicht die Verhandlungsmacht zu überlassen. Nadine Graßmel erinnerte sich an ihre Zeit des Studiums der Sozialpädagogik. „Ihr werdet doch alle Taxifahrer“, habe man damals zu ihr gesagt. „Heute habt ihr alle Möglichkeiten, das zu werden, was ihr wollt“, wandte sie sich an das Publikum.
Benjamin Raschke warnte davor, sich mit Arbeitskräften und -plätzen in der Lausitz selbst zu kannibalisieren: „Automechaniker ins Bahnwerk – das ist momentan der Fehler“, sagte er. Vielmehr müsse man eine gute Infrastruktur schaffen, damit Leute herkommen. Auch Ökostrom sei entscheidend, um gute Arbeitsplätze zu schaffen. Wichtig sei zudem, ob man ein „hässliches“ oder „freundliches“ Gesicht nach außen zeige, wenn man Fachkräfte aus Indien und anderswo herhole. Kay Drews forderte mehr Zuwanderung von Fachkräften. Dies müsse jedoch über das Einwanderungsrecht, nicht das Asylrecht geregelt werden.
Verantwortung für Migrationsgründe - wie gelingt Integration?
Damit leitete Gregor zur letzten Frage über: der Asylpolitik. Er betonte, dass er nicht nach dem Ob des Asyls frage, denn das sei Bundes- und Europapolitik, sondern nach dem Wie der Integration. Dem schloss sich gleich eine Nachfrage aus dem Publikum an: Ein Mädchen wollte wissen, wie die Parteien und Wählergruppen zu Menschen stünden, die in Deutschland kein Asyl suchen, sondern hier arbeiten und sich ein gutes Leben aufbauen möchten. Alle sechs Kandidierenden waren sich einig, dass solche Menschen willkommen seien. Beim Thema Sprachkurse, Anerkennung von Abschlüssen, Kontaktvermittlung zu den Betrieben und ähnliches müsste es schneller vorangehen in den Behörden, forderten sie.
Gruppenbild mit Dame: Ähnliche Fotos haben einige der Kandidierenden in ihren Social-Media-Kanälen gepostet
v.l.n.r.: Pascal Merkes (Linke), Kersten Haase (BVB/Freie Wähler), Thomas Löb (Plus Brandenburg), Benjamin Raschke (Bündnis 90/Grüne), Nadine Graßmel (SPD), Kay Drews (CDU). Foto: Dörthe Ziemer
„Wir tragen auch Verantwortung daran, wie es Menschen in anderen Ländern geht“, sagte Kay Drews, und Benjamin Raschke ergänzte mit Blick auf den Klimawandel: „Wir haben die Welt angezündet, überall brennt es.“ Auch Thomas Löb sagte, er gehe davon aus, dass es künftig mehr „klimabedingte Bevölkerungsströme“ geben werde. Pascal Merkes sprach indes von einer „Phantomdebatte“, schließlich regele das Asylrecht, wer Asyl bekomme, und andere Regelungen, wer hier arbeiten dürfe – etwa aus EU-Staaten oder Drittländern. Kay Drews und Kersten Haase verwiesen darauf, dass straffällig gewordene Menschen abgeschoben werden müssten. „Straftaten sind der absolute Ausnahmefall“, entgegnete Benjamin Raschke und sprach von „gefühlter Wahrheit“ in diesem Punkt.
„Gut, die Personen mal kennen zu lernen“
Die anschließenden Fragen der Schüler drehten sich fast ausnahmslos um den Nahverkehr. Und auch nach der Veranstaltung sagten Teilnehmende, dass dies für sie das entscheidende Thema sei – etwa, das Deutschlandticket für Schüler einzuführen. Allerdings, merkten Frieda und Mika kritisch an, seien die Unterschiede zwischen den Parteien und Wählergruppen dabei nicht sehr deutlich geworden. „Deshalb war es gut, die Personen mal kennen zu lernen“, sagte Mika. „Zu erleben, wie sich eine Person äußert, war sehr hilfreich.“ Beide schätzten ein, dass wohl viele ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler wählen gehen werden. Vermisst haben sie konkrete Vorschläge, was sich vor Ort ändern kann, damit die angesprochenen Probleme behoben werden. „Manche Redner sind in die Bundespolitik abgeschweift“, sagte Frieda. Als „erschreckend“ bewerteten sie die Abwesenheit der AfD, die sonst ein „großes Mitteilungsbedürfnis“ habe. „Wichtig war heute, dass nochmal erwähnt wurde, dass wir die AfD nicht ausgegrenzt haben.“
Hinweis zur Transparenz: Die Autorin dieses Textes hat 1996 am Bohnstedt-Gymnasium Luckau ihr Abitur abgelegt.