Ein Hauptthema im Wildauer Bürgermeisterwahlkampf ist die Bebauung des Dahme-Nordufers. Dazu gab es jüngst eine repräsentative Umfrage des Investors, am 5. Juli eine Einwohnerversammlung. Wie wollen die Kandidaten mit der Beteiligung von Bürgern umgehen?
Von Dörthe Ziemer
Die Geschichte des aktuell diskutierten Projektes zur Bebauung des Dahme-Nordufers ist lang. Das idyllisch an der Dahme zwischen Schwartzkopffsiedlung und der Gemeindegrenze zu Zeuthen gelegene Areal ist massiv mit Halb- und Schwermetallen im Grundwasser und im Boden verunreinigt. Das ist der Grund dafür, weshalb sich für eine Entwicklung viele Jahre kein Investor fand. 2015, die Berliner Bauwert AG hatte gerade Mietwohnungen am Rosenanger gebaut, wurde ihnen die Sanierung und Entwicklung des Geländes am Dahme Nordufer von der kommunalen Wildauer Wohnungsbaugesellschaft (WiWo) angetragen.
Geschichte des Areals „Dahme-Nordufer“
- Laut dem Sanierungsgutachten, das der Berliner Investor Bauwert in Auftrag gegeben hat, stammen die Altlasten aus Produktionsrückständen aus der Herstellung von Schwefelsäure (Pyritschlacken, Kiesabbrand). In den frühen 2000er Jahren hat die kommunale Wildauer Wohnungsbaugesellschaft (WiWo) einen Großteil der Flächen erworben, 2012 wurde das Areal durch kommunale Flächen ergänzt.
- 2015 folgte eine Vereinbarung zwischen der WiWo und der Bauwert AG zur Entwicklung und Sanierung des Standortes. Zu diesem Zeitpunkt war die Fläche im Flächennutzungsplan als Wohnbaufläche mit Grünstreifen und entlang des Dahme-Ufers als Wald- und Grünfläche dargestellt, informierte Bauamtsleiter Wilfried Kolb bei der Einwohnerversammlung. Das Planungsgebiet war etwa zwölf Hektar groß, davon Bauland auf acht Hektar. Wildau hat eine Gesamtfläche von rund 900 Hektar.
- Im Oktober 2018 vergab die Stadtverordnetenversammlung einen Auftrag für die Erstellung einer Studie zur Untersuchung und Bewertung der Stadtentwicklung und notwendiger Infrastruktur („Infrastrukturstudie“)
- Am 7. Dezember 2018 stellte die Bauwert AG einen Antrag auf Aufstellung eines Bebauungsplans (B-Plan). Es wurde vereinbart, dass der Investor die Kosten für den B-Plan trägt. Der Aufstellungsbeschluss , also jener Beschluss der Stadtverordneten, der den Startschuss für ein B-Planverfahren bildet, wurde 2019 gefasst.
- Erst mit Abschluss so eines Verfahrens, in dessen Rahmen auch Träger öffentlicher Belange (Kommunen, Fachbehörden, Versorger usw.) sowie die Öffentlichkeit formal beteiligt werden, besteht Baurecht.
- In der sich anschließenden Planungsphase gab es im Oktober 2019 einen ersten Vorentwurf, der üblicherweise in einen Billigungs- und Offenlegungsbeschluss mündet, also jenen Teil des Verfahrens, in dem die Stadtverordneten den Vorentwurf billigen und diesen der Öffentlichkeit zugänglich machen.
- Der Vorentwurf passierte im November 2019 den Bauausschuss und den Umweltausschuss. Im Hauptausschuss wurde die Weiterleitung an die Stadtverordnetenversammlung nicht empfohlen, weil laut Protokoll „die Punkte bauliche Dichte und Geschosshöhe“ kritisch betrachtet wurden. Für die Stadtverordnetenversammlung am 10. Dezember 2019 wurde die Vorlage auf Bitten von Bauwert von der Tagesordnung genommen. Wie Bauwert-Chef Jürgen Leibfried in der Sitzung erläuterte, habe das Unternehmen „noch einmal die Höhen angepasst. Das muss nun noch eingearbeitet und im nächsten Ausschusszyklus dann vorgestellt werden“.
- Am 25. Februar 2020 beschlossen die Stadtverordneten, eine Einwohnerversammlung durchzuführen, das Planverfahren wurde bis zur Auswertung ausgesetzt.
- Die Stadtverordneten setzten am 1.12.2020 die Schaffung neuen Baurechts in Wildau, in dessen Folge weiterer Zuzug entsteht, bis zur umfassenden Auswertung der Infrastrukturstudie und einer sich daraus ergebenden Beschlussfassung durch die Stadtverordnetenversammlung aus („Bau-Moratorium“).
Ergebnisse der Infrastrukturstudie
- Die Infrastrukturstudie Wildau „Untersuchung und Bewertung der Stadtentwicklung Wildaus in Szenarien“ wurde vor etwa einem Jahr abgeschlossen und bei der Einwohnerversammlung vorgestellt. Die Aufgabe, so Isabel Mayer vom Büro mayerwittig, bestand darin, drei Szenarien zu beschreiben, wie sich die Bevölkerung in Wildau entwickeln kann – samt der Auswirkungen auf verschiedene Bereiche wie Verkehr, Kitas/Schulen usw.
- Rechnet man alle derzeit bestehenden B-Pläne und B-Plan-Änderungen ein, durch die die Stadt auch keinen Einfluss mehr auf die Bebauung nehmen kann, kommt man im Basisszenario auf ein Wachstum auf 13.000 Einwohner im Jahr 2025.
- Rechnet man drei städtebaulich am besten geeignete Flächen, die derzeit noch kein Baurecht besitzen, hinzu, könnte Wildau auf 15.000 Einwohner im Jahr 2030 wachsen. Dabei sind Steuerungen durch die noch zu erstellenden B-Pläne noch möglich. Hierzu gehört neben dem Areal am Stichkanal und der Fläche am ehemaligen Meyer-Beck-Gelände („Zentrum oberes Wildau“) auch die Fläche am Dahme-Nordufer. Diese Flächen sind in Bezug auf die Kriterien Anschluss an den öffentlichen Personnenahverkehr, integrierte Lage (Erreichbarkeit im Hinblick auf Schulen, Versorgung usw.), Innenentwicklung (innerhalb des vorhandenen Siedlungsgefüges) und Aufwertung des Stadtbildes/des öffentlichen Raums mit je vier Punkten und damit am besten bewertet worden.
- Nimmt man schließlich alle weiteren möglichen Flächen (ohne das Areal an der Miersdorfer Straße) hinzu, so könnte Wildau auf 16.500 Einwohner wachsen. In diese Kategorie gehöre mit drei von vier Punkten, so Isabel Mayer, auch ein Leerstand in der Birkenallee, in dem Sozialer Wohnungsbau entwickelt werden könnte. Sie empfehle vor dem Hintergrund solcher Flächen zu diskutieren, ob wann und welche Flächen entwickelt werden sollen – in einem breit angelegten Dialog mit der Kommunalpolitik und der Einwohnerschaft.
- Im Hinblick auf Pflichtaufgaben wie die Bereitstellung von Kita- und Grundschulplätzen sei festzuhalten, dass im Basisszenario keine weitere Grundschule (abgesehen von der derzeitig geplanten Erweiterung) nötig sei. Im mittleren Szenario sei die Versorgung mit Grundschulplätzen bis 2025 gesichert, danach nur, wenn man die private Grundschule in die Berechnung einbezieht oder mit 28 Schülerinnen und Schüler (statt 24) pro Klasse rechnet. Beim maximalen Szenario bestehe bis 2030 eine Unterversorgung in Höhe von 150 bis 200 Plätzen – eine 2. Grundschule würde nötig werden.
- Die Versorgung mit Kita-Plätzen ist im Basisszenario gewährleistet, im mittleren nur bis 2025, danach werde eine neue Kita mit ca. 100 Kita- und 50 Hortplätzen. Im maximalen Szenario besteht eine Unterversorgung bereits 2025 – da wäre ein Grundschul-Neubau gleich mit Hortplätzen und Kita angezeigt.
- Beim Verkehr sieht das Planungsbüro auch für Basisszenario schon Engpässe – ein unbeschrankter Bahnübergang im nördlichen Stadtgebiet Wildaus oder südlichen Gebiets von Zeuthen sei erforderlich. Weitere Auswirkungen müssten von einem Verkehrsplaner begutachtet werden.
- Stadtentwicklung, erläuterte Isabel Mayer zusammenfassend, sei „nichts, was einfach so passiert“. Sie könne und müsse gesteuert werden. Das umfasse auch demokratische, ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Aspekte. Wichtig sei, dass es eine übergeordnete Idee einer Stadt gibt, die nach außen vermittelt werde.
- „Dazu müssen die Bürger aktiv eingebunden werden – erst dann entsteht Identifikation mit dem Ort“, sagte sie. „In Zeiten des Wachstums ist Gestaltung viel besser möglich als in Zeiten der Schrumpfung. „Was mir in der Diskussion bisher gefehlt hat: die Debatte um Qualität“, bemängelte sie. „Bisher war Diskussion um Infrastrukturstudie stark von Zahlen geprägt. Aber in welcher Qualität entwickelt sich die Stadt?“
- Es brauche unterschiedliche Wohnformen auf kleinstem Raum, eine Auseinandersetzung mit dem Thema Mobilität und der Frage, was die Gemeinschaft, aber auch das Individuum bräuchten. Es bedürfe öffentlicher Räume, die kostenlos nutzbar und nicht kommerzialisiert sind: „Alles was sich entwickelt muss sich daran messen lassen, wie nachhaltig die Entwicklung sein wird.“
- Der Investor Bauwert AG stellt sein Projekt für das Dahme-Nordufer auf einer eigenen Homepage ausführlich vor – samt Historie und zahlreichen Planungs- und Abstimmungsdokumenten.
- Rund 665 Wohnungen sollen entstehen – davon sollen 30 Prozent in Regie der WiWo gebaut werden. Die Bauwert AG will 70 Prozent Wohnraum und 30 Prozent Gewerbe entwickeln.
- Durchmischung ist das Stichwort, das das Projekt am besten beschreibt: Durchmischung der Generationen, der Wohnformen, der Freizeitnutzungen, der gewerblichen Nutzungen und vieles mehr.
- „Die Bedürfnisse von Senioren werden dort genauso berücksichtigt wie die von Studenten und Familien mit Kindern“, heißt es auf der Bauwert-Seite. „Mit neuen, öffentlichen Grünflächen, einem Uferweg, neuen Freizeitmöglichkeiten, Cafés, Einzelhandel für die Nahversorgung, Büros für Wissenschaft und Unternehmen sowie Praxisflächen und vielem mehr soll der Wohnpark am Dahmeufer ein Quartier für alle Wildauer werden.“
- Die Altlasten sollen, so erläuterte es Jürgen Leibfried in der Einwohnerversammlung vor allem in den Wohnlagen, unter Spielplätzen und Grünanlagen entsorgt werden. Einen Teil der Altlasten wolle man verkapseln, z.B. unter Straßen und Plätzen. Dies ist laut Sanierungskonzept bereits mit Fachbehörden wie dem Umweltamt des Landkreises abgestimmt. Bei diesem Vorgehen würden 8 Millionen Euro für die Entsorgung gebraucht, aber 22 Millionen Euro, um Straßen und Plätze inkl. Medien zu bauen. Die Hauptkosten bestünden also in Erschließungs- und nicht in Dekontaminationskosten.
- Eine Sanierung ohne Bebauung würde die Stadt mehr als 20 Millionen Euro kosten. Im Falle einer Entwicklung durch Bauwert würde der Investor die Sanierungskosten und die Kosten für die Erschließung (Straßen, Medien, Versorgung) tragen.
Nun, im Jahr 2022, wird die Entwicklung des Dahme-Nordufers noch immer heiß diskutiert – vor dem Hintergrund der inzwischen veröffentlichten Infrastrukturstudie zur Entwicklung der Stadt, aber auch im Zuge des Bürgermeisterwahlkampfes. Die im Jahr 2020 von den Stadtverordneten beschlossene Einwohnerversammlung hat am 5. Juli stattgefunden – laut Stadtverwaltung war eine frühere Durchführung pandemiebedingt nicht möglich. Über das Beteiligungsportal MaerkerPlus hatte die Stadtverwaltung im April und Mai Bürgermeinungen eingesammelt. Das Meinungsbild, das erstmals am 23. August von den Stadtverordneten in einer außerordentlichen Sitzung ausgewertet wird, ist komplex: Es zeigt sich, dass viele Wildauer einem großen Wachstum gegenüber kritisch eingestellt sind. Viele, die sich bei der Einwohnerversammlung zu Wort meldeten, hatten konkrete Fragen zur Auswirkung des Wachstums auf den Verkehr, auf die Versorgung mit Kita-, Hort- und Schulplätzen, auf die Trinkwasserversorgung und hinsichtlich der Altlastenentsorgung. Im Portal MaerkerPlus gab es ebenfalls zahlreiche kritische Äußerungen – neben einigen positiven Rückmeldungen. Positiv angemerkt wird vor allem, dass es eine zeitgemäße Entwicklung des Geländes brauche und dass die Altlastenproblematik endlich gelöst werden müsse.
Auch der Investor hat sich ein Meinungsbild eingeholt, indem er vom Meinungsforschungsinstitut Forsa eine repräsentative Umfrage durchführen ließ. Ergebnis: 61 Prozent der 500 stichprobenartig ausgewählten Befragten finden es gut, „dass am Dahme Nordufer zwischen Schwartzkopff-Siedlung und dem Seniorenstift Zeuthen ein neues Stadtquartier mit Geschäften, Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie, Sport- und Freizeitangeboten, Parks und Grünflächen, Uferwegen, Bootssteg, Anglerplatz, Badeplätzen und neuen Wohnungen entstehen soll“. Der Präsentation von Bauwert zufolge wurden bei der Befragung keine Angaben zur Zahl der geplanten Wohnungen gemacht.
Doch wie soll die Stadtpolitik in solchen Fällen, aber auch grundsätzlich mit Ergebnissen aus Bürgerbeteiligungen umgehen? Das wollten wir von den fünf Bürgermeister-Kandidaten wissen:
Welche Bedeutung messen Sie Umfragen, Befragungen, Gesprächsrunden usw. ein? Wie wollen Sie die Ergebnisse in die Beschlussvorlagen für die Stadtverordneten einbeziehen?
László Ungvári unterscheidet zunächst zwischen Teilnahme und Beteiligung: „Blumenkästen, die von Familien betreut werden, das gibt es in Italien – das ist Beteiligung. Damit erreichen wir ein Wir-Gefühl“, sagt er. Umfragen hält er für ein sehr ausgeklügeltes Instrument: „Wer sich nicht auskennt mit Stichproben, der kommt mit Aussagen wie: ‚Man hat ja nur 200 Menschen befragt‘. Aber aus Stichproben, wissenschaftlich ausgewählt, sind gute Aussagen zu entnehmen. Diese haben eine gewisse Bedeutung“, erklärt er. Beim Thema Dahme-Nordufer gehe es jedoch auch darum, was für ein Problem vorliege und was zu tun sei: „Es liegt ein kontaminierter Boden vor, wir müssen also dekontaminieren. Bei einer Bebauung kostet die Kontaminierung weniger als bei der Errichtung eines Parks.“ Um aus den vorliegenden Informationen und Meinungsbildern eine Beschlussfassung durch die Stadtverordneten zu erreichen, müssten viele Gespräche geführt werden – mit den Fraktionsvorsitzenden, mit einzelnen Stadtverordneten. „Es wird dann eine Vorlage entstehen, wenn die Zeit reif ist“, sagt der Kandidat Ungvári. Aber man sei weit von einer Beschlussvorlage entfernt. „Eines können wir jedoch nicht machen: das Ding unseren Enkeln überlassen.“
Martin Stock findet ebenfalls, dass repräsentative Befragungen von großem Wert seien – „wenn die empirischen Grundparameter bekannt gegeben werden“. Die aktuelle Befragung zum Dahme-Nordufer sei jedoch nicht dazu geeignet, denn genau diese Parameter fehlten bis heute. „Es hat sich ja auch im Nachgang sehr eindrücklich gezeigt, dass z.B. die Ergebnisse aus der Bürgerversammlung deutlich hierzu divergieren“, schreibt er. Er setze stattdessen auf regelmäßige Bürgerversammlungen (mindestens drei pro Jahr) zu den wichtigsten Themen der Kommunalpolitik. Fragen und Anliegen, die im Termin nicht abschließend geklärt werden könnten, will er innerhalb einer angemessenen Frist beantworten. „Ich würde diese Antworten grundsätzlich auch immer öffentlich abgeben“, ergänzt er. Zudem sei die Arbeit der Fachausschüsse ist dringend zu überarbeiten, „da das bisherige System ineffektiv, ja sogar blockierend und zeitraubend ist“.
Frank Nerlich misst der Bürgerbeteiligung ebenfalls eine hohe Bedeutung bei – sie sei eine tragende Säule in der Gesellschaft. „Wenn wir es nicht schaffen, unsere Bürger mit ihren Themen abzuholen, sitzen wir auf dem Trockenen“, sagt er. „Jeder Stadtverordnete und jeder Bürgermeister ist ein Vertreter von Bürgerschaft oder Teilen der Bürgerschaft. Stimmungen abzuholen finde ich deshalb wichtig und richtig.“ Am Ende liege die Entscheidung jedoch in der Verantwortung jedes Stadtverordneten. Dazu müssten Beschlussvorlagen gut vorbereitet sein - so seine Erfahrung als Stadtverordneter (Fraktion Bürger für Wildau/Grüne): „Wir als kleine Fraktion haben viele Vorlagen eingebracht. Und je besser die vorbereitet sind, umso schneller fällt eine Entscheidung. Ich bin ein Freund von Sachpolitik: konkrete Themen konkret angehen – mit erforderlichen Finanzen hinterlegen, dann entscheiden, ob wir das wollen oder nicht, und dann umsetzen.“ Als Beispiel nennt der die Arbeitsgruppe Radverkehr, die überparteilich eine Prioritätenliste für notwendige Maßnahmen erstellt habe, damit das Radfahren in der Stadt komfortabler werde.
Enno von Essen sieht die Stadtverordneten in der Pflicht, über die Belange der Stadt zu entscheiden. „Dafür sind sie gewählt – das ist quasi ‚ihr Job‘, wenn auch unbezahlt“, stellt er fest. Bei kontroversen Themen sei es erforderlich, die Meinung der Bürger genauer zu untersuchen – „insbesondere dann, wenn es um schwerwiegende Einschnitte im Zusammenleben geht“. Das Dahme-Nordufer sieht er als ein solches Thema an: auf der einen Seite ein Investor, der damit Geld verdient, auf der anderen Seite die Bürger, „die sich zu Recht fragen, ob die Infrastruktur der Stadt diesen Zuwachs aushält“. Experten, ergänzt er, würden negative Auswirkungen auf die Infrastruktur sehen. Die Forsa-Umfrage des Investors sieht er kritisch: „Jeglicher Versuch, die Zahlen zu hinterfragen, wird damit abgebügelt, dass die Umfrage ‚repräsentativ‘ sei.“ Jedoch seien weniger als 0,5 Prozent der Einwohner befragt worden. Die Bürger würden sich zu Recht fragen, ob der Investor die Umfrage auch veröffentlich hätte, wenn es keine Mehrheit gegeben hätte.
Axel Corte hält die Ergebnisse von Umfragen und Befragungen, wenn diese „wirklich neutral getätigt werden“, für vertrauenswürdig und repräsentativ. „Anders hingegen sind geladene Gesprächsrunden zu bewerten“, schätzt er ein. „Hier können sich je nach Einladung verstärkt Befürworter oder Gegner sammeln, welche dann vermeintlich den Eindruck schaffen, es wäre die allgemeine Durchschnittsmeinung.“ Bei langfristigen und strategischen Vorhaben sollte seiner Meinung nach daher ein Mix von Formen der Bürgerbeteiligung vor einer Entscheidungsfindung eingeholt werden. „Ich setzte auf den allgemeinen Sachverstand der Stadtverordneten“, schreibt er.
Vom konkreten Projekt – Sanierung und Entwicklung des Dahme-Nordufers – einmal abgesehen, bleibt das Dreieck zwischen einerseits mehrheitlich gewählten Vertretern, die Entscheidungen im Sinne aller Bürger treffen sollen, punktuell erzeugten Befragungsergebnissen und dem Fachverstand der Mitarbeiter der Stadtverwaltung ein Spannungsfeld. Wie schätzen die Kandidaten dieses ein Feld und wie wollen sie es gestalten?
Axel Corte glaubt, es werde immer unterschiedliche Meinungen geben, persönliche und politische. Seine Lösung: „Die Stadtverwaltung hat im Vorfeld von Befragungen die Bürger umfassend fachlich zu informieren.“ Außerdem soll es Aufklärung und Schulungsangeboten für die Stadtverordneten geben.
Enno von Essen bleibt beim aktuellen Thema Dahme-Nordufer und hinterfragt die Umfrage des Investors: Das eigentliche Problem dieser Umfrage sei, dass nicht explizit nach dem Bauprojekt des Investors gefragt wurde, sondern nur nach einer „generellen Bebauung“. „Das verzerrt die Wahrnehmung, denn es sind nicht 61% für das Bauprojekt des Investors, obwohl es inzwischen in der Kommunikation der Menschen so angekommen zu sein scheint. Man könnte das als Manipulation der Meinung ansehen – und wer manipulieren muss, um zu überzeugen, der hat Unrecht.“ Wenn man davon ausgehe, argumentiert er weiter, „dass 61 Prozent für eine Bebauung sind und davon fairerweise ganze 50 Prozent für den Investor, die anderen 50 Prozent für eine sozialverträgliche Eigenbebauung“ – wären knapp 30 Prozent für eine Bebauung durch den Investor – für den Kandidaten von Essen „Grund genug, das Projekt abzulehnen“.
Frank Nerlich sieht „ein gewisses Spannungsfeld“ als unabdingbar an – als einen Diskurs in der Stadtverordnetenversammlung und in der Verwaltung, in den Ausschüssen. „Dieser Abwägungsprozess ist eine Grundlage in unserer Demokratie und das muss stattfinden können: ein reger Austausch bei einem respektvollen Miteinander“, sagt er. Dieses möchte er durch viel Kommunikation nach Innen und nach Außen erreichen – also einerseits in die Stadtverordnetenversammlung hinein, andererseits im Rathaus. „Da kann nicht nur angewiesen werden, sondern man muss beim Mitarbeiter eine Motivation erzeugen“, erläutert er. Da sei auch schon viel Gutes passiert.
Martin Stock setzt ebenfalls auf Kommunikation und „solide Vorbereitung in Fachausschüssen und mit den politischen Gremien der Stadt und der SVV“. Dadurch möchte er eine Quote von 95 Prozent Einstimmigkeit bei den Entscheidungen erreichen. „Ich halte das für ein sehr realistisches Ziel!“ Dazu hofft er nicht nur auf das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler, sondern auch auf das Vertrauen einer großen Mehrheit der Mitarbeitenden in der Verwaltung.
László Ungvári will das Feld in diesem Dreieck gestalten, „indem man die Spannung rausnimmt. Vor 5 Jahren hat das alles noch wunderbar geklappt. Alle haben wunderbar zusammengearbeitet“. Spannungen seien jedoch in der letzten Zeit – „absichtlich oder unabsichtlich“ – erzeugt worden, dies gelte es abzubauen, „indem wir uns respektvoll in die Augen schauen und nicht gleich alles mit einem Handschlag abwischen“. Ein Problem sei gewesen, dass es in den Diskussionen nicht mehr darauf ankam, was gesagt wurde, sondern wer es gesagt hat.
Die Kandidaten für die Wahl des neuen Wildauer Bürgermeisters am 28. August:
(Reihenfolge laut Bekanntmachung der Wahlvorschläge)