Nach Wahl eines parteilosen Landrates sieht die Unabhängige Bürgerliste Dahme-Spreewald ihre Position für die Kommunalwahl gestärkt. Gleichwohl sei es eine Gratwanderung, unterschiedliche Interessen zusammenzubringen, sagt UBL-Chef Frank Selbitz.
Ein Interview von Dörthe Ziemer
Die Kommunalwahl 2024 naht mit Riesen-Schritten. Der neue Kreistag wird am 9. Juni gewählt. Derzeit stellen die Parteien und Wählervereinigungen ihre Listen auf. Wokreisel hat die Spitzen der Kreistagsfraktionen jeweils um ein Interview gebeten, um auf die vergangene Wahlperiode zurückzublicken und auf neue Vorhaben vorauszuschauen.
Los geht es mit der Fraktion der Unabhängigen Bürgerliste (UBL) Dahme-Spreewald, die seit 16 Jahren von Frank Selbitz aus Lübben geführt wird. Derzeit gehören die Freien Wähler und die Freie Unabhängige Wählergemeinschaft Königs Wusterhausen (FWKW) zur Kreistagsfraktion. Die UBL entsendet drei Mitglieder, die Freien Wähler zwei und FWKW eins.
Im Jahr 2024 wird es mit Sven Herzberger einen neuen Landrat geben. Und es stehen Kommunal- und Landtagswahlen an, die die politische Landschaft völlig verändern könnten. Mit welchem Gefühl sind Sie in das Jahr gestartet?
Optimistisch. Die Landratswahl hat gezeigt, dass die Tendenz in Richtung unabhängige Vertreter geht. Der neue Landrat gehört keiner Partei an. Daher sehen wir Positionen, die wir seit 20 Jahren vertreten, gestärkt. Und wir wünschen uns, dass das auch im Kreistag zum Ausdruck kommt.
„Parteipolitische Unabhängigkeit ist das Gebot der Stunde”, schrieben Sie nach der Landratswahl. Mal ganz praktisch: Wie äußert sich parteipolitische Unabhängigkeit auf kommunaler Ebene? Auch die UBL bildet ja eine Fraktion, die sich untereinander oder mit anderen Fraktionen abstimmen muss, wenn sie ihre Ziele erreichen will. Die Bedeutung der Fraktionsbildung wurde ja zuletzt bei den Freien Wählern im Landtag deutlich, die nun keine Fraktion mehr sind…
Wir sind unabhängig, bürgernah und lösungsorientiert. Die Parteien haben bundes- und landespolitische Vorgaben umzusetzen: Wenn der Bund hü sagt, sagt das Land hot und Kreistag hühott. Unser Vorteil ist, dass wir die Dinge zeitnah, spontan und unabhängig umsetzen können. Zu langes Nachdenken über eine Sache ist nicht immer zweckdienlich.
Ein Beispiel: Der Bund wollte Tempo 30 vor sozialen Einrichtungen einführen. Der Landkreis wollte das nicht so recht umsetzen. Da sind wir dann vorgeprescht, ehe sich die Parteien rührten.
Auch der Kreisstrukturfonds war eine Idee der UBL. Und oft ist es so: Ehe da die Gemeinden bei der Beantragung aus der Hüfte kamen, waren die unabhängigen Bürgermeister schneller. So sind Kreisstrukturfonds-Mittel häufig nach Heideblick gewandert. Bürgermeister Frank Deutschmann war der Einzige, der das in der Gemeindevertretung durchgedrückt hat. Wenn in der Gemeindevertretung Parteien sitzen, die sich nicht einig sind, wird es schwieriger. Die UBL ist die einzige Fraktion, die zweimal ihre Fraktionssitzung in Heideblick durchgeführt hat.
Ist es nicht Sache der Verwaltung, Fördermittelanträge auf den Weg zu bringen?
Ja, und auch da hängt der Erfolg davon ab, wie schnell sie ist.
Ein Beispiel: Das Projekt Feuerwehrwettkampfbahn in Langengrassau wurde durch den Bürgermeister, die UBL und den Vorstand des Feuerwehrverbandes umgesetzt. Die Fördermittel, die dazu notwendig waren, wurde über LeaderPlus eingeworben. Ich habe mich damals zwei Tage lang auf den Weg gemacht und Mitglieder des Kuratoriums des Spreewaldvereins als Ausreicher der Fördermittel besucht, um das Vorhaben deutlich zu machen. Inzwischen stellt Heideblick Olympiasieger und Weltmeister im Feuerwehrsport.
„Es gibt eine E-Mail von mir: Ich mache das jetzt. Dann wissen die anderen Bescheid. Dazu brauche ich keinen Parteibeschluss.“
Ist das nicht dennoch ähnlich wie bei den Netzwerken von Parteien?
Ich muss keinen Parteiapparat informieren. Es gibt eine E-Mail von mir: Ich mache das jetzt. Dann wissen die anderen Bescheid. Dazu brauche ich keinen Parteibeschluss. Es gibt jedoch eine Grenze, die die UBL erreicht: Wenn man keine Partei ist, kann man zwar kommunale Politik beeinflussen, aber darüber hinaus ist man raus. Kreislich bekommt man das gut hin, aber nicht mehr auf Landes- oder Bundesebene. Aber im Landkreis ist es schwer genug, die einzelnen Interessen der Bürgerbewegungen zusammenzubringen.
Wie funktioniert das - dieses Zusammenbringen von Interessen höchst unterschiedlich gelagerter Bürgerbewegungen? Mit wem arbeiten Sie zusammen, mit wem nicht? Beispielsweise gibt es ja eine relativ junge Bürgerbewegung gegen Containerdörfer in Lübben.
Das ist eine Gratwanderung. Im Landkreis kann es man aufgrund der bisherigen Strukturen gut einordnen, wo welche Bürgerbewegung steht, welche Interessenlagen sie vertritt. Von Wolzig bis Fürstlich Drehna haben wir Sympathisanten, auf deren Erfahrung wir zurückgreifen. Was die Lübbener Bürgerinitiative (BI) betrifft: Pro Lübben hat sich mit den Vertretern unterhalten, bevor das richtig entstanden war, und wir reden noch heute miteinander. Sie sprechen Sachverhalte an, die den Bürger bewegen.
In Lübben gab es am 1. Mai 2023 den Aufruf zur Gründung der BI. Da waren wir dabei. Die meisten Anwesenden kannte ich. Der Moderator war der AfD-Landtagsabgeordnete und Gründer von “Zukunft Heimat” Christoph Berndt - da war klar, wohin das geht. Es wurde beteuert, dass das Zufall gewesen sei. Der damalige Grünen-Stadtverordnete Thomas Fischer und ich sind dann nach vorn gegangen. Ich habe Christoph Berndt gefragt, ob er nicht mehr zu Geflüchtetenzahlen sagen kann, er ist ja schließlich Fraktionsvorsitzender des Landtages, er müsste das beantworten, da er die Zahlen als erster hat, denn das Land entscheidet und nicht der Kreis oder die Stadt. Daraufhin hat er abgelenkt. Im Herbst hat die BI dann in Lübben demonstriert und die Technik des damaligen AfD-Landratskandidaten Steffen Kotré genutzt, der wohl zufällig am gleichen Tag seinen Wahlkampfabschluss hatte.
Die UBL ist für alle Bürgerbewegungen offen, aber nach unseren Grundsätzen, denn braunes Gedankengut gibt es mit uns nicht. Wenn sich eine BI im Rahmen einer Partei wiederfinden will, geht sie eben diesen Weg und nicht bei uns. Ich werde vor keinem Bürger die Tür zuschlagen und sagen: Ich spreche nicht mit dir.
Ganz unterschiedliche Themen und Interessen gab es ja beispielsweise auch in Groß Köris bei der Umwandlung der Ober- und eine Gesamtschule, also mit gymnasialer Oberstufe, und beim Schloss in Lieberose. Da haben wir jeweils auch unterstützt.
„Die UBL ist für alle Bürgerbewegungen offen, aber nach unseren Grundsätzen, denn braunes Gedankengut gibt es mit uns nicht.“
Die UBL hat die zweite Bewerbung von Swen Ennullat als Bürgermeister von Königs Wusterhausen unterstützt, nachdem dieser abgewählt worden war. In Golßen möchte die UBL-Fraktion den Austritt der Stadt aus dem Amt Unterspreewald erwirken. Verlieren sich die Unabhängigen eigentlich manchmal in ihren Zielen?
Jede örtliche Bürgerinitiative (BI) ist für sich selbstständig. Die Kreis-UBL möchte nicht, wie das in den Parteien üblich ist, einen Durchgriff auf die örtlichen BI. Dass sie sich in Königs Wusterhausen und Golßen auch UBL nennen, ist eine schöne Anerkennung. Interessant dabei ist, dass deren Gründungsmitglieder häufig ehemalige Parteimitglieder sind, weil die sich da nicht mehr wiedergefunden haben. Lutz Krause aus Mittenwalde und ich - wir haben noch nie einer Partei angehört.
Das Vorhaben der UBL Golßen ist nachvollziehbar. Die Amtsstrukturen (Zusammenschluss mehrerer Gemeinden zu einem Amt mit einer Amtsverwaltung) sind eine Fehlentwicklung im Land, die irgendwann korrigiert werden muss - hin zu Gemeinden. Wenn man sich einmal die Personalentwicklung im Amt Unterspreewald anschaut: Da flüchten viele, und das hat Gründe. Sie kommen dort an ihre Grenzen, weil sie so viele Gemeinden zu betreuen haben. Da gibt es schon Ideen, das zu ändern. Wenn Golßen für sich feststellt: „Wir sind eine der reichsten Gemeinden, haben aber nichts davon”, dann muss man das ändern für die Bürger. Dass das mit Einschaltung der Kommunalaufsicht und des Innenministeriums passiert, ist gesetzlich korrekt.
In Königs Wusterhausen gab es viele Interessen, so dass die Ziele des Bürgermeisters nicht mit denen der Stadtverordnetenversammlung übereinstimmten, und das führte zur Abwahl. Im Kreistag wäre es vielleicht ähnlich gekommen: Wenn Steffen Kotré Landrat geworden wäre, hätte ihn der Kreistag ständig blockiert. Sven Herzberger trat an, um Brücken zu bauen, sonst wären womöglich Gräben ausgeschachtet worden. Dann wäre im Kreis gar nichts passiert. Brücken bauen muss man am Ende aber auch zu denen, die sich durch die aktuelle Politik nicht vertreten sehen. Damit meine ich nicht nur die Bundespolitik. Damit hat die AfD ja auch Landratswahlkampf gemacht.
Aber dass wir nicht in Bundespolitik reinreden können, ist eigentlich eine Stärke: unsere Stärke der Regionalität. Wenn wir den Bürger für uns begeistern wollen, heißt das für uns: mit lokalen Themen. Darauf ist unser Wahlkampf ausgerichtet.
Ist nicht denn Ihr Blick für das Machbare und das Zielführende manchmal verstellt? Die UBL hat immer wieder Anträge im Kreistag gestellt, die recht schnell durchgefallen sind oder die praktisch wirkungslos waren… Hätten diese Anträge nicht noch eine Denkrunde mehr gebraucht?
Das ist die Spontanität der UBL, die da zum Ausdruck kommt. Manchmal führt zu langes Nachdenken dazu, dass ein Vorhaben unmöglich wird. So wird beispielsweise unser Antrag für Sozialarbeit an der Oberschule Friedersdorf jetzt im Jugendhilfeausschuss umgesetzt, obwohl er zunächst keinen Erfolg hatte. Das ist eines der Ziele: den Kreistag für bestimmte Themen zu sensibilisieren. Darauf kann man die Taktik abstellen. Manchmal muss man auch die Verwaltung vor sich hertreiben.
„Das Wichtigste ist, den Norden und den Süden als Einheit zu verstehen - bei aller Unterschiedlichkeit.“
Nun zu den anstehenden Herausforderungen: Welche sind aus Sicht der UBL die drei wichtigsten Themen der kommenden Wahlperiode?
Sven Herzberger hat gesagt: Wir müssen das Narrativ eines Gegensatzes zwischen Nord und Süd im Landkreis überwinden. Das Wichtigste dabei ist, den Norden und den Süden als Einheit zu verstehen - bei aller Unterschiedlichkeit.
Deshalb gilt erstens: Was der Norden derzeit ausgleichen muss, ist verfehlte Berliner Stadtentwicklung. Wir nehmen geflüchtete Berliner auf, wie in Friedersdorf, Eichwalde oder Schönefeld zu sehen ist. Die Menschen kommen aus Berlin mit Vorstellungen, Berliner Lebensverhältnisse auf dem Land vorzufinden. Wir müssen soziale und technische Infrastruktur schaffen, bekommen dafür aber keine Landesmittel. Das schafft doch keine Lebensqualität.
Als Lübbener Stadtverordneter möchte ich keine solche Entwicklung der Bevölkerungszahlen haben. Der Linken-Stadtverordnete Peter Rogalla und ich haben frühzeitig davor gewarnt, wie im Integrierten Stadtentwicklungskonzept vorgesehen, die Majoransheide als Wohnquartier auch nur anzufangen. Das können wir nicht stemmen. Oder wenn wir hier in Lübben eine dritte GS schaffen müssten… Und die Schulen im Norden müssen nicht für Kinder unseres Landkreises geschaffen werden, sondern für die zuziehenden Kinder aus Berlin und anderswo. Außerdem besteht eine große Herausforderung darin, die Neubürger einzugliedern. All das, was wir im Kreis als Rücklagen in dreistelliger Millionenhöhe haben, wird dafür draufgehen.
Zweitens muss es uns um das Band in der Mitte des Landkreises gehen, also Heidesee und südlicher. Hier geht es um die Verbesserung des Anschlusses an das Zentrum Berlin und um einen Spagat zwischen der Entwicklung des Hauptstadt-geprägten Raumes und dem Erhalt der historischen Eigenheiten von Orten wie Münchehofe oder Birkholz und um die Entwicklung der Bahnhöfe.
Und drittens müssen wir im Süden Lebensqualitäten schaffen, die zeitgemäß sind und zugleich historischer Strukturen erhalten und fördern. Und wir haben Natur, Kultur, Tourismus, Landschaft - das geht im Norden verloren. Aber man kann nicht überall alles entwickeln, man denke etwa an Orte wie Byhleguhre, Leeskow usw. Wir müssen den Menschen auch dort die Zukunft in ihrer Heimat sichern.
Es stehen voraussichtlich einige Sparrunden an. Freiwillige Leistungen bestehen vor allem in den Bereichen Kultur- und Sportförderung - mithin Mittel, die gesellschaftlichen Austausch und sozialen Zusammenhalt fördern. Wie sollte sich der Kreistag dazu positionieren?
Die Forderung an diesen Stellen zu sparen, das passiert im Kreistag ganz zum Schluss, denn das sind die Mittel, die die Lebensqualität sichern. Es fällt also eher ein Straßenbau weg, als dass ich einem Verein sage, er bekomme keine 400 Euro.
Sozialer Zusammenhalt misst sich auch immer daran, wie wir miteinander reden und umgehen. Im Landratswahlkampf wurde teilweise stark polarisiert. Was erwartet uns im Kommunalwahlkampf?
Ich rede nicht über andere, denn für andere bin ich nicht verantwortlich. Ich weiß, wie wir unseren Wahlkampf gestalten werden. Das, was die UBL von den anderen abhebt, sind die Sachthemen und die Regionalität.
Im Landkreis wird nicht nur über Kreisthemen diskutiert, sondern auch über Außenpolitik. Stichwort Frieden. Wie positioniert sich Ihre Fraktion zu Forderungen aus dem Landkreis, von hier aus müsse die Bundespolitik zu einer bestimmten Außenpolitik aufgefordert werden?
Willy Brandt hat gesagt: Frieden ist nicht alles, aber ohne Frieden ist alles nichts. Birgit Uhlworm aus unserer Fraktion setzt sich sehr dafür ein, dass immer wieder gemahnt wird, aber wir können mit unseren Worten allein den Frieden nicht erreichen. Das ist ein Riesenproblem, aber das kann ich kommunal nicht lösen.
Sie sind einer der dienstältesten Kreistagsabgeordneten. Treten Sie selbst noch einmal an und wenn ja, mit welcher Motivation?
Ja, ich trete an, und zwar, um den Landkreis weiter mitzugestalten. Der derzeit Älteste dürfte Norbert Schmidt von der CDU sein, aber er war nicht durchgängig Mitglied. Er wurde am zeitigsten von den heutigen Mitgliedern gewählt, dann Lutz Krause, und dann ich. Seit 2008 habe ich durchgängig den Fraktionsvorsitz inne, das sorgt für Kontinuität.
Interview-Serie zur Kommunalwahl 2024:
Teil 1: „Tendenz geht zu den Unabhängigen“ –
Interview mit Frank Selbitz, Chef der Fraktion UBL / Freie Wähler / FWKW
Teil 2: „Die Grünen sind Hassfiguren geworden“ –
Interview mit Andrea Lübcke und Lothar Treder-Schmidt von Bündnis 90/Grüne
Teil 3: „Abgewählt – das ist doch etwas anderes“ –
Interview mit Thomas Irmer, Chef der SPD-Fraktion
Teil 4: „Wählt man ‚Protest‘?“ –
Interview mit Olaf Schulze, Chef der Fraktion CDU/FDP/Bauern
Die anderen Fraktionen haben auf unsere Anfrage nicht reagiert
(AfD, Linke, SfB/vormals AfD)