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Auf Distanz

Die BI „Unser Lübben“, die kürzlich mit Bauern und zuvor gegen eine Flüchtlingsunterkunft demonstrierte, geht am Montag wieder auf die Straße. Der Bauernverband distanziert sich. In Halbe regt sich Protest gegen einen Windpark, auch mit Unterstützung durch die AfD.

 

Von Dörthe Ziemer

 

Der Parkplatz vor der Alten Schule in Halbe ist voller Menschen und Autos. Eine Demonstration war aus dem Umfeld der AfD angemeldet, doch sie ist nicht erkennbar. Die Polizei ist vor Ort. Menschen aus Halbe und der Nachbarschaft sind an diesem 18. Januar gekommen sowie Mitglieder und Anhänger der AfD. Im Vorzimmer zum Sitzungsraum werden später Ausgaben des Informationsblattes der AfD und Mitgliedsanträge liegen. Es ist Gemeindevertretersitzung und es geht um einen Windpark. 

 

Eine Woche zuvor ist die Situation in Lübben weniger klar: Ein Flyer mit dem Aufruf zu einer „Rundfahrt/Versammlung“ für den 13. Januar kursiert in den Sozialen Medien. „Motto: ‚Wir fahren zusammen!‘ Bauern und Handwerk & Gewerbe, alle Bürger Hand in Hand. Es geht uns ALLE an“, steht darauf, und: „Existenzen retten“. Wer der Veranstalter ist, ist nicht erkennbar, der Flyer hat kein Impressum. Kommentierende Nutzer Sozialer Medien mutmaßen, ob es die Bürgerinitiative (BI) „Unser Lübben“ ist. Ein Nutzer schreibt, es gebe eine zweite BI mit ähnlichem Namen, doch das ist offenbar ein Irrtum. Aus einer Facebook-Gruppe verschwindet der Flyer, der dort bereits rege diskutiert wurde. „Friedliches Miteinander ohne politische Ausrichtungen oder/und rechtswidrige Banner/Parolen“ – mit dieser Vorgabe endet der Flyer. 

 

Verknüpfung von Bauernprotesten mit Migrationsthema 

Veranstalter sind nach Wokreisel-Informationen Landwirte und die Bürgerinitiative (BI) „Unser Lübben“*, die auf ihrer Facebook-Seite „Unser Lübben - Wir wollen keine Containerdörfer“ heißt und im vergangenen Jahr gegen eine neue Unterkunft für Geflüchtete in Lübben demonstriert hat. Es ist die Woche der Bauernproteste, im Rahmen derer Landwirte und andere Berufsgruppen an mehreren Tagen Autobahnauffahrten auch in Dahme-Spreewald blockieren. Trotz der Beteuerungen etwa des Brandenburger Bauernverbandes, sich von „Krawall und Extremismus“ distanzieren und einer „Unterwanderung und einer Gefährdung unserer Ziele durch Trittbrettfahrer deutlich entgegentreten“ zu wollen, gibt es unter den Protestierenden Menschen, die die Legitimität der jüngsten Bundestagswahl und damit der aktuellen Regierung infrage stellen. Auch mehrere Ampel-Galgen sind in Dahme-Spreewald zu sehen. 

 

Das bei der Polizei angemeldete Thema der Versammlung am 13. Januar ist nicht nur der „Zusammenschluss von Landwirten und Handwerkern/Gewerbe/Bürgern“, sondern auch: „fehlgeschlagene Migrationspolitik, und nun auch Landwirtschaftspolitik“. Das Stichwort Migration wird allerdings im Flyer nicht erwähnt. Die Verknüpfung des Bauernprotestes mit dem Thema Migration stößt nach Wokreisel-Informationen vielen Bauern auf. In den Tagen vor der Demo gibt es einige Telefonate zwischen Branchenvertretern, Partnern und Organisatoren. „Aufklären und Sensibilisieren“, so das Ziel dieser Gespräche. Manche schlagen auch vor, die Versammlung abzusagen – aus Sorge davor, dass sich rechtsextreme Gesinnungen daruntermischen würden. 

 

Am 13. Januar fahren schließlich rund 80 Traktoren und 150 Firmenwagen anderer Branchen sowie private PKW durch Lübben. Viele von ihnen hupen trotz anderslautender Auflagen der Polizei auch vor Krankenhäusern und ähnlichen Einrichtungen. Mehrere Hundert Menschen sind vor Ort. Etwas weniger Menschen hatten sich zur Gründung der BI im Frühjahr 2023 in Lübben eingefunden. Die Flyer waren damals in den Farben der AfD gestaltet, und AfD-Mitglieder hielten bei dieser und weiteren Veranstaltungen der BI Ansprachen, darunter der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Christoph Berndt und der AfD-Landratskandidat Steffen Kotré. Bei einer Demonstration am 11. November nutzte die BI die Infrastruktur der Abschlusskundgebung des AfD-Landratskandidaten auf dem Lübbener Marktplatz, während nebenan die Kirchengemeinde ihren Martinsumzug veranstaltete. Die AfD versuchte, dort Flyer zu verteilen. Es gab Drohungen in Richtung einzelner Umzugsteilnehmer.

 

Bauern organisieren nicht mehr mit

Inzwischen gibt sich die BI betont unparteilich. Auch die Farben der Infomaterialien sind andere geworden. „Ohne parteipolitische Ausrichtungen und / oder rechtswidrige Banner/Parolen“ möchte die BI am kommenden Montag in Lübben demonstrieren – ob in Analogie zu den Montagsdemos von 1989, den Montagsspaziergängen in der Zeit der Corona-Lockdowns oder aktuellen Montagsdemos etwa in Königs Wusterhausen, bleibt offen. Der BI gehe es um eine „Neuausrichtung der Politik und gelebte Demokratie“. Man wolle „Klartext reden“. Die BI führe zusammen: „Bauern, Handwerk & Gewerbe“. 

 

„Als Verband können wir in Lübben nicht mehr einschätzen, ob es um die Sache geht oder die Bürger rechte Gesinnung haben.“
Heiko Terno, Vizepräsident des Brandenburger Bauernverbandes

 

Doch die Bauern sind diesmal gar nicht als Anmelder oder Organisatoren mit an Bord. „Als Verband können wir in Lübben nicht mehr einschätzen, ob es um die Sache geht oder die Bürger rechte Gesinnung haben“, begründet Heiko Terno, Vizepräsident des Brandenburger Bauernverbandes, warum die Bauern Abstand von der Demo der BI „Unser Lübben“ nehmen. Er hatte bereits vor der Demo am 13. Januar empfohlen, diese abzusagen, damit das „nicht aus dem Ruder” laufe. „Wenn die Rechten sich dazuorganisieren, das bekommt man nicht gehandelt”, war sich der Landwirt damals sicher.

 

Was die AfD will - Erklärung der Landeschefs

Derweil empfiehlt Hans-Christoph Berndt auf seinem Facebook-Profil die Demo der Lübbener BI am kommenden Montag. Berndt ist einer der Fraktionsvorsitzenden der AfD der östlichen Bundesländer, die kürzlich – offenbar als Reaktion auf eine Recherche des Journalisten-Netzwerks Correctiv – bekannt gegeben haben, welche Ziele sie verfolgen: Die Partei wolle nicht nur „illegale Einwanderung“ rückgängig machen und die Anreize dafür senken sowie den „Assimilationsdruck“ bzw. Heimkehranreize für „nichtintegrierte Ausländer“ erhöhen, sondern vor allem das vor dem Jahr 2000 geltende Staatsangehörigkeitsrecht wiederherstellen. Dauerhaft in Deutschland lebende Ausländer könnten sich dann nicht mehr, wie heute, unter bestimmten Voraussetzungen einbürgern lassen. Kinder wären bei der Geburt nur dann deutsch, wenn mindestens ein Elternteil deutsch ist. 

 

„Mit einem vermeintlich bürgerlichen Auftreten trägt ‚Zukunft Heimat‘ dazu bei, rechtsextremistische Inhalte zu normalisieren und gesellschaftlich anschlussfähig zu machen.“
aus dem Verfassungsschutzbericht Brandenburg für 2022

 

„Wir werden beginnen, sobald wir in Regierungsverantwortung stehen. Deutschland muss wieder deutscher werden“, schreiben die AfD-Fraktionsvorsitzenden, darunter neben Hans-Christoph Berndt auch Björn Höcke. Letzterer wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft, und auch der von Hans-Christoph Berndt 2015 in Golßen gegründete Verein „Zukunft Heimat“ wird vom Verfassungsschutz Brandenburg seit dem Frühjahr 2020 als „erwiesen rechtsextremistische Bestrebung“ beobachtet. „Mit einem vermeintlich bürgerlichen Auftreten trägt ‚Zukunft Heimat‘ dazu bei, rechtsextremistische Inhalte zu normalisieren und gesellschaftlich anschlussfähig zu machen“, so die Einschätzung der Verfassungsschützer in ihrem Bericht für 2022. Vom Rechtsextremismus „gehen die schwerwiegendsten Bedrohungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus. […] Verschärfend kommt hinzu, dass insbesondere rechtsextremistische Akteure das Ziel verfolgen, die Mitte der Gesellschaft ideologisch zu durchdringen.“

 

Windenergie: mit oder ohne Einnahmen für die Gemeinde?

Zurück in Halbe. Die Gemeindevertreter haben im Dezember unter Protest von Einwohnern und nach einer turbulenten Einwohnerfragestunde mit teils groben Beleidigungen gegen den Bürgermeister die Aufstellung eines B-Plans für einen Windpark bei Freidorf beschlossen. Die Gegend gehört zum Naturpark Dahme-Heideseen. Seit Frühjahr 2023 können Investoren aufgrund einer geänderten Landesgesetzgebung auch ohne Bauleitverfahren, sondern nur via Bauantrag, Windenergieanlagen in Landschaftsschutzgebieten aufstellen – beispielsweise an emissionsbelasteten Rändern wie Autobahnen. 

 

In so einem Fall würde die finanzielle Beteiligung der Gemeinde am Gewinn in Höhe von 0,2 Cent pro Kilowattstunde nicht greifen. Außerdem sind normalerweise 10.000 Euro pro Jahr und Windkraftanlage vorgesehen. „Wenn schon so viel Geld im Markt ist, dann auch zum Wohle unserer Gemeinde”, begründet Bürgermeister Ralf Kunze, warum er das Bauleitverfahren und somit eine Vereinbarung mit dem Investor darüber anstrebe, wie die Gemeinde an den Einnahmen beteiligt wird. Man wolle gestalten und in Radwege, die Kita und mehr investieren, sagen auch andere Gemeindevertreter.

 

Jede Menge Gegner für Windpark

Gleichwohl gibt es jede Menge Gegner zum Thema Windpark. Ob man die Natur verkaufen wolle, nur weil die Gemeinde Geld brauche, fragt eine Einwohnerin die Gemeindevertreter in der Januar-Sitzung. Auch der örtliche Nabu-Verband bringt Argumente gegen den Aufstellungsbeschluss der Gemeindevertreter vor. Aus dem Ortsteil Freidorf haben 90 Menschen einen Antrag auf Einwohnerbefragung unterschrieben und Reinhard Golibersuch zu ihrer Vertrauensperson gewählt. Reinhard Golibersuch ist nicht irgendwer. Aus Berlin, dort in den 1980er Jahren in der Neonazi-Szene unterwegs, war er einst nach Freidorf gezogen. In Halbe soll er in die einstigen Aufmärsche Rechtsextremer am Waldfriedhof, der größten noch aktiven Kriegsgräberstätte in Deutschland, involviert gewesen sein. 

 

Bettina Golibersuch, ebenfalls aus Freidorf, hat mit einem Flyer um Unterstützung beim Protest geworben. Sie sei „zutiefst erschüttert“ von der Gemeindevertretersitzung im Dezember. „Was wir alle aus der ‚großen Politik‘ kennen, hat sich dort auf der niedrigsten Ebene genauso abgespielt“, schreibt sie. Sie beschreibt die Auseinandersetzung mit Ortsvorstehern und Gemeindevertretern und stellt schließlich fest: „Dieses Possenspiel zeigt deutlich, dass sich endlich etwas ändern muss. Im Kleinen wie im Großen.“ Sie lädt jene, die etwas ändern wollten, dazu ein, sich bei ihr zu melden: „Es wird Zeit für eine neue Zeit.“ Was genau und wen sie mit ihrem Schreiben erreichen wolle, wollten wir per E-Mail von ihr wissen. Es gab keine Antwort.

 

Nabu will "Volkszorn wecken"

Für Matthias Rackwitz, Gemeindevertreter im benachbarten Ort Groß Köris und Vorsitzender des örtlichen Naturschutzbundes (Nabu), geht es beim Thema Windenergie „weder um NPD noch Afd noch irgendwelchen anderen Blödsinn – es geht auch um das Engagement des NABU Dahmeland e.V. zur Freihaltung einiger Restflächen vor Zerstörung“. Als Vorsitzender des Nabu hat er die Online-Petition „Keine Windkraftanlagen im Naturpark und Landschaftsschutzgebiet Dahme-Heideseen!“ gestartet. Doch welche politische Entscheidungsebene er damit erreichen wolle, ist unklar. „Landesumweltamt, Landkreis, politische Volksvertreter“, heißt es auf der Petitionsseite. Er wolle „den Volkszorn wecken“, sagt Matthias Rackwitz. Am 7. Januar habe er eine Bürgerinitiative gegründet, „Mitgliederzahl dynamisch, 2 Sprecher:innen“. 20 bis 30 Personen seien bei der Gründung dabei gewesen. Die Formulierung „Volkszorn“ hält der Nabu-Landesverband Brandenburg indes für inakzeptabel und distanziert sich davon.

 

„Es geht hier nicht mehr um eine selbstbestimmte Vertretung und Partizipation.“
Ralf Kunze, Bürgermeister von Halbe

 

Bürgermeister Ralf Kunze versucht die Gemengelage durch einen politischen Kniff aufzulösen oder besser: deren Lösung zu verschieben. Er habe nach der Dezember-Sitzung begriffen, sagte er in einer persönlichen Erklärung zu Beginn der Januar-Sitzung, „was das für eine Veranstaltung“ war. Er wolle „kein Blitzableiter für Berlin“ sein. Weniger habe ihn getroffen, dass ihn Auswärtige beleidigt hätten, sondern dass auch Einheimische eingestimmt hatten. „Es geht hier nicht mehr um eine selbstbestimmte Vertretung und Partizipation“, so seine Schlussfolgerung. Deshalb werde die Einwohnerschaft mit der Kommunalwahl am 9. Juni auch darüber abstimmen, wer die nächsten Entscheidungen für die Gemeinde trifft, kündigte Ralf Kunze an. Das Bauleitverfahren soll bis dahin ruhen, die Gemeindevertreter wollen für weitere Informationsveranstaltungen sorgen.

 

Reinhard Golibersuch hält diese Variante für keine gute Idee und kritisiert, dass die Entscheidung über den Windpark mit anderen politischen Fragen verknüpft werde. Für ihn gehe es um die eine Frage: Entscheidungsfrage beinhalten soll: “Sind die Einwohner der Gemeinde für Windindustrie in im Naturpark Dahme-Heideseen?” Der Bürgermeister und die Gemeindevertreter von Halbe votieren schließlich mehrheitlich gegen die Einwohnerbefragung, aber zu dieser Zeit sind zahlreiche Bürger schon nicht mehr anwesend. Beim Rausgehen führt sie ihr Weg just an dem Tisch vorbei, auf dem das Informationsblatt und die Mitgliedsanträge der AfD liegen. 


* Wir haben mit drei Vertretern der BI „Unser Lübben“ persönlich gesprochen und ihnen anschließend die Möglichkeit gegeben, die verwendeten Zitate, nicht jedoch den kompletten Text, einzusehen. Das ist im Journalismus nicht unbedingt üblich, erhöht bei Medien-unerfahrenen Menschen aber die Bereitschaft, überhaupt ein Gespräch mit Journalisten zu führen. Doch die Vertreter der BI wollten im Nachhinein zu viele Passagen anders verstanden wissen oder umformuliert haben. Deshalb haben wir die Gesprächsinhalte für diesen Text nicht verwendet.

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Veröffentlichung

Do, 25. Januar 2024

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