Steffen Kotré (AfD) und Sven Herzberger (parteilos) gehen in die Stichwahl um das Landratsamt Dahme-Spreewald – in dieser Reihenfolge. Der AfD-Kandidat konnte vor allem im ländlichen Raum punkten. Waren es nur Bundesthemen, die sich niedergeschlagen haben?
Von Dörthe Ziemer
„Ich bin erstmal verstummt“, berichtet Katja Klugewitz aus Zeuthen von ihrem Wahlabend. „Und ich bin überrascht, wie viele Leute einen so schwachen AfD-Kandidaten gewählt haben. Abgesehen von seiner politischen Grundhaltung kam da inhaltlich rein gar nichts. Er lebt noch nicht mal im Landkreis“, kritisiert die Königs Wusterhausener Ärztin, die gemeinsam mit Kollegen und mit finanzieller Unterstützung des Landkreises Dahme-Spreewald vor kurzem ein Weiterbildungsnetzwerk gegründet hat, um junge Ärzte in den Landkreis zu holen und hier zu halten. Steffen Kotré möchte diese Kritik, die auch beim letzten Wahlkreisel am vergangenen Donnerstag mehrfach geäußert wurde, nicht auf sich sitzen lassen. Er habe sehr wohl seine Politik für den Landkreis skizziert, nur sitze die Bundespolitik eben am größeren Hebel. „Ein Landrat kann da vielleicht korrigieren“, schränkt er ein. Aber Themen wie Inflation und Energiepreise seien eben Bundespolitik.
AfD punktet im ländlichen Raum
Steffen Kotré (AfD) führt im Ergebnis der gestrigen Wahl mit 35,3 Prozent, gefolgt von Sven Herzberger (parteilos, unterstützt von CDU, FDP, Linken und Unabhängiger Bürgerliste UBL) mit 34,8 Prozent und Susanne Rieckhof (SPD, unterstützt von den Grünen) mit 29,9 Prozent. Mit Blick auf ihre Heimatgemeinde Zeuthen atmet Katja Klugewitz auf: Dort hat Sven Herzberger 42 Prozent der Stimmen geholt, gefolgt von der SPD-Kandidatin Susanne Rieckhof mit 33,7 Prozent und Steffen Kotré mit 24,4 Prozent. In Zützen und Neuendorf am See holte letzterer jedoch über 60 Prozent, häufig auch über 50 Prozent, wie in Klein Köris. Zützen und Neuendorf am See waren schon 2015 durch einen hohen Zuspruch für den damaligen AfD-Kandidaten aufgefallen. Damals wurden dort gerade Flüchtlingsunterkünfte eingerichtet.
Auszählung der Briefwahl im Landratsamt. Foto: Karen Ascher
Ihm seien jedoch keine Probleme aus Zützen und Neuendorf am See bekannt, sagt Roland Gefreiter, Bürgermeister der Gemeinde Schönwald und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft ehrenamtlicher Bürgermeister beim Städte- und Gemeindebund Brandenburg. Er verstehe nicht ganz, warum die AfD im ländlichen Raum so punkten konnte – mit einer Ausnahme: Viele Menschen mit Häusern und Eigenheimen verspürten derzeit eine große Verunsicherung, sagt er: „Viele Häuser stehen derzeit zum Verkauf, und es gibt viele Fragezeichen bezüglich Dämmung, neuem Dach und Heizungsform.“ Das neue Baugebiet in Schönwalde sei zu 100 Prozent mit Reservierungen belegt, 15 Grundstücke stünden leer, weil die Finanzierung unsicher sei, sagt Roland Gefreiter: „Für mich ist klar, dass die Regierungsparteien abgestraft wurden.“
Bundesthemen oder Sympathie für rechts?
Steffen Kotré glaubt, dass „die schlechte Politik der Bundesregierung“ im ländlichen Raum stärker durchschlage, zumal dort weniger gute Jobs verfügbar seien. Ähnlich sieht es Sven Herzberger: „Dass die AfD im ländlichen Raum besonders stark ist, liegt sicherlich auch daran, dass die Herausforderungen mit den aktuellen Krisen vor allem Bundesthemen und dort noch unmittelbarer zu spüren sind.“ So habe ein Bäckermeister „große Herausforderungen, mit den erheblich gestiegenen Strompreisen umzugehen und gleichzeitig noch erschwingliche Produkte herzustellen und zu verkaufen“.
Stefan Faust, Kreisvorsitzender von Bündnis 90/Grüne, hält das für zu kurz gegriffen. „Steffen Kotré hat selbst gestaunt, wie gut er im Norden abschnitt“, sagt er, der AfD-Erfolg sei also mitnichten nur ein Phänomen des ländlichen Raumes. Er verweist auf ein strukturelles Problem: Heute seien „Dinge aus dem rechten Milieu zu hören, die man früher nicht gesagt hätte. Da wählen die Leute lieber gleich das Original“. Es dränge sich ihm der Eindruck auf, dass immer mehr Menschen kein Problem damit hätten eine Partei zu wählen, die als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werde und die mit Faschisten sympathisiere.
Sven Herzberger (parteilos)
Susanne Rieckhof (SPD)
Steffen Kotré (AfD)
„Es ist auch zu einfach zu sagen, alle hätten ein Problem mit uns Grünen“, sagt der Kreisvorsitzende. „Es ist eher so, dass alle über unsere Themen reden und uns Dinge zugeschrieben werden, die wir gar nicht so wollen: Gendergebot, Fleischverbot und so weiter.“ Für den Kreis sei die Stimmung in Bezug auf die Grünen schwer zu beurteilen, sagt Stefan Faust. Susanne Rieckhof berichtet aus ihrem Wahlkampf, dass viele Menschen nicht gut auf die Grünen zu sprechen seien. „Gemessen daran und am Bundestrend der SPD sind knapp 30 Prozent doch gut“, sagt sie zu ihrem Wahlergebnis. „Nur reicht das für mich persönlich leider nicht.“ Vor dem Hintergrund, dass Sven Herzberger mit CDU, FDP, Linken und UBL gleich mehrere Parteien bzw. Listen hinter sich versammelte, sei der Abstand von 4,9 Prozentpunkten auch nicht eben groß, stellt sie weiter fest.
Wahlbeteiligung in Schönefeld niedrig, im Dorf hoch
Dennoch zeigt sich die unterlegene Kandidatin bisweilen ratlos. „Den allermeisten Menschen im Landkreis geht es doch gut“, sagt Susanne Rieckhof. Die Arbeitslosigkeit sei mit 3,7 Prozent eine der niedrigsten überhaupt, große Firmen hätten sich angesiedelt, die Lebensqualität sei hoch. Sie habe viele positive Rückmeldungen aus den Gesprächen vor Ort erhalten. „Nur schafft man es in einem Landkreis eben nicht, überall Wahlkampf zu machen“, sagt sie. Das war offenbar auch in Schönefeld der Fall, schätzt zumindest Solveig Schuster, Pressesprecherin der Gemeinde ein. In der Boom-Gemeinde im Norden, wo die Kandidierenden fast jeder ein Drittel der Stimmen holten, lag die Wahlbeteiligung gerade einmal bei gut 31 Prozent – so niedrig wie nirgendwo. Im Durchschnitt betrug sie gut 50 Prozent. „Vom Wahlkampf um das Landratsamt war hier vor Ort kaum etwas zu spüren“, sagt sie. „Einige wenige Plakate in den Ortsteilen reichen dann leider nicht, um die Menschen für die Wahl zu interessieren und entsprechend zu mobilisieren.“
Auszählung im Kreistagssaal in Lübben. Foto: Karen Ascher
Die in Schönefeld vergleichsweise niedrige Wahlbeteiligung habe sicher auch mit dem hohen Zuzug zu tun, schätzt die Pressesprecherin weiter ein – „und damit, dass die Menschen hier zuvorderst die Probleme vor der eigenen Haustür sehen“. Sie verweist auch darauf, dass Schönefeld der Grünen-Politikerin Sabine Freund eigentlich eine eigene Kandidatin im Rennen gehabt hätte, mit der der Wahlkampf in der Gemeinde vielleicht anders verlaufen wäre. Sabine Freund war im April überraschend verstorben, die Grünen unterstützten daraufhin Susanne Rieckhof. „Die Politik des Landkreises wird an den unmittelbaren Standorten in Lübben und Königs Wusterhausen spürbarer, nicht so sehr in Schönefeld, wenn wir einmal von dem aktuellen Gymnasiumsbau des Landkreises hier vor Ort absehen“, lautet eine weitere Vermutung von Solveig Schuster zur niedrigen Wahlbeteiligung.
Mobilisierungspotenzial der AfD
In vielen ländlichen Gemeinden lag die Wahlbeteiligung hingegen zum Teil weit über dem Durchschnitt von 50,8 Prozent – für eine Landratswahl ein guter Wert, verglichen etwa mit der letzten vor acht Jahren, wo rund 37 Prozent der Wahlberechtigten abstimmten. In Märkische Heide lag sie diesmal etwa bei 63 Prozent. Doch dürften auch dort die Landkreis-Themen keine entscheidende Rolle gespielt haben, wie sich an den Zustimmungswerten für Steffen Kotré zeigt: In Märkische Heide kam der AfD-Kandidat auf überdurchschnittlichen 44,5 Prozent. Das deutet auf ein hohes Mobilisierungspotenzial der AfD jenseits von relevanten Kreisthemen hin. „Vieles liegt im Argen in unserem Land. Die Wut ist groß, der Sorgen sind viele auch in unserem schönen Landkreis“, sagt Sven Herzberger. Er wisse, „dass nicht wenige Wählerinnen und Wähler aus Protest die AfD gewählt haben“.
Susanne Rieckhof schlussfolgert: „Auch wir müssen noch mehr raus in die Fläche, Präsenz zeigen. Häufig sind wir doch in unserer eigenen Blase, gucken uns an und erzählen uns, wie schrecklich wir das alles finden.“ Gestützt wird dieser Eindruck beispielsweise durch das Ergebnis des Luckauer Ortsteils Gießmannsdorf. Dort hatte Ortsvorsteher Uwe Vogt (UBL) zu einer Vorstellungsrunde mit Sven Herzberger eingeladen. Der Parteilose gewann schließlich im dortigen Wahllokal mit 64,2 Prozent vor Steffen Kotré 21,9 Prozent und Susanne Rieckhof mit 13,9 Prozent.
SPD und Grüne unterstützen Herzberger
Die bisherigen Unterstützer Sven Herzbergers feiern ihren Kandidaten für sein Ergebnis. Mit dem einstweiligen Sieg der AfD setzen sie sich öffentlich nicht auseinander. „Im Landkreis Dahme-Spreewald wurde heute Politikgeschichte geschrieben“, meint die CDU-Bundestagsabgeordnete Jana Schimke auf ihrer Facebookseite. „Zum ersten Mal seit 33 Jahren wurde die SPD abgewählt.“ Es folgt ein Daumen nach unten. „Filz und Klüngel haben nun ein Ende“, schreibt sie weiter. In die Stichwahl wird Sven Herzberger dennoch mit Unterstützung der SPD und voraussichtlich auch der Grünen gehen. Ersteres hatte Susanne Rieckhof ihm bereits am Wahlabend zugesichert. „Dafür habe ich ihr aufrichtig gedankt“, teilt Sven Herzberger mit. Für ihn sei es von Anfang an nicht um ein „Gegen“ gegangen, sondern um „um eine Art Verwaltung zu führen und politische Meinungen zu äußern, die verbindet und nicht spaltet“.
Wahlabend im Landratsamt, Landrat Stephan Loge. Alle Fotos: Karen Ascher
Die Grünen beraten heute Abend im Vorstand über den weiteren Weg. „Doch es ist nichts anderes vorstellbar, als dass wir zur Wahl von Sven Herzberger aufrufen“, sagt Stefan Faust. „Dahme-Spreewald ist einer der erfolgreichsten Landkreise in Deutschland, und zwar, weil sich demokratische Parteien seit 30 Jahren hier vor Ort engagieren, und nicht, weil die AfD seit 2019 im Kreistag Opposition macht.“ Das ist auch das Credo von Stephan Loge. Weil er noch vier Monate im Amt ist, ist dem Landrat eigentlich nicht nach Rückblicken zumute. Trotzdem sagt er: „Meine Generation hat den Landkreis jahrzehntelang zusammengehalten.“ Ihm sei in daran gelegen gewesen zu vermitteln, dass seine Stellvertreterin Susanne Rieckhof die Probleme im Landkreis kenne und sie zu lösen wisse. „Mehr kann ich nicht tun als Landrat“, sagt er. Susanne Rieckhofs Amtszeit als Erste Beigeordnete dauert bis 2027. Und sie habe nicht vor, diese vorzeitig zu beenden, kündigt sie an.
Was für Katja Klugewitz nach dem Wahlabend bleibe, seien Scham für das Ergebnis und Sorge um die Außenwirkung, sagt sie: „Welche ausländischen Ärzte oder neue Firmen wollen sich denn in so einem Landkreis niederlassen?“ Sie selbst sei auch nicht bereit, sich über ihren ärztlichen Versorgungsauftrag hinaus für einen Landkreis zu engagieren, an dessen Spitze ein AfD-Landrat sitze.