Sonntagmittag
Strahlender Sonnenschein in Lübben. Der Marktplatz sieht freundlich aus bei diesem Wetter.
Etwa ein Dutzend Traktoren und andere Fahrzeuge blockiert Zufahrtsstraßen zum Lübbener Marktplatz. Menschen beginnen, den Marktplatz mit weiß-rotem Flatterband abzusperren. Das Flatterband gilt inzwischen als Band, das Traktoren, Transporter und PKW verbindet und für verschiedene Forderungen an die Politik steht. Es wird als Autoschmuck und Armbinde getragen.
Erste Vertreter des Veranstalters der Demo „Für Demokratie und Vielfalt“ kommen auf den Marktplatz. Die Initiative „Buntes Lübben“ ist ein Zusammenschluss mehrerer Einzelpersonen. Unterstützt werden sie beispielsweise vom Kreissportbund, vom HC Spreewald, von der Gewerkschaft Verdi, von der evangelischen Kirchengemeinde sowie SPD, Linken und Grünen.
Nach 13 Uhr
Inzwischen sind der Bürgermeister, der Ordnungsamtsleiter und die Polizei eingetroffen. Die Halter der Fahrzeuge werden gebeten, diese am Rand zu platzieren und das Flatterband abzunehmen. Man wolle sich der Demo anschließen, weil man gegen rechts ist, sagen die Fahrzeughalter. Die Polizei erklärt, dass die Demonstration öffentlich sei und dass es zugleich legitim sei, wenn der Veranstalter erkläre, dass nicht alle Botschaften an den Traktoren zum Versammlungsziel passten. Die Gesprächsatmosphäre wird unterschiedlich als mehr oder weniger kommunikativ wahrgenommen. Auch Vertreter der Bürgerinitiative „Unser Lübben – Wir wollen keine Containerdörfer“ sprechen mit dem Veranstalter.
Der Veranstalter hat nach eigener Aussage nichts gegen eine Teilnahme der Fahrzeughalter an der Demo und lädt einen Vertreter ein, am Mikrofon zu sprechen – unter der Bedingung, dass Transparente, die nichts mit dem Versammlungsziel zu tun haben, abgenommen werden. Dazu zählt in den Augen des Veranstalters beispielsweise die umgedrehte Deutschlandflagge, gegen die Ampel gerichtete Transparente und ähnliches.
Der Brandenburgische Bauernverband, so ist am Tag darauf von Vizepräsident Heiko Terno zu erfahren, weiß nicht, in wessen Namen die Traktoren aufgefahren sind. „Das können keine Bauern von uns sein“, sagt er. Bei ihm stehen die Telefone nicht still, viele wollen wissen, was da auf dem Marktplatz los war. „Wir distanzieren uns klar davon“, sagt Heiko Terno. „Das ist unserer Sache nicht dienlich.“
Kurz vor 14 Uhr
Der Marktplatz hat sich gefüllt. Menschen jedes Alters sind gekommen, darunter viele Kinder. Viele Menschen, die sonst nicht demonstrieren. Bunte Transparente sind zu sehen, es werden Luftballons mit Helium gefüllt. Es erklingt Welt-Musik. Mehrere Demo-Teilnehmer zeigen sich angesichts der Traktoren irritiert.
„Wir überlegen gerade, ob es eine Demo für Bauern oder gegen Rechts ist“, sagt Edelgard Buchholz aus Lübben. Sie und ihren Mann habe der Titel der Demo „Für Demokratie und Vielfalt“ angesprochen und sie wollten ihre Solidarität bekunden gegen Rechts, deshalb seien sie hier. „Die Regierung so schlecht zu machen, ist nicht gut“, sagen sie. „Es ist aber auch nicht gut, gegeneinander zu sein.“ Es sei wichtig, die Demokratie auch mal zu erneuern. Arno Buchholz kritisiert, dass sie so wenig Rente bekämen. Zur Demo der Traktorfahrer sagen sie: „Schimpfen kann man schnell, aber die Landwirte bekommen doch viele Vergünstigungen und haben in den letzten zwei Jahren Gewinne gemacht.“
Nicole aus Schönwalde ist mit ihrer Familie und Freunden gekommen, ihre Kinder haben bunte Schilder gemalt. „Wir sind hier, weil es viele Leute gibt, die rechtes Gedankengut in sich tragen“, sagt sie. „Speziell in unserer Region ist das ein Problem, und die Bauern werden vorgeschoben, wie man sieht.“ Sie wolle aber eine Zukunft für ihre Kinder, „die frei, weltoffen und friedlich ist“. Ihr Mann ergänzt: „Wir als Gesellschaft haben doch die Verantwortung, dass wir die gleichen Fehler nicht noch einmal machen.“
Die Demo am Sonntag in Lübben. Fotos: Dörthe Ziemer
14 Uhr
Die Demo beginnt gleich. Die Traktorfahrer haben bei der Polizei eine Eilversammlung angemeldet. Diese hat ihnen einen anderen Versammlungsort, nämlich die gegenüberliegende Markplatzseite zugewiesen bekommen. Polizeiautos sorgen für Abstand, man kann hindurchlaufen.
An der langen Holzbank steht Kristin Lehmann aus Märkisch Buchholz. „Wir stehen hier dafür, dass wir Bauern nicht rechts sind“, sagt sie. Es habe sich gelohnt zu kommen, denn „hier kann man sich seine eigene Meinung bilden“. Es müsse sich eine Menge ändern im Land, sagt sie. Sie habe drei Kinder und sie wolle, dass diese eine Perspektive haben im Land und dass sie sich „von ihrer Hände Arbeit ernähren“ könnten. „Es gibt viel zu viele Abgaben und Steuern“, kritisiert sie.
Carsten Hille aus Märkische Heide steht weiter vorn. Er findet es mutig, dass Menschen zusammengekommen seien, die das AfD-Programm nicht unterstützen. „Und eigentlich ist deren Programm ja auch gegen die Bauern gerichtet“, stellt er fest. Darüber müsse man aufklären. „Wir müssen in Gespräche eintreten“, sagt er, damit bei Entscheidungen viele Argumente berücksichtigt werden könnten. Da müssten alle mit ins Boot, auch die Bürgerinitiative.
Shan Metz, die Anmelderin der Demonstration begrüßt die Teilnehmer. „Wir stehen hier für eine friedliche Demokratie und für Vielfalt, wer sich dort nicht sieht, möge bitte gehen und uns unsere Veranstaltung machen lassen“, sagt sie.
Nach 14 Uhr
Mehrere Redner aus den Bereichen Zivilgesellschaft, Sport, Kultur und Jugend sprechen. Es geht um Gleichgültigkeit als Gefahr für Demokratie, um Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde als Basis des Zusammenlebens. Es geht um gemeinsames Musizieren, das sich nicht durch die Nationalität definieren darf, und es geht darum, dass sich nicht immer der Lauteste durchsetzt, sondern die beste Idee.
Auch Stephan Schötz als „Vertreter der Landwirte“ wird ausgerufen. Der Veranstalter hat sich offenbar nicht weiter an den nicht abgenommenen Transparenten gestört. Doch Stephan Schötz kommt nicht zum Mikrofon.
Bei den Rednern geht es jetzt um um die Kompromissfähigkeit in einer Demokratie, ums Zuhören und Vor-Ort-Sein. Es geht um die zerstrittene Bundesregierung, deren Entscheidungen nicht immer verstanden und für gut befunden werden.
Die Reden gehen weiter. Es wird dazu aufgerufen, sich nicht von der AfD verführen zu lassen, und dazu, sich einzubringen in Parlamenten und Gremien und dazu, wählen zu gehen. Es wird aufgerufen, nicht länger zu schweigen bei Hass und Hetze und unangebrachten Kommentaren.
Mehrfach erwähnt werden die Recherchen des Journalistennetzwerks Correctiv, mit denen „Remigrationspläne“ aufdeckt wurden, die weit über die bisher bekannte Programmatik der AfD hinausgehen und die Ausweisung hunderttausender Menschen aus Deutschland bedeuten würden. Die AfD bestätigt die Pläne vielfach. Rechtes Gedankengut sei in der Mitte der Gesellschaft angekommen, sagt eine Rednerin.
Die Rednerin stimmt den antifaschistischen Ruf „Alerta, Alerta Antifascista“ (Achtung, Achtung, Antifaschisten) an, viele Demonstrierende stimmen ein. Das kommt nicht bei allen gut an – am wenigsten bei den Demonstrierenden auf der anderen Marktseite. Auch die Antifa-Fahne findet nicht jedermanns Zuspruch.
Die Sonntagsdemo aus Blickrichtung der Eilversammlung.
Gegen 14.30 Uhr
Das ZDF ist bei der Demo auf der anderen Marktseite. Stephan Schötz, Inhaber einer Straußenfarm in der Mitte des Landkreises, wird interviewt. Zahlreiche Demonstrierende umringen das Team und filmen mit. Ein Demonstrant ruft von der Seite: „Ey, sprecht nicht mit dem Gesocks.“
„Die AfD ist eine Partei in Deutschland, die im Osten von 33 Prozent der Menschen gewählt wird“, sagt Stephan Schötz. „Die Urteile über die AfD überlasse ich den Instrumenten, die eine Demokratie dafür vorgesehen hat. Wir haben den Verfassungsschutz und das Verfassungsgericht.“ Man solle, sagt er, sich nicht so an Einzelheiten hochziehen, dass man von Polizeiautos getrennt werde. Die Bauern seien da um zu zeigen: „Wir sind nicht die dummen Bauern vom Feld, die nichts anderes können als mit ihren Treckern Lärm zu machen“. Man sei da, weil man die Demokratie schützen und stützen wolle, dafür brauche es jedoch Kompetenz und Visionen. Die umstehenden Demonstrierenden applaudieren, eine bittet um „objektive Berichterstattung“.
Ich frage Stephan Schötz, warum er nicht am Mikrofon war. Er habe nicht sprechen dürfen, sagt er. Außerdem stelle die Antifa-Fahne für ihn eine Grenze dar, ebenso wie der „Alerta“-Spruch, der allerdings erst nach seiner geplanten Redezeit erschallte.
Kurz vor 15 Uhr
Die letzten Reden werden gehalten. Zwischendrin umrunden einige PKW den Marktplatz, einer hat laute Musik an. Auf einem steht „Impfgegner/Opfer“ und „Frieden mit Russland“.
Landrat Stephan Loge erinnert die Demonstrierenden an Recht und Gesetz – beispielsweise daran, dass es für die vergangenen Traktor-Demos in Lübben Auflagen gegeben habe, nicht vor Krankenhäusern, Pflege- und Seniorenheimen, Kitas und Kirchen laut zu hupen. Das sei ignoriert worden. Demokratie sei etwas Schwieriges, sagt er – auch im Kreistag sei viel gestritten, aber auch vieles erreicht worden. Daher sei Demokratie das beste, „was Politik mit Menschenwürde verbinden“ könne. Ohne Demokratie und Rechtsstaatlichkeit würde es beispielsweise auch die Proteste so nicht geben.
Der Landesschülersprecher, ein Lübbener, sagt schließlich, dass die Demokratie nicht nur in Klassenzimmern, sondern überall in den Kommunen erlernt werden müsse und könne.
Zum Ende der Demo greift Stephan Schötz zum Megafon.
Nach 15 Uhr
Die Demo ist beendet, es wird zum Friedensgebet in die Paul-Gerhardt-Kirche eingeladen.
Stephan Schötz greift zum Megafon und lädt zur Demo am Folgetag ein. „Wir haben die Schnauze voll“ ruft er – und dass „wir die echten Demokraten“ seien. Die Traktoren und anderen Fahrzeuge fahren laut hupend vom Platz.
Die Andacht wird von Gemeindemitgliedern gestaltet, sie ist dialogisch aufgebaut. Die Gemeinde singt einen Kanon: „Meinen Frieden gebe ich euch. Euer Herz verzage nicht.“
Friedensgebet in der Paul-Gerhardt-Kirche.