Angenommen, der Strukturwandel ist ein Marathon… Dann habe man sich gerade warmgelaufen, sagt die Landschaftsplanerin Heidi Pinkepank. Im Interview lobt sie, dass neben investiven inzwischen ideelle Maßnahmen und Prozesse gefördert werden. Doch es bleibt: ein Marathon, der ermüdend sein könnte.
Zehn Millionen Euro geben Bund und Länder für den Strukturwandel in der Lausitz aus: weg von der Kohleregion zu einer Region mit grüner Energie und neuen Wirtschaftsschwerpunkten wie Wasserstoff und Gesundheit. Knapp 80 Projekte aus Kommunen sind bereits im Rennen um die Fördermittel, darunter so prominente wie das Bahnwerk in Cottbus und die dortige Universitätsmedizin, die in die gesamte Lausitz ausstrahlen soll. Für Dahme-Spreewald wurde bislang eine Machbarkeitsstudie für ein Besucherinformationszentrum in Lübben erarbeitet, das unter dem Namen „Wasserreich Spree“ bekannt ist. Hierfür wurden bereits Mittel bewilligt. Außerdem will die Stadt Luckau ein unsichtbares 5G-Netz in Straßenlaternen aufbauen. Das Projekt hat noch keinen Bewilligungsbescheid. Außerdem dürfte für die Region der zweigleisige Ausbau der Bahn zwischen Lübbenau und Cottbus und der Ausbau des Bahnhofs Königs Wusterhausen bedeutsam sein.
Über das Bundesprogramm Stark („Stärkung der Transformationsdynamik und Aufbruch in den Revieren und an den Kohlekraftwerkstandorten“) fließen weitere Mittel in die Region – etwa über ein Projekt der Bürgerregion Lausitz, das sich an mehreren Knotenpunkten die Entwicklung von mehr Bürgerbeteiligung zum Ziel gesetzt hat, über das Kulturprojekt Lausitziade, das mehrere partizipative Veranstaltungsreihen in der Lausitz plant, sowie über ein Entwicklungsprojekt für den Tourismusverband Spreewald, der sich aus einer dezentral organisierten Tourismusorganisation zu einer zentral gesteuerten Managementorganisation entwickeln möchte. Hinzu kommen die Förderlinie „Unternehmen Revier“ für Privatunternehmen und der Teilhabefonds Lausitz für Akteure der Zivilgesellschaft und Kreativwirtschaft.
Und die Menschen? Einerseits glauben dem Lausitz-Monitor zufolge mehr Lausitzer als in früheren Jahren, dass ein grundsätzlicher Veränderungsprozess in ihrer Region eingesetzt hat (34 Prozent; 2020: 32), andererseits liegt die Zahl derer, die das nicht so sehen, seit drei Jahren bei rund 50 Prozent – statt knapp 40 im Jahr 2020/21. Immer weniger Menschen finden, dass es einen Strukturwandel braucht (60 Prozent; 2020: 69). Die Bereitschaft, sich an konkreten Projekten im Strukturwandel zu beteiligen, sinkt leicht.
Eine Wissenschaftlerin, die den Strukturwandel intensiv beobachtet, ist Heidi Pinkepank. Die Landschaftsplanerin begleitet seit 2020 die Welterbeinitiative Lausitzer Tagebaufolgelandschaft und ist seit Juli 2024 Geschäftsführerin des Instituts für Neue Industriekultur (INIK) mit Sitz im Tower des ehemaligen Cottbuser Flugplatzes. Im Interview spricht sie darüber, was die neue Landesregierung für den Strukturwandel verspricht, was schon gelungen ist und wieso die Tagebaufolgelandschaft Welterbe-würdig ist.
Heidi Pinkepank, Geschäftsführerin des Instituts für Neue Industriekultur (INIK). Foto: privat
Interview von Uwe Rada
In Brandenburg gibt es eine Koalition aus SPD und BSW. Im Koalitionsvertrag steht ein Bekenntnis zum Kohleausstieg 2038. Was würde passieren, wenn die Leag beschließt, eher auszusteigen? Ist man in der Lausitz auf ein solches Szenario vorbereitet?
Heidi Pinkepank: Ich denke, dass der Strukturwandel gerade relativ gut in Fahrt ist. Wenn ich den Ausblick auf 2038 habe, sind das ja noch 14 Jahre, da sind wir schon ein großes Stück vorangekommen. Man sieht auch erste Maßnahmen. Also hätte ich da aktuell gar nicht so viel Bedenken, wenn es früher käme. Aber natürlich kommt es auch darauf an, wie viel früher genau.
Was man tatsächlich schon sieht, ist das ICE-Werk in Cottbus. Auch die Rechtsform der Medizinischen Universität Lausitz als eigenständige Universität ist seit Mitte des Jahres geklärt. Macht sich das auch in der Stimmung bemerkbar?
Ich habe schon den Eindruck, dass man sich zum Strukturwandel deutlich positiver äußert als etwa noch vor zwei Jahren. Da ist einiges in Schwung gekommen. Auf der anderen Seite ist gerade die Angst spürbar, dass aufgrund der neuen politischen Konstellationen Fördermittel wieder wegbrechen oder anders genutzt werden könnten.
Sie haben immer wieder kritisiert, dass sehr viel Geld in rein investive Projekte gesteckt, also in Beton investiert wird statt in Köpfe. Nun gibt es mit dem Stark Programm auch ein Förderprogramm für nicht-investive Projekte. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Absolut. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung. Dieses Förderprogramm heißt „Stärkung der Transformationsdynamik und Aufbruch an den Revieren und Kohlekraftwerkstandorten“. Gefördert wird nun auch Aus- und Weiterbildung. Zuvor haben auch wir im INIK kritisiert, dass viel zu wenig beispielsweise in die kulturelle Bildung gesteckt wird. Das ändert sich nun. Auch Vernetzung wird gefördert, Qualifikation, Beratung, Begleitung. Sehr schön auch der Punkt Gemeinsinn und gemeinschaftliche Zukunftsprojekte. Oder auch Strukturentwicklungen. Das hat bislang eher gefehlt.
Unsere Wirtschaftsregion hat eine recht basisdemokratische Grundstruktur und ist auf angenehme Weise damit lernfähig.
Was hat da bei der Wirtschaftsregion Lausitz das Umdenken bewirkt?
Unsere Wirtschaftsregion hat eine recht basisdemokratische Grundstruktur und ist auf angenehme Weise damit lernfähig. Sie hat auch auf die Kritik reagiert, die es an den bisherigen Fördermaßnahmen gab.
Bei den mehr als vier Milliarden, die das Land über die Wirtschaftsregion Lausitz ausreicht, kam die Kultur bislang zu kurz. Nun gibt es mit dem „Projektfonds Kulturplan Lausitz“ eine Million an Fördermitteln für 2025.
Das ist wichtig. Wir hatten in der Lausitz zunächst eine Kulturstrategie und darauf aufbauend den Kulturplan, der wirklich breit mit den Akteuren erarbeitet wurde. Dieser breit angelegte Beteiligungsprozess ist ziemlich gut und professionell gelaufen.
Was steht im Kulturplan Lausitz drin?
Das steht unter anderem drin, dass die Internationalisierung und die Europäisierung gefördert werden soll, die Mehrkulturalität, die Zweisprachigkeit, also Deutsch und Sorbisch. Dass Industrie- und Baukultur wichtig sind, aber auch die Gärten und Parks. Es wird damit also gute Strukturen für die Kultur in der Lausitz geben. Dafür wurde eine Kulturkoordinierungsstelle eingerichtet. Und nun gibt es seit November auch den Kulturfonds.
Man kann Ideen einreichen, die in diese Bereiche passen. So kommt das alles auch ganz unten an bei den Kulturschaffenden und kann umgesetzt werden. Das ist ganz wunderbar.
Was genau wird da gefördert werden?
Es geht um die Umsetzung des Kulturplans. Man kann Ideen einreichen, die in diese Bereiche passen. So kommt das alles auch ganz unten an bei den Kulturschaffenden und kann umgesetzt werden. Das ist ganz wunderbar.
Das alles setzt auch an die Erfahrungen des Fördertopfes Kulturelle Heimat Lausitz. Was sind das für Erfahrungen?
Die kulturelle Heimat Lausitz hatte den Vorteil, dass es eine 100-prozentige Förderung war. Da konnten alle daran teilnehmen. Es gab keine Beschränkung auf eine bestimmte Form von Institutionen wie Vereine. Auch GmbHs und Einzelpersonen konnten teilnehmen. Das war sehr offen und gut. Im Grunde wird das nun weitergeführt, auch wenn es keine 100-prozentige Förderung mehr ist.
Das Programm hat das Volumen von einer Million Euro, das Lausitzfestival bekommt vier Millionen.
Das ist richtig. Aber auch das Lausitzfestival entwickelt sich in die richtige oder besser in die richtigere Richtung. Sie beteiligen jetzt schon sehr viel mehr die Institutionen vor Ort. Wir haben das dieses Jahr bei uns erlebt. Die Geschäftsführerin Maria Schulze kam zu uns in den Tower am Flugplatz in Cottbus. Wir sind eine Kooperation eingegangen. Die Aufführung fand im Hangar 1 nebenan statt. Die Gespräche mit den Künstlerinnen und Künstlern und der Empfang vor und nach der Veranstaltung fanden dann bei uns im Tower statt. So sind wir als Institut für neue Industriekultur auch eingebunden gewesen ins Festival. Und nun wollen wir mit dem Lausitzfestival eine dauerhafte Kooperationsvereinbarung unterzeichnen.
Das heißt, die Geschäftsführung hat auf die Kritik, die im vergangenen Jahr sehr lautstark auch von den Kulturschaffenden in der Region formuliert worden war, reagiert?
Das ist unser Eindruck. Aber es bleibt natürlich Hochkultur.
Sie forschen seit langen zum Thema Tagebaufolgelandschaften. Da gibt es vermehrt auch die Sorge, dass am Ende nicht genügend Geld für die Rekultivierung zur Verfügung stehen wird.
Die Sorge ist vermutlich berechtigt. In der Tagebaufolgelandschaft ist die Rekultivierung im Grunde nie abgeschlossen. Es gibt so genannte Ewigkeitskosten, die zurückbleiben. Problematisch ist das auch, wenn Flächen in die Hände der Kommunen übergehen. Das ist einerseits wünschenswert, andererseits auch mit großen Risiken verbunden. Auch mit einer Freigabe durch das Bergamt weiß man nicht hundertprozentig sicher, was da noch auf einen zukommen kann.
Was würde es bedeuten, wenn die Leag ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommt oder nachkommen kann und die öffentliche Hand für die Kosten aufkommen muss?
Es gibt die Idee einer Stiftung, in die alles Geld fließt, das vom Bund und Europa kommt, und damit die Folgekosten abgedeckt werden. Das ist eine gute Idee. So oder ähnlich wird man mit dem Thema umgehen müssen.
Die Lausitz ist die weltweit größte zusammenhängende Tagebaufolgefläche. Der Wandel wird hier seit 120 Jahren begleitet und erforscht.
Sie haben den Antrag mit vorbereitet, die Bergbaufolgelandschaft als Welterbe der Unesco zu würdigen. Was ist denn das Welterbewürdige dieser Landschaft?
Die Lausitz ist die weltweit größte zusammenhängende Tagebaufolgefläche. Der Wandel wird hier seit 120 Jahren begleitet und erforscht. Dabei wurden auch neue Formen der Rekultivierung entwickelt, die in andere Reviere ausgestrahlt haben. Der Prozess der Rekultivierung hat sich stetig weiterentwickelt und zeigt dabei auch eine Anpassung an die jeweiligen Trends und Paradigmen der Zeit. Hier wurde auch die Abraumförderbrücke F60 erfunden, die größte bewegliche Maschine der Welt, die immer noch arbeitet und im Grunde die Rekultivierung vorbereitet. Die Radikalität der Tagebaulandschaft verdeutlicht beispielsweise die Zahl von 137 abgebaggerten Dörfern. Damit einher ging auch eine Veränderung der sorbischen Kultur. Viele Arbeiter sind zugezogen und die sorbische Gesellschaft hat sich entsprechend verändert.
Es geht also nicht wie bei vielen Projekten der Unesco um Bewahrung, sondern um Wandel, um Veränderung. Nun ist die Lausitz bei der letzten Kultusministerkonferenz nicht auf die deutsche Tentativliste gekommen. Sind die noch nicht so weit, diesen Paradigmenwechsel mitzugehen?
Vorerst sind wir nicht auf der Liste, aber das heißt nicht, dass wir das nicht weiter versuchen. Wir gehen auch ein auf die Anmerkungen, die aus der Evaluierungskommission kamen. Vielleicht war es zu progressiv, so stark auf das Thema Wandel zu setzen. Aber vielleicht ist auch das Denken noch nicht so weit. Was zum Beispiel als Störfaktor angemerkt worden ist, ist das Thema Erneuerbare Energien. Die würden das Landschaftsbild stören, zum Beispiel im Blick auf die F60.
Sichtachsen beruhen vielleicht auch auf alten Sehgewohnheiten. Man könnte doch sagen, dass die Sichtachse auf die F60 mit den Windrädern dahinter in diesem Fall Teil des Wandels ist. Das eine ist dann das Symbol der Energieerzeugung des fossilen Zeitalters, das andere das der nichtfossilen Epoche.
Genau. Das sehen auch viele Experten der Unesco inzwischen so. Deswegen wollen wir es auch noch einmal versuchen. Wir haben ein Kommunikationskonzept entwickelt, mit dem wir jetzt sehr stark an die Öffentlichkeit gehen werden. Darüber hinaus gibt es ja auch die Idee, sich als Lausitz um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt zu bewerben. Bei beiden Prozessen geht es um eine Auseinandersetzung mit der Lausitzer Kulturlandschaft und deren Wertschätzung.
Wenn der Strukturwandel ein Marathon ist, auch welchem der 42 Kilometer befinden wir uns da gerade?
Wir sind gerade richtig am Laufen. Am Anfang muss man erst mal warm werden. Wir sind jetzt positiv im Rennen. Es kann aber auch sein, dass man irgendwann müde wird. Wie schnell das passiert, hängt vom Training ab. Und Strukturwandel trainiert haben wir hier in der Lausitz doch schon länger.
Weiterführende Lektüre:
Wie der Strukturwandel-Prozess in der Lausitz vor rund drei Jahren gestartet ist, wer alles mitredet und wie Projekte von der Idee zur Förderreife qualifiziert werden, lesen Sie hier.
Wie sich Bürger einbringen können und was die Bürgerregion Lausitz dafür tun will, dass dies besser gelingt, lesen Sie hier.
Welche Rolle Dahme-Spreewald als nur wenig kern-betroffene Region im Strukturwandel spielt und warum der Landkreis trotzdem vollständig zur Förderkulisse der Lausitz gehört, lesen Sie hier.
Was sich vom früheren Strukturwandelprojekt in der Lausitz, der Internationalen Bau-Ausstellung Fürst-Pückler-Land (2000-2010), und dessen Macher Rolf Kuhn († 2024) lernen lässt, lesen Sie hier.
Wie eine Firma aus Luckau am Strukturwandel teilhaben und ihn mittels Wasserstoff-Technologie mitgestalten möchte, lesen Sie hier.