Die Wahlkreise 26 und 27 haben bisher die SPD-Direktkandidaten geholt. Die AfD blieb 2019 in gebührendem Abstand, die CDU erst recht. Doch die Zeiten sind andere. Die Wahlkämpfer versuchen vor Ort ihre Themen zu platzieren, doch darüber schwebt: Streit.
Eine Reportage von Dörthe Ziemer
Plötzlich steht ein junger Mann auf und redet, nein, er liest stupide einen Text vom Handy vor. Christian Lindner pariert schnell und versucht ihn zu übertönen. Es wird laut, und Wortfetzen wie „Klassenkampf“ und „Klimakleber“ flirren durch die Luft. So schnell wie die Spannung im Saal steigt, so schnell fällt sie wieder ab, denn der junge Mann wird hinausgeführt. „Chance verwirkt“, ruft der FDP-Chef und Bundesfinanzminister hinterher und verweist darauf, dass die Fragerunde erst noch beginnt. Es ist Wahlkampf in Königs Wusterhausen, und für Christian Lindner scheint es nicht die erste Begegnung dieser Art zu sein. Später werden weitere Jugendliche ein Banner ausrollen, abermals hinausgeführt und noch später rufen sie draußen „Klassenkampf statt Wohlstand“ und „Flüchtlinge bleiben, Bonzen raus“. Sie kämen aus Königs Wusterhausen „und den Dörfern – Halbe, Zeuthen, Eichwalde“ sagt eine junge Frau, nicht von außerhalb jedenfalls. Überprüfen lässt sich das an dieser Stelle freilich nicht.
Dahme-Spreewald erstreckt sich auf drei Wahlkreise.
In allen haben wir Direktkandidaten besucht – insgesamt aus jeder Partei einen.
Über die Besuche bei verschiedenen Wahlkampf-Formaten berichten wir in zwei Reportagen.
Im Wahlkreis 28 haben wir Nadine Graßmel (SPD), Hans-Christoph Berndt (AfD), Kersten Haase (BVB/Freie Wähler) und Antony Jonneck (Plus Brandenburg) besucht.
In den Wahlkreisen 26 und 27 waren wir bei Björn Lakenmacher (CDU), Andrea Lübcke (Bündnis ‘90/Grüne), Stefan Ludwig (Linke) und Dirk Thomas Wagner (FDP).
DKP und DWL haben sich auf unsere Anfrage nicht zurückgemeldet.
Alle Direktkandidaten finden Sie auf den Seiten der Brandenburgischen
Landeszentrale für Politische Bildung.
FDP: „Überzeugte“ unter sich
Irritiert und amüsiert reagieren die Menschen im Saal. Sie sind gekommen, um Christian Lindner zu hören, der den Brandenburgischen FDP-Spitzenkandidaten Zyon Braun begleitet und dem Direktkandidaten Dirk Thomas Wagner im Wahlkreis 26 eine Reverenz erweist. Viele Unternehmer aus dem Landkreis sitzen im Saal und haben Fragen zur Unternehmens- und Energiepolitik, zu Bürokratie und Steuern mitgebracht. „Nur mal ihre Gefühlslage“ mitteilen möchte Anett Wahl, Inhaberin der gleichnamigen Bäckerkette. Beim Thema Lohn stehe man „mit dem Rücken an der Wand“, sagt sie. „Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der zu Hause sitzt.“ Sie verweist auf Rohstoffpreise und Energiekosten und fordert, dass jeder bei sich selbst anfangen solle: Man brauche doch keine Kaffeesahne-Portionspöttchen. Was es hingegen brauche: Fahrkartenkontrollen in der Bahn.
„Wer arbeitet, muss mehr haben als der, der zu Hause sitzt.“
Anett Wahl, Inhaberin der Bäckerkette Wahl
„Sie predigen zu Überzeugten“, sagt Zyon Braun, der gemeinsam mit dem Bundesvorsitzenden auf die Fragen zu antworten, aus FDP-Sicht natürlich. Viele der Vorwürfe zu angeblich klimaschädlichen Subventionen stimmten nicht, führt Christian Lindner aus. So werde das Dienstwagenprivileg „am häufigsten von ambulanten Altenpflegern genutzt“, sagt er – ein gern von der Arbeitgeber-nahen Lobby gebrauchtes Argument, dem beispielsweise der Deutsche Caritasverband vehement widerspricht. Ohne die Freiheit der Lebensführung und individuellen wirtschaftlichen Erfolg werde Klimaschutz nicht funktionieren, resümiert der FDP-Vorsitzende. Als Sinnbild dazu hängt hinter dem Podium der FDP-Spruch: „Wir lieben Bahn. Autobahn inklusive“. Immerhin: für die FDP-Forderung nach einem zweiten Bahnring um Berlin sieht Zyon Braun gute Chancen für eine Umsetzung.
Wer übertönt wen? Wahlkampf-Szene bei der FDP in Königs Wusterhausen. Foto: Dörthe Ziemer
Dirk Thomas Wagner als Direktkandidat bleibt an diesem Abend in einer Nebenrolle. Weil er Deutschland für ein „grandioses Land“ halte, ziehe es ihn in die Politik, so erzählt er es in seiner kurzen Vorstellung vor dem Publikum. Bei der Direktkandidatur rechne er sich indes wenig Chancen aus: Man müsse auch mal was um seiner selbst willen machen, sagt er. „Wir sind in einer Situation, wo die Demokratie Demokraten braucht. Und zu einer Wahl gehört, dass man auch eine Wahl hat und die hat man nur, wenn es Kandidaten gibt.“
„Wir sind in einer Situation, wo die Demokratie Demokraten braucht.“
Dirk Thomas Wagner, FDP-Kandidat
In der Berliner Ampelregierung spiele die FDP immerhin eine „extrem wichtige Rolle“: Man sei ein „kleines gallisches Dorf, umzingelt von Menschen, die eine erotische Beziehung zum Schuldenmachen haben“, sagt Dirk Thomas Wagner mit ähnlicher Vehemenz, die Christian Lindner nicht nur in Königs Wusterhausen zeigt. Ob das Thema Schulden die Brandenburger interessiere, bezweifelt der Direktkandidat allerdings. Ähnlich ist es beim Bürgergeld. „Wir müssen dafür sorgen, dass der Ehrliche nicht der Dumme ist“, sagt er überzeugt. Ob das Thema in Königs Wusterhausen mit seinen Brennpunktvierteln allerdings ebenso relevant sei wie auf Bundesebene – dafür habe er „kein Gefühl“.
CDU sieht Rot
Überhaupt, die Bundesebene. Die scheint diesen Landtagswahlkampf zu bestimmen wie selten zuvor. Kein Wahlkampftag und kaum ein Social-Media-Posting, die ohne Verweis auf die Berliner Ampel auskommen. In Brandenburg sei es möglich, die Ampel auszuschalten, sagte kürzlich der Spitzenkandidat der CDU Jan Redmann. Das hilft der CDU offenbar wenig – bei der jüngsten Sonntagsfrage verbucht die Partei Einbußen von zwei Prozentpunkten. Wer doch über Themen sprechen will, der findet bei Björn Lakenmacher, CDU-Direktkandidat im Wahlkreis 26, Gehör. Er gehört zu denen, die Haustürwahlkampf machen. Journalisten nimmt er dabei nicht mit – schließlich dringt er als Wahlkämpfer schon in das Privatleben der Menschen ein, mehr Öffentlichkeit braucht es da nicht.
Das politische Interesse der Leute, mit denen er an der Haustür ins Gespräch kommt, sei hoch. „Niemand ist total abweisend“, so seine Erfahrung. Und natürlich spiele das Thema Innere Sicherheit immer wieder eine Rolle – Björn Lakenmachers Schwerpunktthema. „Seit Jahren kämpfen wir in der Koalition darum, dass wir ein zeitgemäßes Polizei- und Verfassungsschutzgesetz bekommen“, berichtet der Landtagsabgeordnete aus seiner Arbeit. Quellen-TKÜ heißt das Stichwort – die Ausspähung von Messenger-Diensten, bevor Daten verschlüsselt werden. Was am Telefon möglich sei müsse auch bei der Nutzung von Online-Messengerdiensten möglich sein, fordert er. „Wir sind nicht mehr auf Augenhöhe mit Extremisten und Straftätern“, so seine Kritik.
Waffeln und Kaffee: CDU-Wahlkampfstand in Eichwalde. Foto: Dörthe Ziemer
Ich treffe den Kandidaten am Samstagvormittag in der Eichwalder Bahnhofstraße. Die örtlichen CDU-Mitglieder backen Waffeln und schenken Kaffee aus, die Stimmung ist spätsommerlich-entspannt. Das benachbarte Café hat nichts gegen den morgendlichen Ausschank – im Gegenteil: Es spendiert den Strom. Björn Lakenmacher, seit 2010 im Landtag, vertieft sich in seine Themen, zu denen neben Sicherheitspolitik auch Energiepolitik („Der Arbeitspreis pro Kilowattstunde ist zu hoch.“) und Bildung („Ohne Quereinsteiger geht es nicht.“) gehören. Man möchte ihm gern glauben, dass er „nicht andere beschimpfen“, sondern verdeutlichen will, wofür er und seine Partei stehen.
„Im Rückblick kommt man nicht umhin zu schauen, woran das Scheitern lag.“
Björn Lakenmacher, CDU-Kandidat
Doch der Landesverband scheint weniger Vertrauen in die eigenen Themen zu haben: Wer auf dessen Facebook-Präsenz schaut, sieht Rot vor lauter Kritik an der SPD. Manch einer fragt sich verdutzt, ob nicht die CDU an der Brandenburger Regierung beteiligt gewesen sei in den vergangenen fünf Jahren: Ja, das war sie. „Im Rückblick kommt man nicht umhin zu schauen, woran das Scheitern lag“, sagt Björn Lakenmacher. „Das meiste ging nicht, weil wir grüne Koalitionspartner hatten.“ Die Quellen-TKÜ ist immerhin schon vor über fünf Jahren in der damaligen rot-roten Koalition an den Linken gescheitert. Ein plattes Grünen-Bashing liege ihm fern, aber für die Zukunft wünsche er sich andere Koalitionen, blickt Björn Lakenmacher voraus. Mit der AfD werde es auf Landesebene indes keine Zusammenarbeit geben. „Das ist absolut selbstverständlich und es gibt bei uns niemanden, der anders denkt“, beteuert er.
Als Fraktionsvorsitzender im Kreistag hat Björn Lakenmacher jedoch in Kauf genommen, dass der CDU-Kandidat mit Stimmen der in Brandenburg als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuften AfD zum Vorsitzenden gewählt wurde. Er besteht zwar darauf, dass man nicht auf Stimmen der AfD angewiesen gewesen sei, doch das scheint das wenig realistisch: Es würde bedeuten, dass die Fraktion vom SPD-Kandidaten Georg Hanke nicht geschlossen für ihn gestimmt hätte. Und auch für eine Zweidrittel-Mehrheit zur Abwahl der Ersten Beigeordneten, die derzeit offenbar von einigen Fraktionen diskutiert wird, wären Stimmen der AfD notwendig.
Bleibt die Frage, warum sich die Aussagen von CDU und AfD zunehmend ähneln: Der Bund „verramscht die Staatsbürgerschaft“, wetterte Björn Lakenmacher kürzlich auf Facebook, und vom AfD-Spitzenkandidaten Hans-Christoph Berndt ist der Satz überliefert „die Altparteien verschleudern die deutsche Staatsbürgerschaft“. Er könne nichts dafür, wenn die AfD CDU-Formulierungen übernehme, sagt Björn Lakenmacher, und: „Ich halte die Neuerungen im Staatsbürgerrecht für nicht richtig. Das Erlangen der Staatsbürgerschaft muss an Bedingungen und Voraussetzungen geknüpft sein.“
Linke setzt auf Slogans
Im Ringen um Wahrnehmung für die eigenen Themen setzt die Linke diesmal auf ihren Wahlplakaten auf griffige Slogans, weniger auf Gesichter. „Jede Klinik zählt“, „Wohnen ohne Not“, „Leben ohne Sorgen“ – würde das nicht jeder Mitbewerber unterschreiben? Das frage ich Stefan Ludwig, Direktkandidat der Linken im Wahlkreis 27, der sich von Königs Wusterhausen bis weit hinter Storkow erstreckt und somit zwei Landkreise bedient. Für Stefan Ludwig, der mit einer Sehbehinderung selbst kein Auto fährt, sei das eine große logistische Herausforderung, wie er sagt. Ähnlich herausfordernd ist der praktische Wahlkampf-Alltag: Mal ist der Stand auf dem Wochenmarkt anders belegt als geplant und muss ausfallen, mal ist der Wind so stark, dass abgebrochen werden muss, bevor Schirm und Flyer durch die Gegend fliegen.
Linker Wahlkampfstand, hier in Luckau (Wahlkreis 28). Foto: Andreas Staindl
Trotzdem kämen viele interessierte Menschen auf ihn zu, erzählt er vor einer Kreistagssitzung – Ersatztermin für den vom Wind verwehten Wahlkampfstand-Treff in Königs Wusterhausen. Das Thema Kita und Schulen werde am häufigsten angesprochen, erzählt er: Klar, daran fehlt es in Königs Wusterhausen am meisten. „Kitas und Schulen. Einfach machen“, heißt dazu der passende Spruch der Linken. Wenn es so einfach wäre, warum ist nicht schon früher mehr gemacht worden? Die Frage muss Stefan Ludwig nicht beantworten – weder war er im Landtag in der vergangenen Wahlperiode, noch war seine Partei an der Regierung beteiligt. „Einfach machen“, heißt für ihn: flexibler werden. Kitas im ländlichen Raum, wo es in der Umgebung viel Platz für Bewegung an der frischen Luft gebe, bräuchten nicht dieselben Standards wie eine Kita in der Großstadt, findet er. „Schule satt“, heißt eine Volksinitiative für kostenfreies Essen an Grundschulen, die die Linke auf den Weg gebracht hat. Mit dem kostenfreien Essen sollen alle Kinder ab dem Beginn ihrer Schulkarriere gleich behandelt werden – unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern, erklärt Stefan Ludwig. „Außerdem hat das Essen eine soziale Funktion – da spricht man miteinander und verabredet sich.“
„Konkrete Lösungen anbieten – das ist es, was uns von den anderen unterscheidet.“
Stefan Ludwig, Linke-Kandidat
Apropos Essen: „Bauernland in Bauernhand“ heißt ein weiterer Slogan der Linken. Doch damit ist nicht gemeint, den Bauern Gemeingüter wie Boden, Luft und Wasser zur eigenverantwortlichen und möglichst wenig regulierten Bewirtschaftung zu überlassen, sondern Bodenspekulationen durch Bundesinstitutionen zu verhindern, erläutert Stefan Ludwig, der als Jurist seine Themenstärken durchaus an anderer Stelle sieht. „Landwirtschaftlicher Boden sollte nur an landwirtschaftliche Betriebe veräußert werden“, so die Forderung der Linken. „Konkrete Lösungen anbieten – das ist es, was uns von den anderen unterscheidet“, so der Kandidat.
Um sich von den Mitbewerbern überhaupt zu unterscheiden, muss die Linke angesichts der Konkurrenz von ganz Links wohl eine Schippe drauflegen: Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft, hat in den beiden Wahlkreisen 26 und 27 ebenfalls Direktkandidaten ins Rennen geschickt. Und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das im Vor-Ort-Wahlkampf gar nicht auftaucht, dafür aber umso mehr bundesweite Präsenz erhält, schwebt wie ein Damoklesschwert nicht nur über den Linken, sondern über der gesamten Regierungsbildung in Brandenburg. Sachsen und Thüringen machen es vor.
Grüne Themen auf der Straße
Zum Zünglein an der Waage werden vor diesem Hintergrund kleine Parteien: Je mehr von ihnen den Einzug in den Landtag schaffen, umso weniger Stimmen bleiben anderen Parteien und umso größer werden die Koalitionsmöglichkeiten. Ähnlich wie die Linken tingeln die Grünen um die fünf Prozent, zuletzt etwas darunter. Für die Grünen bedeutet das insbesondere seit dem Messer-Anschlag von Solingen, sich im Strudel der Migrationsdebatte zu positionieren. Weltoffenheit und Sicherheit – geht das zusammen? „Wir dürfen das Asylrecht und unsere menschlichen Werte nicht opfern“, sagt Andrea Lübcke, Direktkandidatin der Grünen im Wahlkreis 26. Zugleich brauche es eine gut ausgestattete Polizei und eine gute Prävention, um weitere Taten Islamisten und Extremisten zu verhindern. In puncto Abschiebungen sei mit dem neuen Rückführungsgesetz der Ampel der entsprechende Rechtsrahmen zum Handeln sei da, sagt sie. Der müsse nun ausgeschöpft werden. „Das sind wir unserer Gesellschaft schuldig.“
Die Kandidatin steht vor dem Schulzendorfer Rathaus. Die Fraktionsvorsitzende im Bundestag Britta Hasselmann ist vorbeigekommen, um im Wahlkampf zu unterstützen. Der Schulzendorfer Bürgermeister Markus Mücke nutzt die Gelegenheit, um seine Themen in Richtung Bundestag zu adressieren: Schulbau, Lehrermangel, Verkehr. Hier oben im Norden des Landkreises, wo die Berliner S-Bahnen noch hinreichen und die Stadtgrenze zu Berlin wahrnehmbar ist, gibt es für die Grünen noch etwas zu holen: Alle drei Grünen-Abgeordnete des neuen Kreistages von Dahme-Spreewald wurden im Norden gewählt, im Süden hat es niemand in den Kreistag geschafft.
Ländlicher Raum und grüne Themen – warum ist das eigentlich so ein Gegensatz? „Wir haben dort nicht so viele Mitglieder“, sagt Andrea Lübcke. „Wir können dort nicht jede Diskussion führen, die es bräuchte. Und die werden dann von anderen geführt.“ Man sei keine Großstadt-Partei, wie so oft behauptet, sagt sie. „Wir haben auch den ländlichen Raum im Blick“ – etwa mit der Mobilitätsgarantie, durch die jeder Ort künftig mindestens stündlich an den ÖPNV angebunden sein soll. Auch das Schülerticket für alle Schüler und damit das preiswerte Freizeitticket komme Kindern im ländlichen Raum zugute.
„Veränderung geht mit Angst einher, doch Angstmacherei entbehrt oft jeder Grundlage.“
Andrea Lübcke, Grünen-Kandidatin
Die Zustimmung zu grüner Politik hänge auch mit einer generellen Bereitschaft für Veränderung zusammen, sagt Andrea Lübcke, und: grüne Forderungen seien nun mal mit Veränderung verbunden. „Das geht mit Angst einher, doch Angstmacherei entbehrt oft jeder Grundlage“, schätzt sie ein. Man blicke nur nach Skandinavien, wo die Wärmepumpe gang und gäbe sei, in Deutschland dagegen seien Kampagnen gegen das Heizungsgesetz des grünen Wirtschaftsministers gefahren worden. „Wir müssen einfach besser aufklären“, sagt sie selbstkritisch. Zum Ausstieg aus den fossilen Energien beispielsweise gebe es einen gesellschaftlichen Konsens, „die Frage ist, wie intensiv und wie sozial wir ihn gestalten“. Gemeinden etwa an Solar- und Windanlagen finanziell zu beteiligen, seien richtige Wege. Politik sei jedoch immer auch mit Emotionen verbunden, sagt die Physikerin, die sich üblicherweise mit nachweisbaren Fakten beschäftigt, das habe sie im kommunalen Bereich schon gelernt. „Das muss man respektieren. Und wir müssen Antworten auf die Ängste finden.“
Vielen Emotionen steht sie an diesem Wahlkampftag nicht gegenüber. Es ist einer der heißesten Tage dieses Sommers, und jeder, der in den benachbarten Supermarkt will, ist darauf bedacht, so schnell wie möglich aus der Hitze zu kommen. Das grüne Wahlkampf-Team gönnt sich ein Eis und schwärmt anschließend zum Haustürwahlkampf. Der Schulzendorfer Ritterschlag ist heute das Ziel, ein neues Wohngebiet, in dem die grünen Themen förmlich auf der Straße liegen: Eigenheime und Doppelhäuser reihen sich an Pflasterstraßen, es gibt keine Bäume und keinen Schatten, und die Sonne brennt gnadenlos herunter. Aber auch Solarzellen sind nirgendwo zu finden. Kieselgärten mit Kunstblumen wechseln sich mit knapp geschorenen Rasenflächen ab, hier und da wachsen Stauden und auch mal blühende Sommerblumen. Rasenmäher surren, Flugzeuge zum oder vom BER donnern herüber.
Haustürwahlkampf vor weiß-beiger Front: Andrea Lübcke und Britta Hasselmann. Foto: Dörthe Ziemer
Wer hier wohnt, zahlt rund eine halbe Million für ein Eigenheim, für die Doppelhaushälften naturgemäß etwas weniger. Viele Autos tragen Berliner Kennzeichen, darunter viele E-Autos mit Ladesäulen. Oft stehen zwei Autos vor den Häusern. Die Namen auf den Briefkästen zeugen von unterschiedlichster Herkunft der Bewohner. Andrea Lübcke und Britta Hasselmann bilden ein Team, und auch die anderen Grünen sind zu zweit ausgeschwärmt. Klingeln, Tür auf, Flyer rein, Tür zu. Oder Flyer in den Briefkasten. An diesem Tag geht es nicht um das lange Gespräch, sondern darum, die frisch nach Brandenburg Gezogenen zum Wählen zu animieren. Zu dieser späten Nachmittagsstunde öffnen viele Frauen die Türen, kleine Kinder folgen neugierig.
„Demokratie ist kein Delegierungsprojekt, wo andere meine Werte umsetzen. Man muss uns auch unterstützen.“
Christian Lindner, FDP-Bundesvorsitzender
Die Stimmung ist freundlich, aber distanziert. Das fast sterile Weiß-Beige der Häuserfronten ist so wirkmächtig, dass es ein langer Weg zu sein scheint, bis hier ein lebendiges Wohnquartier entstanden ist. Ein Quartier mit Menschen, die sich in ihrem Umfeld einbringen, die sich für ihren Ort einsetzen und am Ende auch politische Entscheidungen treffen. Dazu braucht es wiederum Politiker, die vor Ort sind. Wie an diesem Tag Andrea Lübcke. Oder Björn Lakenmacher an einem anderen Tag in Großziethen. Näher bei den Menschen sein – das will auch Stefan Ludwig mit seiner schrumpfenden Partei wieder hinbekommen, schließlich sei die Linke immer eine Kümmerer-Partei gewesen. Christian Lindner formuliert es am Ende so: „Demokratie ist kein Delegierungsprojekt, wo andere meine Werte umsetzen. Man muss uns auch unterstützen.“
KURZ GEFRAGT
Björn Lakenmacher (CDU), 49, Mitglied des Landtages, aus Mittenwalde
Was würden Sie in Ihrem Wahlkreis zuerst angehen, wenn sie gewählt sind?
Ich würde zuerst die Infrastruktur angehen: Straßen, Radwege, Verkehrsknotenpunkte und die Anbindungen. Da kommen wir nicht hinterher.
Wie wollen Sie für einen weniger polarisierenden, konstruktiven Ton im Landtag sorgen?
Wie ich auch bisher dafür gesorgt habe: Ich unterlasse persönliche Angriffe unter der Gürtellinie. Bei mir gab es nie persönliche Verletzungen. Aber für eine harte Debatte in der Sache ist ein Parlament nun mal da.
Was muss ein guter Ministerpräsident mitbringen, was sollte er ausstrahlen?
Er muss in den Themen und Herausforderungen stecken. Er braucht eine gute Programmatik und ein gutes Regierungsprogramm, so wie die CDU. Außerdem muss er Verständnis und ein Gefühl für die Brandenburger haben, muss Land & Leute kennen und mögen.
Sagen Sie bitte etwas Gutes über einen Mitbewerber Ihrer Wahl (Direktkandidat in Ihrem Wahlkreis)!
Ich schätze Andrea Lübcke von den Grünen sehr. Ich habe den Eindruck, dass sie die politischen Themen durchdenkt und in der Rhetorik nicht überzieht. Es geht ihr um den Landkreis und ihren Wahlkreis und nicht um Selbstdarstellung.
Andrea Lübcke (Grüne), 46, Physikerin, aus Eichwalde
Was würden Sie in Ihrem Wahlkreis zuerst angehen, wenn sie gewählt sind?
Wir sind eine dynamische, wachsende Region. Uns droht bei der Verkehrsinfrastruktur ein Infarkt, deswegen müssen wir in ÖPNV, Schiene und Radwege investieren. Und wir müssen für Kitas und Schulen Fördermittel bereitstellen.
Wie wollen Sie für einen weniger polarisierenden, konstruktiven Ton im Landtag sorgen?
Ich werde nicht selbst in den Populismus verfallen, sondern sachlich argumentieren. Dabei muss man die Meinung des anderen akzeptieren, ohne persönlich zu werden.
Was muss ein guter Ministerpräsident mitbringen, was sollte er ausstrahlen?
Er muss Lust haben, etwas anzupacken, Mut, etwas durchzusetzen, und eine Vision davon, wohin sich das Land entwickeln soll. Und er braucht ein dickes Fell.
Sagen Sie bitte etwas Gutes über einen Mitbewerber Ihrer Wahl (Direktkandidat in Ihrem Wahlkreis)!
Ich schätze Claudia Mollenschott von den Linken als sehr engagiert ein. Sie macht mit Herzblut Politik und hat sich sehr für die Schulen im Landkreis eingesetzt.
(57), Linke, Jurist, aus Königs Wusterhausen
Was würden Sie in Ihrem Wahlkreis zuerst angehen, wenn sie gewählt sind?
Wir müssen die Querverbindungen im ÖPNV zwischen den Landkreisen stärken, beispielsweise durch so etwas wie den neuen PlusBus, der seit kurzem zwischen Erkner und Königs Wusterhausen pendelt und an die S-Bahn angebunden ist.
Wie wollen Sie für einen weniger polarisierenden, konstruktiven Ton im Landtag sorgen?
Ich setze auf die Kraft des Arguments, wie im Kreistag auch. Ich beteilige mich nicht an Polemik, das bringt uns nicht weiter und stößt die Menschen ab.
Was muss ein guter Ministerpräsident mitbringen, was sollte er ausstrahlen?
Er braucht Nahbarkeit und ein Verständnis für die verschiedenen Regionen im Land. Brandenburg besteht nicht nur aus der Lausitz. Er sollte am Gründungskonsens unseres Landes festhalten: Konversion ehemaliger Militärflächen hin zu ziviler Nutzung ist unser Thema, nicht die Ansiedlung von Rüstungsindustrie.
Dirk Thomas Wagner (60), FDP, selbstständig, aus Wildau
Was würden Sie in Ihrem Wahlkreis zuerst angehen, wenn sie gewählt sind?
Ich würde mir natürlich als erstes eine Fraktion suchen, denn als Einzelkämpfer kann man nicht viel ausrichten. Der Landkreis und mein Wahlkreis haben wirtschaftliche Voraussetzungen wie kaum ein zweiter in Brandenburg und Deutschland. Die Ansiedlung von Brainpower, wie mit dem Fraunhofer schon geschehen, muss man fördern.
Wie wollen Sie für einen weniger polarisierenden, konstruktiven Ton im Landtag sorgen?
Das ist der Markenkern der FDP: Vernunft walten und den Puls nicht auf 300 hochtreiben zu lassen. Man muss pragmatische Lösungen und Kompromisse entwickeln, etwa beim Thema Frieden.
Was muss ein guter Ministerpräsident mitbringen, was sollte er ausstrahlen?
Das ist jetzt möglicherweise unpopulär, aber für mich ist Dietmar Woidke der Prototyp eines Landesvaters. Wenn wir den Wahlkampf mal außen vorlassen: Er könnte auch in der nächsten Legislatur diese Rolle gut ausfüllen.
Sagen Sie bitte etwas Gutes über einen Mitbewerber Ihrer Wahl (Direktkandidat in Ihrem Wahlkreis)!
Björn Lakenmacher ist ein extrem erfahrener Politiker, er agiert überlegt und analytisch. Er ist angenehm im Umgang. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er das Mandat gut ausfüllt.
Lesen Sie auch unsere Reportage aus dem Wahlkreis 28 mit Kandidatinnen und Kandidaten von SPD, AfD, BVB/Freie Wähler, Plus Brandenburg.