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Duell der Direktkandidaten

Zwei Direktkandidaten ringen um den Sieg im Wahlkreis 28: Nadine Graßmel (SPD) und Hans-Christoph Berndt (AfD) – ein Kontrast, der größer kaum sein könnte. Alle anderen müssen sich mit Achtungszeichen und der Platzierung ihrer Themen zufrieden geben.

 

Eine Reportage von Dörthe Ziemer

 

Ein dichteres und zugleich ferneres Gegenüber wird es in diesem Landtagswahlkampf im Wahlkreis 28 wohl nicht mehr geben. Nadine Graßmel (44), Direktkandidatin der SPD, steht mit bunter Fahne vor der Lübbener Paul-Gerhardt-Kirche – gemeinsam mit rund 100 Demonstrierenden „gegen Hass und Hetze – für Vielfalt, Toleranz und Demokratie“. Auf dem Marktplatz gegenüber findet eine Kundgebung mit rund 200 Menschen und dem AfD-Direktkandidaten Hans-Christoph Berndt (68) statt. Zwei Menschen, zwei Weltsichten. Beide ringen um den Spitzenplatz im Wahlkreis 28. 

So wurde recherchiert:

 

2019 gewann Berndt als frisches AfD-Mitglied und Gründer des als rechtsextremistisch eingestuften Vereins „Zukunft Heimat“ das Direktmandat mit knapp 29 Prozent, dicht gefolgt von Sascha Philipp von der SPD mit knapp 26 Prozent (siehe Exkurs). Auch wenn die Umfragewerte für die SPD diesmal weiter gesunken sind, wird im Ringen um das Direktmandat der diesjährige CDU-Herausforderer Kay Drews wohl ebenso unauffällig bleiben wie bei der Kommunalwahl: Er wurde weder in den Kreistag noch in die Golßener Stadtverordnetenversammlung gewählt und holte bei der Bürgermeisterwahl in Golßen nur sechs Prozent. Derweil zog Nadine Graßmel als absolute Polit-Newcomerin mit über 4.000 Stimmen und dem sechstbesten Ergebnis in den Kreistag ein – und überholte damit so manchen altgedienten SPD-Kreistagsabgeordneten. Hans-Christoph Berndt erreichte indes fast doppelt so viele Stimmen für den Kreistag. 

 

EXKURS: Warum Direktmandate die Sitzverteilung im Landtag beeinflussen können

 

Wenige Tage vor der Kundgebung in Lübben sitzt Hans-Christoph Berndt am Wahlkampfstand in Halbe. Es ist der letzte Donnerstag im August, ein ungewöhnlich heißer Tag mitten in einer längeren Hitzeperiode, die weit in den September hinein andauert. Der Schatten kühlt leidlich, die Limo ist warm. Wir sprechen über „Remigration“, das Unwort des Jahres, das zum Kampfbegriff der AfD wurde. Als Hans-Christoph Berndt fragt, was das Land „mit einer Million Syrern“ solle, sage ich, dass ein Großteil der 2015 Geflüchteten in Arbeit sei. „Ja, ist das so?“, fragt er zurück. Das glaube er nicht, setzt er nach. Es könnte eines von den Gesprächen sein, die so häufig in Familien, in Freundeskreisen stattfinden: wo sich Menschen einander plötzlich nicht mehr verstehen, wo jeder nicht mehr nur seine Meinung, sondern auch seine eigenen Fakten hat. Hans-Christoph Berndt wirkt abgekämpft, wie einer von so vielen, die unzufrieden bis ängstlich auf die rasante Entwicklung einer Welt blicken, die von Globalisierung, Digitalisierung und Klimawandel geprägt ist – und die sich im wiedervereinigten Deutschland mit ihrer ostdeutschen Biografie nicht gehört fühlen. 

 

Doch Hans-Christoph Berndt ist nicht irgendjemand. Er ist der Fraktionsvorsitzende der AfD im Brandenburger Landtag, Spitzenkandidat und Direktkandidat im Wahlkreis 28 für die anstehende Landtagswahl und in seinen Augen der nächste Ministerpräsident von Brandenburg. Der Verfassungsschutz stuft ihn als rechtsextremistisch ein. An diesem Donnerstag ist Hans-Christoph Berndt direkt aus dem Landtag zum Wahlkampfstand nach Halbe gekommen, an einen Ort, wo 1945 die letzte große Kesselschlacht des Zweiten Weltkriegs tobte. Vor der heute noch aktiven Kriegsgräberstätte „Waldfriedhof“ hielten zur Jahrtausendwende Rechtsextreme ihr „Heldengedenken“ ab. Später hatten sich ihnen Demokraten erfolgreich entgegengestellt. Der AfD-Stand ist auf dem Bahnhofsvorplatz aufgebaut, am privatisierten Bahnhofsgebäude gegenüber hängt eine grüne Esperanto-Fahne über der Tür, auf dem benachbarten Kaiserbahnhof weht eine ukrainische Flagge. 

 Hans-Christoph Berndt bei der AfD-Kundgebung in Lübben. Foto: Dörthe Ziemer

Hans-Christoph Berndt bei der AfD-Kundgebung in Lübben. Foto: Dörthe Ziemer

 

„Vielfalt ist keine Stärke.“ Diesen Satz wollte die AfD den Landtag an diesem August-Donnerstag feststellen lassen. Als Folge des Anschlags von Solingen, bei dem eine Woche zuvor mutmaßlich ein abzuschiebender Syrer drei Menschen mit dem Messer erstochen und weitere schwer verletzt hatte, wollte die AfD zudem Geflüchtete von öffentlichen Veranstaltungen ausschließen. Wie er das umsetzen würde, frage ich Hans-Christoph Berndt. Zaun drum und Einlasskontrolle, antwortet er sinngemäß und gibt zu, dass das schon eine „harte Maßnahme“ sei. Überhaupt gehe es dabei, wie bei „Remigration“ insgesamt, ja „nur“ um Geflüchtete, nicht um Menschen, die zuwandern und hier arbeiten wollten. Doch das klingt in einer Stellungnahme der ostdeutschen AfD-Fraktionsvorsitzenden, die zu Jahresbeginn veröffentlicht wurde, ganz anders.

 

In diesem Papier ist wahlweise von Migranten und Ausländern die Rede, mal von Sozialmigration und von nichtintegrierten Migranten, nicht jedenfalls von Geflüchteten. Es könnte womöglich jeder Mensch mit Migrationsgeschichte irgendwie betroffen sein von diesem großen Wort: „Remigration“. Schließlich will die AfD dem Papier zufolge das Staatsbürgerrecht von vor 2000 wieder einführen: Da galt das Abstammungsprinzip. Was das für die Zuwanderung von Fach- und Arbeitskräften bedeute, frage ich den AfD-Kandidaten. Zuwanderung würde er nicht grundsätzlich ausschließen, sagt er, doch man könne „nicht jeden herholen“, in dessen Land Ungerechtigkeit herrsche. Neben vielen anderen Maßnahmen wie Einführung einer Grenzschutzpolizei, konsequenter Abschiebung und Begrenzung von Migration wollte die AfD im Landtag als Folge von Solingen auch: sämtliche Regenbogen-Fahnen vor öffentlichen Gebäuden einziehen. – Erfolglos übrigens, der Antrag fand keine Mehrheit. 

 

Zurück nach Lübben zur Kundgebung. Der Landesvorsitzende der AfD René Springer steht auf der kleinen Bühne auf dem Marktplatz und freut sich, dass am Rathaus keine Regenbogen-Fahne hängt. Eigentlich steckt die Stadt mitten in ihren Aktionswochen „Lübben hoch 6“ für „Demokratie, Vielfalt, Toleranz und Zusammenhalt“, doch die Fahne fehlt an diesem Tag – ein Versehen, so ist aus dem Rathaus zu hören. Dafür haben sich davor auf Einladung der Linken Basisorganisation „Libelle“ Menschen zusammengefunden, die für Vielfalt und gegen Rassismus Gesicht zeigen wollen. Vor der Kirche sind ebenfalls Menschen versammelt, um für Vielfalt und Toleranz zu demonstrieren: Jugendliche, Rentner, Lehrer, Ärzte, Pfarrer, Stadtverordnete und Kreistagsabgeordnete, Einheimische und zugereiste Familienangehörige. Beide Demos finden schließlich vor der Kirche zusammen.

 Demo vor der Kirche in Lübben. Foto: Dörthe Ziemer

Demo vor der Kirche in Lübben. Foto: Dörthe Ziemer

 

Mittendrin: Nadine Graßmel. Das ist sie gern: mittendrin, sagt sie. Im Wahlkampf tourt sie mit dem von ihr initiierten Format „Pizza und Politik“ umher, bei dem mehrere Parteien ihre Direktkandidaten und Programme vorstellen. Auch beim Haustürwahlkampf, bei Pendler-Aktionen und anderen Formaten kommt sie mit potentiellen Wählern ins Gespräch und tauscht sich bei Festen, kulturellen Veranstaltungen und im Freizeitsport, ihrem Hobby, aus. Darüber schreibt sie in Sozialen Medien. Ein Preis, den sie gern zahle, so die Kandidatin: Sie müsse es schließlich schaffen, sich in kürzester Zeit bekannt zu machen. Aus dem politischen Nichts gleich zur Landtagskandidatur – es sei gerade gut, sagt Nadine Graßmel, wenn so ein Kandidat „keine SPD-Geschichte“ habe. „Skandale bleiben immer an einem kleben, egal, ob etwas dran ist“, fügt sie hinzu. 

 

Und vielleicht könne sie auch Beispiel geben für noch mehr politisches Engagement, gerade von Frauen. „Sie haben andere Themen auf dem Schirm und sind anders präsent als Männer“, sagt sie. Doch so eine Kandidatur tue sich nicht jede an: „Man wird als Neue und als Frau häufig belächelt“, so ihre Erfahrung. Trotzdem wagte sie den „Sprung ins Haifischbecken“, wie sie es nennt. Die Beobachtung aus ihren ersten Tagen als Kommunalpolitikerin: Viele Menschen hätten kein Problem „mit denen da oben“, sondern miteinander. Da werde erbittert übers Schneeschieben und Rasenmähen gestritten, sodass sie sich frage: „Wie behandeln wir uns eigentlich als Menschen?“

 

Viele solcher zwischenmenschlichen Fragen kommen an den Tischen bei „Pizza und Politik“ zur Sprache. Mitte August in Goyatz steht eine Frau* bei Antony Jonneck (26) von Plus Brandenburg, einer Vereinigung aus der jungen Europa-Partei Volt, der Piratenpartei und der Naturschutzpartei ÖDP. Der Stand leuchtet lila, daneben sind Grün, Rot und Orange vertreten. Es sind weniger Menschen gekommen als etwa in Golßen oder Halbe – da komme es auch immer auf Aktive vor Ort an, die Flyer verteilen, sagen die Akteure. 

 Am Stand von Plus Brandenburg / Volt in Goyatz. Foto: Dörthe Ziemer

Am Stand von Plus Brandenburg / Volt in Goyatz. Foto: Dörthe Ziemer

 

Die Frau am Stand von Antony Jonneck rollt ein Plakat aus, darauf die Forderung nach Frieden: „Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten“. Sie wünsche sich für ihre Kinder, dass diese keinen Krieg erleben müssten, sagt die Frau. In weiteren Gesprächen wird deutlich, dass sie selbst einen schweren Verlust in der Familie verkraften musste. Von ähnlichen Gesprächen berichtet auch Kersten Haase (65), Direktkandidat für BVB / Freie Wähler. Für ihn gelte: Die Ukraine muss unterstützt werden, wer das anders sieht, brauche ihn nicht zu wählen.

 

Auch die fehlende Sparkasse im Ort spricht die Frau in Goyatz an. Das junge Team von Volt erörtert verschiedene Lösungswege. „Das ist viel zu kompliziert, was Sie mir erzählen“, sagt die Frau, „ich wollte nur, dass Sie das wissen und dass Sie sich mehr um die Dörfer kümmern“. Anschließend beschäftigt sie sich mit den Inhalten von Volt und ist begeistert, dass dort „so viele junge Menschen mitmischen“. Auch die europäische Perspektive der Bewegung findet sie interessant. Die sei der wesentliche Unterschied zu anderen progressiven Parteien, sagt Antony Jonneck: „Wir sind als Bewegung für das EU-Parlament gestartet“, erklärt er. Inzwischen sei Volt im niederländischen Parlament vertreten – aber auch in der Luckauer Stadtverordnetenversammlung. Der Zusammenschluss als Liste „Plus Brandenburg“ könnte den drei Beteiligten den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde sichern, hoffen Antony Jonneck und seine Mitstreiter. Für das Direktmandat kandidiere er, „um jungen Leuten Politik auf neue Weise schmackhaft zu machen“.

 

Menschen Politik nahebringen, das versucht Kersten Haase (65) einige Tage später in Friedersdorf vor einem Supermarkt: Die „Frische-Orangen-Tour“ des Landesverbandes ist unterwegs. Neben Kersten Haase findet sich auch der Direktkandidat aus dem Nachbarwahlkreis 27, Björn Langner, sowie einige der Kandidaten von der Spitze der Landesliste ein. Ein Glücksrad spielt Kindern den ein oder anderen Preis in die Hand, eine große aufgeblasene Orange hüpft im heißen Sommerwind hin und her. Es gibt Orangenlimo und Apfelsinen. „Frische Orangen statt faules Obst“ – diesen Wahlslogan findet Kersten Haase nicht gut. Mit faulem Obst seien schließlich „alle anderen Parteien“ gemeint. „Das ist ungünstig, wenn man später mit anderen zusammenarbeiten will“, sagt er. 

 

 Die Frische-Orangen-Tour in Friedersdorf. Foto: Dörthe Ziemer

Die Frische-Orangen-Tour in Friedersdorf. Foto: Dörthe Ziemer

 

Er hoffe auf acht Prozent, mindestens aber fünf bei den Zweitstimmen, sagt Kersten Haase. Dass ein Direktmandat für ihn wenig aussichtsreich ist, sei ihm klar. Auch Björn Langner kandidiert nicht um des Mandates willen, sondern, „um sich Gehör zu verschaffen“. Er möchte auch nicht in den Landtag einziehen, denn er ist hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Heidesee und wolle dies auch bleiben, sagt er. Björn Langner hat einen Tag Urlaub genommen, um am Wahlkampfstand nicht mit seinem Amt in Konflikt zu geraten. Doch die Menschen in Friedersdorf kennen ihn natürlich, es wird nach praktischen Dingen gefragt, die ein Bürgermeister am besten beantworten kann. 

 

Er setze sich für eine bessere Finanzierung der Kommunen ein, die kaum noch alle Pflichtaufgaben erfüllen, geschweige denn freiwillige Aufgaben übernehmen könnten, sagt Björn Langner. „Die Bürgermeister werden einfach nicht gefragt“, pflichtet ihm Kersten Haase bei und verweist auf das Kita-Gesetz: mehr Aufgaben, aber kein Geld dafür. „Wer die Party bestellt, muss sie auch bezahlen“, fordern beide. Konnexitätsprinzip heißt das im Verwaltungsdeutsch. 

 

Gleiches sollte auch für eine wichtige Forderung von BVB/Freie Wähler gelten, bei der sie sich mit den Linken einig sind: kostenloses Mittagessen für alle Grundschüler. Eine Staffelung, um besser gestellte Eltern an der Finanzierung zu beteiligen, lehnt Kersten Haase ab und schaut auf Björn Langner: „Das würde in den Verwaltungen einen Mehraufwand bedeuten“, sagt er. Kostenfreies Essen, aber nicht auf Kosten der Kommune, so seine Forderung. Das Geld könne aus Umverteilungen im Landeshaushalt kommen: mehr Geld für Bildung, weniger für die Erhöhung der Diäten beispielsweise.

 

Und schon ist man mittendrin in der Themenvielfalt, die sich an den Wahlkampftischen auftut. Zum Thema Bildung habe ich alle vier Kandidaten befragt, zuerst Nadine Graßmel, was bedeutet, dass sie als junges SPD-Mitglied 34 Jahre SPD-Bildungspolitik erklären soll und warum Brandenburg immer wieder eins der Schlusslichter in Bildungsrankings ist. Die Mutter dreier Schulkinder und Engagierte im Schulförderverein würde den Schulen mehr Autonomie gewähren. „Die Schulen wissen selbst sehr gut, was sie brauchen. Es wird ihnen aber zu viel von außen diktiert und kontrolliert“, sagt sie und verweist auf einen Modellversuch an einer Potsdamer Schule, wo mehr Flexibilität ausprobiert wird. Auch bei Antony Jonneck stehen Kitas und Schulen auf der Agenda ganz oben. Sie auf den neuesten Stand zu bringen und Lehrern, wie übrigens auch Ärzten, „das Leben auf dem Land schmackhaft zu machen“, sei sein Ziel. Außerdem müsse das Image der Lehr- und Erzieherberufe verbessert werden.

 

 Pendler-Aktion der SPD-Kandidatin am Bahnhof Lübben. Foto: Dörthe Ziemer

Pendler-Aktion der SPD-Kandidatin am Bahnhof Lübben. Foto: Dörthe Ziemer

 

Wie das gelingen kann, frage ich auch den AfD-Direktkandidaten Hans-Christoph Berndt. Denn die AfD verteilt im Wahlkampf Schüler-Flyer mit dem Slogan „Es ist Zeit eure Lehrer zu ärgern“. Schüler sollten ihre Meinung sagen dürfen und nicht von Lehrern indoktriniert werden, erklärt Hans-Christoph Berndt dazu. Die AfD möchte das gegliederte Schulsystem erhalten und Inklusion abschaffen. Wäre das etwa eine Absage an inklusive und Bildungsgang-übergreifende Schulen wie die neue Gesamtschule im Schenkenländchen? Das stehe so nicht im Wahlprogramm, sagt er. Gemeint sei, dass Inklusion nicht zur Religion erhoben werden solle. „Das Hauptproblem an Schulen ist doch die Gewalttätigkeit, die Asozialität und die fehlende Empathie“, sagt der AfD-Kandidat.

 

Die AfD will außerdem umgehend die Lehrpläne ändern, weil Grundschüler nicht richtig lesen, schreiben und rechnen könnten, und Tablets in der Grundschule abschaffen. Das ist nur einer von zehn Punkten, die Hans-Christoph Berndt bei der Kundgebung in Lübben als jene Vorhaben benennt, die die AfD nach der Wahl sofort umsetzen wolle. Aber eigentlich geht es an diesem Tag nicht um das Wahlprogramm der AfD. Vielleicht geht es nicht einmal um die Brandenburger AfD-Kandidaten, die da auf der Bühne stehen. Vielleicht geht es vor allem um Maximilian Krah, den zu fragwürdiger Prominenz gelangten AfD-Abgeordneten im Europaparlament. Im Mai sind er und sämtliche AfD-Mitglieder von der rechtsgerichteten ID-Fraktion ausgeschlossen worden, er zog sich aus dem AfD- Bundesvorstand zurück und erhielt ein Auftrittsverbot im EU-Wahlkampf.

 

Dieser Maximilian Krah darf nun also in Lübben sprechen, und er hetzt gegen die 100 Menschen vor der Kirche und gegen den Pfarrer. Die Menschen auf dem Marktplatz schwört er auf ein Wir gegen Die ein: Die Kirche sei „nicht gebaut von Leuten wie denen“, sagt er und zeigt dorthin – „Leute, die auf Eure Kosten leben“. Der Pfarrer dort rede nicht von uns, er meine es „nicht gut mit Euch“, ruft der Rechtsaußen der AfD in die Menge. „Wir sind ein Volk, das zusammenhält, das solidarisch ist. Die wollen aus Euch einzelne schwache Menschen machen.“ Die wüssten nicht, ob sie Mann oder Frau seien – echte Männer und Frauen seien rechts. Die Leute dort seien auf der falschen Seite. Man müsse jedoch die „guten Leute rüberholen“, fordert er. „Geht zu Euren Freunden, Bekannten und Nachbarn und setzt ihnen die Pistole auf die Brust“, ruft Maximilian Krah über den Lübbener Marktplatz. 

 

„Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf“, singen die Kirchengemeinde und ihre Gäste derweil in einer kurzen Andacht. Ein meterlanges buntes Band als Zeichen von Vielfalt und Verbundenheit ist geknüpft und baumelt vom Fenster der Paul-Gerhardt-Kirche hinüber zum Denkmal des Kirchenlieddichters. 

 

 Andacht nach der Kundgebung in der Paul-Gerhardt-Kirche. Foto: Dörthe Ziemer

Andacht nach der Kundgebung in der Paul-Gerhardt-Kirche. Foto: Dörthe Ziemer

 

Am nächsten Morgen steht Nadine Graßmel früh um 6 Uhr vor dem Lübbener Bahnhof: Pendleraktion im Wahlkampf. Es gibt frischen Kaffee, Brötchen und Honig oder einen Apfel mit auf den Weg. Manche Menschen eilen vorbei, andere rufen „Ich habe schon gewählt“, ein paar beginnen ein Gespräch. Eine Frau* bringt gerade ihre Tochter zur Bahn, beide bleiben stehen. Im Gespräch offenbart sich, dass alle drei am Vorabend vor der Kirche waren – ohne sich dort begegnet zu sein. „Ich denke manchmal darüber nach zurückzukommen“, sagt die Tochter, eine junge Ärztin, die mit einer Frau zusammenlebt und übers Wochenende bei den Eltern war. Wenn sie sich die Kundgebung von gestern so vor Augen führe, kämen ihr jedoch Zweifel am Rückkehr-Gedanken.


KURZ GEFRAGT

Nadine Graßmel (SPD), 44, Sozialpädagogin, aus Luckau

Hans-Christoph Berndt (AfD), 68, Mitglied des Landtages, aus Golßen

Kersten Haase (BVB / Freie Wähler), 65, selbstständig, aus Heidesee

Antony Jonneck (Plus Brandenburg / Volt), 26, Bauleiter, aus Lübbenau

 

Lesen Sie auch unsere Reportage aus den Wahlkreisen 26 und 27 mit Kandidatinnen und Kandidaten von CDU, Grünen, Linken und FDP.

 

* Name der Redaktion bekannt

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Veröffentlichung

Fr, 06. September 2024

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