Von Nahwärmenetz bis Bürgerstrom: In Sachen Erneuerbare Energien wird kaum noch das Ob, sondern das Wie diskutiert. Das offenbart mehr Gemeinsamkeiten als gedacht. In kritischen Fällen wie aktuell in Halbe oder Briesensee könnte eine staatlich geförderte Mediation helfen.
Von Dörthe Ziemer
Er möchte den Volkszorn wecken, sagt Matthias Rackwitz. Der Vorsitzende des Nabu-Verbands Dahme-Seenland hat eine Petition gestartet, die sich gegen die Aufstellung von Windkraftanlagen im Landschaftsschutzgebiet Dahme-Heideseen wendet. Anlass ist ein Aufstellungsbeschluss, der auf der Tagesordnung der Halber Gemeindevertretung am Donnerstag steht und der wiederum Grundlage für den Bebauungsplan „Windpark Freidorf“ ist. Links und rechts der Autobahn A13 in Höhe Freidorf und nördlich davon sollen auf etwa 1.000 Hektar Fläche Windkraftanlagen errichtet werden.
„Die Investoren stoßen hier in eine zeitliche Lücke.“
Matthias Rackwitz, Nabu Dahmeland
Das Problem ist, dass es derzeit keine gültige überregionale Planungsgrundlage gibt. Der sachliche Teilregionalplan „Windenergienutzung“ der Planungsregion Lausitz-Spreewald war für nichtig erklärt worden, ein neuer liegt noch bis zum 10. Januar zur Beteiligung der Öffentlichkeit aus. „Die Investoren stoßen hier in eine zeitliche Lücke“, sagt Matthias Rackwitz. Im neuen Regionalplan würden Gebiete wie das Landschaftsschutzgebiet Dahme-Heideseen nicht als Vorranggebiet ausgewiesen, doch bis dieser gilt, dürfte noch viel Zeit vergehen. Er findet, dass die Belange eines Naturparks, der fast deckungsgleich zum Landschaftsschutzgebiet ist, wichtiger als eine „Pleite-Reduzierung von Halbe“ sei. „Hier hat keine seriöse Abwägung stattgefunden“, sagt er.
Deshalb hat der Nabu-Chef die Online-Petition „Keine Windkraftanlagen im Naturpark und Landschaftsschutzgebiet Dahme-Heideseen!“ gestartet, die sich an „Landesumweltamt, Landkreis, politische Volksvertreter“ richtet. Die Petition hat rechtlich keine Bindung, aber Matthias Rackwitz sieht sie als „unterstützend zum Protest vor Ort“. Was genau die Petition erreichen soll, kann er indes nicht sagen, weiß er doch, dass Investoren zurzeit auch ohne Zustimmung der Gemeinde loslegen könnten. Mit der Aufstellung eines Bebauungsplanes und eines städtebaulichen Vertrages können jedoch Vereinbarungen zwischen Investor und Flächeneigentümern sowie Kommune getroffen werden, etwa, dass eine (freiwillige) Abgabe pro Kilowattstunde erzeugter Strom (s.u.) gezahlt wird.
Beispiel Luckau: Kommt der „Energiepark der Akzeptanz“?
Der Handlungsspielraum für die Kommune in Sachen Windkraft sei nicht groß, sagt der Luckauer Bürgermeister Gerald Lehmann. Die Stadt ist seit dem Sommer im Gespräch mit einem Investor – und mit den betroffenen Einwohnern zwischen Pelkwitz, Zieckau und Gießmannsdorf. Zudem hatte sich die Stadt mangels der überregionalen Planung zwischenzeitlich selbst auf den Weg gemacht, einen sachlichen Teilflächennutzungsplan „Windenergie“ aufzustellen, um jene Gebiete auszuweisen, die die Gemeinde für besonders geeignet hält. Doch bis diese Pläne in Kraft sind, gilt der Paradigmenwechsel, der bereits vor einem Jahr stattgefunden hat: Statt ausschließlich geeignete Gebiete auszuweisen, wo Windkraftanlagen errichtet werden dürfen, gibt es nur Vorrangflächen, wo sie privilegiert sind – aber nicht ausschließlich dort.
Deshalb könnten Investoren einfach Genehmigungen beantragen – in einem Fall sei das in Luckau sogar passiert. Die Stadt Luckau hatte ihr Einvernehmen versagt, doch der Investor fand ein Schlupfloch und nahm sich einen Anwalt. „Wenn wir diese Projekte nicht verhindern können, müssen wir insbesondere für die betroffenen Orte und auch für die Stadt Luckau ein Maximum an finanziellen Leistungen herausholen“, fordert deshalb der Gießmannsdorfer Ortsvorsteher Uwe Vogt. Ein „Energiepark der Akzeptanz“ soll entstehen und „Energielösungen“ anbieten, die Themen wie E-Mobilität, Ladesäulen, Umspannwerke und Nahwärmeversorgung umfassen. So beschreibt es der Investor. Solche Projekte könnten mehr Akzeptanz vor Ort erzeugen, so die Hoffnung.
Die Skepsis in den Einwohnerversammlungen ist dennoch groß. Zahlreiche solcher Anlagen gibt es bereits in der Region – das größte und markanteste ist wohl die auf der Dubener Platte. Skeptisch äußerten sich die Gießmannsdorfer vor allem zur schwankenden Auslastung der Anlagen, aber auch in Bezug auf Ausgleichsmaßnahmen und langfristige Auswirkungen. „Für mich würde die Kohle reichen, die noch in der Erde ist“, sagte einer der Anwesenden. Man habe vor Ort die Geräuschkulisse, aber der Pächter bekomme das Geld und wohne vielleicht gar nicht vor Ort. „Wie will man uns das schmackhaft machen? Man erzählt es uns, wie man es braucht.“
Vor allem müsste mit einem neuen Windpark auch der Strom billiger werden, forderten viele Einwohner in Gießmannsdorf. Doch die in Brandenburg besonders hohen Netzentgelte verhindern dies bislang. Der Netzausbau dauere zu lange, kritisierten auch die anwesenden Vertreter des Investors. Aber abzuwarten – das funktioniere nicht, man müsse „Begleitkonzepte“ finden, etwa in Form von Wasserstoff-Elektrolyseuren oder Wärmespeichern. „Der Ist-Zustand ist nicht ideal, das ist klar. Aber wir reden über die Zukunft. Jeder in seinem Bereich“, sagte Finn Wöbking von VSB Energy. Die Zukunft jedoch schien an diesem Abend noch weit entfernt, und zwar nicht nur, weil Planung, Gutachten, Genehmigungen und Bau der Anlage fünf bis sieben Jahre dauern.
Die Ausbauziele und die damit verbundenen Gesetzesänderungen seien politisch gewollt, sagte Ortsvorsteher Uwe Vogt beinahe entschuldigend, aber das können man nicht ändern. „Doch: anders wählen“, entgegnete jemand aus den Zuhörer-Reihen und sagte mit offenem Satzende: „Ich wähle bestimmt nicht AfD, aber wenn das so weitergeht…“. Verständnis dafür, dass man seinen Protest irgendwann auf dem Wahlzettel äußert, beginnt Ronny Schulze in Briesensee zu entwickeln. Seit etwa einem Jahr ringt er mit einer Bürgerinitiative (BI) darum, dass Solarflächen in der Gemeinde sinnvoll und verträglich installiert werden, was jedoch nicht immer die gewinnbringendste Variante darstellt.
Beispiel Briesensee: Bürger-Katalog als Zielplanung oder Verhinderung?
Das aber sei offenbar das Motiv des Ortsbeirates und der Agrargenossenschaft, einem Vorhaben mit Solar-Freiflächenanlagen auf 300 Hektar Fläche zuzustimmen, so Ronny Schulze. „Damit könnten wir den halben Landkreis mit Strom versorgen“, kritisiert er die schiere Größe. Schon im vergangenen Jahr sei der Investor durchs Dorf gezogen und habe die Flächeneigentümer ermuntert, Pachtverträge zu unterzeichnen. Anfang dieses Jahres gab es eine Informationsveranstaltung in Briesensee, bei der die Einwohner offenbar vor vollendete Tatsachen mit fertig geplantem Projekt gestellt werden sollten. Aus Sicht zahlreicher Einwohner, die bereits 31 Windkraftanlagen in ihrer Nachbarschaft haben, war die Fläche jedoch viel zu groß, viel zu dicht am Ort und auf Boden, der teilweise eine gute Fruchtbarkeit aufweist.
Doch die BI stemme sich nicht generell gegen Erneuerbare Energien, sagt Ronny Schulze, nur sollte ihr Ausbau verträglich und im Einklang mit zahlreichen Empfehlungen voranschreiten. Deshalb entwickelte die BI mithilfe der Handreichung des Landkreises Dahme-Spreewald zu Solaranlagen und zahlreicher Empfehlungen der Landesministerien einen Kriterienkatalog. Dieser sollte in die Erstellung einer städtebaulichen Zielplanung für das gesamte Gebiet des Amtes Oberspreewald/Lieberose einfließen. Mit dieser würden geeignete Flächen ausgewiesen werden, es gäbe gemeinsam entwickelte planerische Grundlagen und einen einfacheren Umgang mit Investoren.
Doch vieles von dem, was erarbeitet wurde, finde er in der Zielplanung nicht wieder, kritisiert Ronny Schulze. Der Kriterienkatalog der BI sieht beispielsweise einen Abstand von 1000 Metern zwischen Solarfeld und Ort vor, eine Bodenwertzahl von unter 25 (geringe landwirtschaftliche Ertragsfähigkeit) und Wildkorridore. „Insgesamt liegt dem Konzept liegt die Strategie zugrunde, dass Photovoltaik (PV)-Freiflächenanlagen zuallerletzt errichtet werden sollten“, erläutert er. Vorher müssten die Möglichkeiten geprüft werden, PV an Dächern und Gebäuden anzubringen oder auf Konversionsflächen (ehemalige Militärflächen) – so, wie es die Handreichung des Landkreises nahelegt. Diese Papier wurde eigens dazu geschaffen, Kommunen im Umgang mit Investitionsvorhaben von Solarfirmen zu unterstützen und geeignete Flächen festzulegen. Doch der Investor habe dem Ortsbeirat signalisiert, dass der Katalog der BI eine „Verhinderungsmaßnahme“ sei, berichtet Ronny Schulze.
Die Interessen der Bürger und der Investoren miteinander abzuwägen, darauf komme es nun an, sagt Amtsdirektor Bernd Boschan, der als Verwaltungschef die Entwicklung der städtebaulichen Zielplanung begleitet. Er begrüße es, dass sich Bürger dabei frühzeitig einbringen, statt im Nachhinein Kritikpunkte festzustellen. „Doch sich einzubringen bedeutet nicht, dass am Ende jede subjektive Sichtweise Berücksichtigung findet“, erklärt Bernd Boschan. „Eine Einzelmeinung steht manchmal einer Mehrheitsmeinung gegenüber.“ Für Ronny Schulze sei es ein Unding, dass die Amtsverwaltung ihrerseits dem Planungsbüro Kriterien mitteile, die in der Zielplanung enthalten sein sollten. „Kommunikation ist alles“, sagt der Briesenseer, der bereit ist, auch Minister in sein Dorf einzuladen. „Wir sind bereit, jeden Weg mitzugehen, wenn man die Bürger rechtzeitig mitnimmt“, sagt er.
Gespräche helfen, Klarheiten zu schaffen. Das sagt Matthias Bruhn, der als Mediator im Auftrag des Kompetenzzentrums Naturschutz und Energiewende (KNE) und mit Förderung des Brandenburger Wirtschaftsministeriums in Konflikten rund um Projekte im Bereich der Erneuerbaren Energien vermittelt. Wichtigste Voraussetzung: Die Mediatoren aus dem Pool des KNE werden nicht vom Investor beauftragt. Alle am Konflikt beteiligten Parteien müssen sich darüber verständigen, dass eine Mediation stattfinden soll und wer sie bezahlt. „Häufig landet man dann beim Vorhabensträger“, sagt Matthias Bruhn, aber eben erst dann, und nicht von vornherein.
„Meist ist es so, dass einzelne Personen berechtigte Anliegen haben und es am Ende zu einer Einigung kommt, die für den Ort etwas bringt.“
Matthias Bruhn, Mediator
Üblicherweise startet so ein Prozess damit, dass jemand einen Mediator ruft und von Spannungen berichtet. „Dann wird die Anschubfinanzierung für die Mediation beantragt“, erklärt er. „Ich versuche derweil, den Konflikt zu erfassen und alle Beteiligten zu kontaktieren. Am Ende habe ich idealerweise 5 bis 15 Personen, die in eine Mediation gehen möchten.“ Dabei gehe es darum, das gegenseitige Zuhören zu ermöglichen und eine Lösung zu finden, mit der alle leben können. „Es ist möglich, dass der Widerstand so substanziell ist, dass der Investor Abstand nimmt“, berichtet Matthias Bruhn aus seiner Arbeit. „Meist ist es aber so, dass einzelne Personen berechtigte Anliegen haben und es am Ende zu einer Einigung kommt, die für den Ort etwas bringt.“
Karen Thormeyer, die bei der KNE den Mediatorenpool koordiniert, beschreibt eine häufige Konfliktursache: „Eine Familie kauft einen alten Bauernhof, und die Ackerfläche kauft jemand anderes. Der verpachtet oder verkauft diese dann an Investoren.“ Hinzu kämen dann „Amtsmitarbeiter, die überlastet sind und manchmal auch überfordert,“ oder Gemeinderatsmitglieder, die am Verfahren als Elektriker oder Eigentümer beteiligt seien. „Da ist es schwer für Anwohner, sich Gehör zu verschaffen“, so ihre Erfahrung.
Bei Windenergie würden die Hauptentscheidungen derzeit ohnehin über die Landesplanung fallen, bei Solarenergie über die Kommune. „Und die ist oft überfordert. Es geht da inzwischen um richtig große Anlagen“, sagt Karen Thormeyer. Knapp 50 Mediatoren hat die KNE in den vergangenen Jahren ausgebildet. Diese moderieren nicht nur Gespräche vor Ort, sondern schulen Akteure auch darin, wie man eine Bürgerversammlung gestaltet. „Häufig informieren Projektierer und Kommunen nicht richtig oder nicht rechtzeitig. Die Bürger gehen dann auf die Barrikaden. Es entwickeln sich viele Legenden. Unmut potenziert sich.“
„Häufig informieren Projektierer und Kommunen nicht richtig oder nicht rechtzeitig. Die Bürger gehen dann auf die Barrikaden. Es entwickeln sich viele Legenden. Unmut potenziert sich.“
Karen Thormeyer, Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE)
Auch im Landkreis Dahme-Spreewald war Matthias Bruhn bereits tätig. Da gab es in einem Ort Widerstand, weil Einwohner gegen die Erweiterung des Windparks waren. „Stärker noch ging es aber darum, dass der Ortsteil nichts von dem Windpark hatte“, erzählt der Mediator. Denn die Einnahmen für die Leitungstrasse und die Wegebenutzung seien an die Stadt gegangen und an zentraler Stelle eingesetzt worden. „Deshalb wollte eine BI sich dafür einsetzten, dass der Ortsteil etwas davon hat. So kam es zu einer Gemengelage, in der die Bürgermeisterin und die BI nicht gut miteinander kommuniziert haben, während die Investoren gutwillig waren“, so Matthias Bruhn. Bei den Gesprächen vor Ort habe er moderiert.
Einwohnerversammlung zum geplanten Windpark in Gießmannsdorf. Foto: Dörthe Ziemer
Auch in Luckau fällt die Verwendung der Einnahmen aus Windenergie nicht unbedingt im Einklang mit den jeweiligen Ortsvorstehern wie beispielsweise Uwe Vogt aus, die das Geld oder zumindest einen Großteil davon lieber direkt in ihrem Ortsteil sähen. „Es muss Geld vor Ort bleiben, aber zu unserem Gemeinwesen gehören alle Ortsteile“, mahnte Bürgermeister Gerald Lehmann während der Einwohnerversammlung in Gießmannsdorf. „Den Ausgleich müssen wir in der Stadtverordnetenversammlung herstellen.“ In dieser ist Uwe Vogt immerhin vertreten. Im Fall der 15 neuen geplanten Windräder stehen für die Stadt Luckau rund 15 Millionen Euro über 20 Jahre in Aussicht, die ohne Zweckbindung und Gegenleistung in den Haushalt eingespeist werden.
Aus der Sicht des Mediators komme es zu selten zu einer echten Mediation, die verhindern könnte, dass sich ein Dorf komplett zerstreitet. „Keiner gesteht gern ein, dass es einen Konflikt gibt“, nennt er einen möglichen Grund dafür. „Die Feindschaft wächst, aber man gibt es nicht zu.“ Oft blieben auch Einzelne übrig, „die schon immer dagegen waren und bleiben werden“. Doch häufiger seien die Menschen nicht hundertprozentig gegen Projekte zur Gewinnung erneuerbarer Energien, aber sie wünschen sich, dass sie etwas davon haben. „Das ist eigentlich der Schlüssel zur Akzeptanz“, ist Matthias Bruhn überzeugt.
Beispiel Schönwald: Von Wind- und Solar-Euro zu echter Energie-Autarkie?
Genau darum geht es Gemeindevertretern in Schönwald: Akzeptanz für Erneuerbare Energien zu schaffen, indem die Gemeinde konkret etwas davon hat. Deshalb hat die Listenvereinigung „Jugend, Familie, Zukunft Schönwald / Bündnis 90/Die Grünen“ kürzlich zu einer Einwohnerversammlung in den Ortsteil Waldow eingeladen. „Aktiv sein und mitgestalten“ war diese überschrieben und sollte die Frage beantworten: „Wie können Gemeinden das Geld aus Wind und Solar sinnvoll einsetzen?“ Gemeindevertreterin Sabine Hoffmann und ihre Mitstreiter hatten dazu Jens Hinze, den ehrenamtlichen Bürgermeister der Gemeinde Mühlenfließ (Amt Niemegk), eingeladen sowie Heiko Jahn, Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Lausitz, die im Auftrag der Landesregierung Strukturwandel-Projekte qualifiziert und zu Förderung empfiehlt.
Die Gemeinde Mühlenfließ kann Einnahmen in Millionenhöhe verbuchen – nicht nur, weil sie die Aufstellung von Windkraftanlagen befördert, sondern weil sie auf besondere Art dabei die Regie übernimmt. Flächeneigentümer und Einwohner, Gemeinde und Kirche haben sich in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengetan, um gemeinschaftlich die Bedingungen mit den Investoren auszuhandeln. „Viele Investoren haben sich mit Mühlenfließ gar nicht beschäftigt, die lehnen wir gleich ab“, stellte der Bürgermeister klar. Inzwischen hätten sich aber auch Investoren zusammengeschlossen, um größere Projekte zu entwickeln, darunter auch solche mit Firmensitz in der Gemeinde. Das schlägt sich dann bei den Gewerbesteuern nieder.
Außerdem wurde eine Stiftung gegründet, die die Einnahmen an Projekte im Ort vergibt, sodass alle Menschen, die dort leben und die Windkraftanlagen in ihrer Nachbarschaft haben, davon auch profitieren können. Hunderttausende Euro konnten in Ortsteilbudgets gesteckt und Projekte entwickelt werden, etwa neue Feuerwehrgeräte- oder Dorfgemeinschaftshäuser. Davor war Mühlenfließ jahrelang in der Haushaltssicherung. „Wenn man kein Geld hat, redet man nicht mehr miteinander, weil es nicht viel zu gestalten gibt“, sagte Jens Hinze. „Wenn es jedoch Geld gibt, kann man auch wieder gemeinsam Ideen entwickeln. Das stärkt auch die Demokratie vor Ort.“
Dafür, diese Aushandlungsprozesse auch in Schönwald zu führen, warb Sabine Hoffmann. „Derzeit wird der Wind-Euro zum Stopfen der Haushaltskasse verwendet“, sagte sie. „Wir würden das gern in die Kitas, Feuerwehren, Straßenbeleuchtung usw. geben. Und wir brauchen Leute, die diese Politik miteinander aushandeln, es sind ja bald wieder Wahlen.“ Die folgende Diskussion offenbarte, wie unübersichtlich die Einnahme-Situation derzeit ist: Verpflichtende Abgaben durch Investoren gelten ab bestimmten Stichtagen. Der Solar-Euro unterliegt anderen Bestimmungen als der Wind-Euro und die zusätzliche freiwillige Abgabe sowie Ausgleichsmaßnahmen wiederum anderen Bestimmungen.
Schönwalds Bürgermeister Roland Gefreiter versuchte, mit einer kurzen Chronik der Anlagen rund um den Ort einen kleinen Überblick zu geben. Die erste Windkraftanlage stand bereits 1999 – und schon mit dieser könne man den Ort versorgen. Heute würden alle Anlagen rund um Schönwald eine Stadt wie Dresden mit Strom versorgen können, rechnete er vor. Stand heute profitiere die Gemeindekasse mit 16.000 Euro von den bisherigen Anlagen – davon flössen 40 Prozent in die Amts- und die Kreisumlage. Nun stehe der kürzlich beschlossene Solar-Euro mit Umsetzung ab 2024 an, was den Bürgermeister zu der Feststellung brachte, dass man nun womöglich Maßnahmen bremsen, mithin die „Energiewende ausbremsen“ müsse.
Jenseits der vorgeschriebenen und gesetzlich möglichen Zahlungen könnte sich die Debatte aber auch um echte Energieautarkie drehen, regt Heiko Jahn von der Wirtschaftsregion Lausitz an. „Einen bilanziellen Überschuss an Strom hat fast jede Brandenburger Gemeinde, das geht dann in die Leitung nach Bayern und Baden-Württemberg, und wir bezahlen auch noch über erhöhte Netzentgelte“, merkte er kritisch an. „Wenn wir von echter Autarkie sprechen, dann davon: Was hier produziert wird, wird hier verbraucht. Das erfordert beispielsweise eine Bürgerenergiegenossenschaft. Das ist jede Menge Arbeit.“ Genau das seien aber die Modelle, die die Wirtschaftsregion fördern wolle. Wer sich wirklich auf den Weg der Energieautarkie machen wolle, müsse Entscheidungen treffen, als wenn es nur um die Verhandlungen mit Investoren gehe.
„Wenn wir von echter Autarkie sprechen, dann davon: Was hier produziert wird, wird hier verbraucht. Das erfordert beispielsweise eine Bürgerenergiegenossenschaft. Das ist jede Menge Arbeit.“
Heiko Jahn, Wirtschaftsregion Lausitz
Für Uwe Vogt liegt der Gewinn eines möglichen neuen Windparks rund um Gießmannsdorf im vorgeschlagenen Nahwärmenetz: „Es gibt keine Anschlusskosten. Bezahlt wird nur die Wärme“, erläutert er. Innerhalb des Windparks könne der Strom verbraucht werden, der nicht in die Netze eingespeist werden kann – und zwar, um Wasser zu erhitzen, das über Leitungen dann in die einzelnen Grundstücke und zu den Verbrauchern fließen. „Sollte es möglich werden, auch die Stadt Luckau wenigstens teilweise anzuschließen, dann wären wir hier ein wirkliches Vorzeigegebiet in Sachen Dekarbonisierung“, blickt Uwe Vogt optimistisch voraus.
Beispiel Münchehofe: Bürgerbefragung, Ministerbesuch und Machbarkeitsstudie
Einen gänzlich anderen Weg möchte die Gemeinde Münchehofe gehen. Dort machen sich Bürger und Sachverständige bereits länger Gedanken, wie die Energiewende zu wuppen sei, wenn man sich im Landschaftsschutzgebiet befindet. Auch dort klopfen Investoren zur Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien an die Gemeindetür, darunter Windparks, Photovoltaik-Analgen und Erdwärmepumpen.
Anfang September gab es eine Einwohnerbefragung dazu, die zwar kommunalrechtlich nicht bindend ist, für die Gemeindevertretung und den Bürgermeister aber dennoch als wichtiges Stimmungsbild gewertet wird. Bei 65 Prozent Beteiligung haben sich knapp zwei Drittel der Teilnehmenden sowohl gegen Wind- als auch gegen Solaranlagen ausgesprochen. Das Ergebnis brachte der Kommune mediale Aufmerksamkeit und einen Besuch des Wirtschaftsministers ein. Auch Matthias Rackwitz wünscht sich für Halbe so eine Bürgerbefragung. Allerdings ist er selbst kein Halber Bürger.
Münchehofe kann sich derweil über den Kreisstrukturfonds eine Machbarkeitsstudie finanzieren lassen, und zwar „samt Kosten- Wirtschaftlichkeitsberechnung für die kommunale Energieplanung und Realisation der kommunalen Energieautarkie mit erneuerbaren Energien unter besonderer Berücksichtigung auch der Tiefengeothermie“, wie es in der Vorlage heißt. Das Vorhaben steht ebenfalls am morgigen Donnerstag auf der Tagesordnung der Gemeindevertreter. „Wir sind nicht gegen Erneuerbare Energien“, sagt Bürgermeister Ralf Irmscher. „Wir wollen herausfinden, wie man im Landschaftsschutzgebiet Erneuerbare sinnvoll einsetzen kann und somit einen Beitrag zur Energiewende leisten.“
Bis der erste Strom fließt, egal ob aus einvernehmlich oder mit Widerstand aufgestellten Wind- oder Solarparks, aus genossenschaftlichen oder ähnlichen Projekten, gehen ohnehin noch mehrere Jahre ins Land. Denn zu den Planungsprozessen gehören die üblichen Offenlegungsfristen, innerhalb derer nochmals Einwände erhoben und Vorschläge gemacht werden können. Außerdem sind diverse Gutachten dazu zu erstellen, etwa zum Thema Natur- und Artenschutz oder zum Brandschutz. Fragen zum Thema Naturschutz gehören derweil zu jeder Einwohnerversammlung dazu: Ob der in Brandenburg beheimatete Rotmilan durch den Schlag der Rotorblätter nicht gefährdet sei oder die Fledermäuse den Druck in der Nähe von Windrädern aushalten, wird gefragt oder wie das mit der Hitze im Umfeld von Solarzellen sei oder ob nicht wertvoller Wald verloren gehe, wenn Windräder in Kiefernwälder gesetzt werden. Schließlich auch die Frage, wie das mit Eisbruch im Winter sei.
Auf all diese Fragen hatten die Projektierer beispielsweise in Gießmannsdorf detailreiche Antworten. Manche Aspekte, etwa Brandschutzkonzepte, werden im Vertrag mit dem Investor geregelt, andere Dinge bereits in der Planung festgeschrieben. „Es wird häufig dargestellt, dass der Naturschutz beim Errichten von Wind- oder Solaranlagen ein Hauptproblem sei, dem ist aber nicht so“, sagt Karen Thormeyer vom KNE. Deshalb stellt das KNE umfangreiches Fachwissen zur Verfügung. „Die finanzielle Beteiligung ist das A und O bei der Akzeptanz“, berichtet Karen Thormeyer. Immer wieder gebe es Einwohnerversammlungen, auf denen „der Volkszorn hochkoche“, weil selbst ernannte Experten von Ort zu Ort zögen und mit Gerüchten und Unwahrheiten Druck erzeugten. „Das ist eine Problematik, die immer größer wird.“
Einwohnerversammlung in Waldow - Heiko Jahn von der Wirtschaftsregion Lausitz spricht über Energieautarkie.
Foto: Dörthe Ziemer
In Gießmannsdorf brachte Bürgermeister Gerald Lehmann schließlich eine weitere Option ins Spiel, nachdem ein Bürger vorgeschlagen hatte, mit der vor Ort gewonnenen Energie Wasserstoff zu produzieren und in die ruhende Erdgaspipeline einzuspeisen: Da die Stadt- und Überlandwerke Netzbetreiber seien, könne das Thema Wasserstoff-Elektrolyseur vorangetrieben werden. Und man einigte sich mit dem Investor darauf, dieses Thema weiter zu betrachten. „Wenn es uns gelingt, den lokalen Netzanbieter mit ins Boot zu holen, dann können die betroffenen Bürger mit Strompreisen von 18 bis 20 Cent rechnen“, sagt Uwe Vogt. „Das wäre dann wirklich ein kräftiges Argument für eine Akzeptanz dieses Windparks.“
Und auch in Waldow sprudelten nach einigen hitzigeren Schlagabtauschen die Ideen. „Wir sind hier nicht da, um die Lösungen zu präsentieren, sondern um gemeinsam Lösungsansätze zusammenzutragen“, sagte Sabine Hoffmann als Veranstalterin. „Wir als Gemeindevertreter wollen Ihre Ideen, Probleme und Fragen in die Gemeindevertretung hineintragen. Wir wollen einen Dialog.“ An dessen Ende standen immerhin zwei konkrete Ideen: Ein Energie- und Wärmekonzept für die Gemeinde und die Entwicklung einer Bürgerwindanlage.
HINTERGRUND:
Der Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch wächst nach Auskunft des Bundeswirtschaftsministeriums beständig: von rund 6 Prozent im Jahr 2000 auf rund 45 Prozent im Jahr 2020.
Bis zum Jahr 2030 sollen mindestens 80 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien stammen.
Für den Ausbau der Windkraft bedeutet dies laut Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) beispielsweise, dass zwei Prozent der Fläche Deutschlands für Windenergieanlagen verfügbar sein müssen.
In der Energiestrategie 2040 des Landes Brandenburg sind 2,2 Prozent der Landesfläche für die Windenergienutzung vorgesehen.
Die Regionale Planungsgemeinschaft Lausitz-Spreewald erreicht durch die Festlegungen von 48 Vorranggebieten für die Windenergienutzung das regionale Teilflächenziel von 2,2 Prozent für das Jahr 2032. Der entsprechende Teilregionalplan liegt noch bis 10. Januar 2024 zur öffentlichen Beteiligung aus.
Knapp 95 Prozent des Stromverbrauchs in Brandenburg werden nach Angaben der Landesregierung rechnerisch schon heute aus erneuerbaren Energien gedeckt. Brandenburg kann damit bundesweit die höchste installierte elektrische Leistung aus erneuerbaren Energien pro Einwohner vorweisen.
Durch den hohen Anteil Erneuerbarer komme es in Brandenburg zu immer mehr Unternehmensansiedlungen, sagte Ministerpräsident Dietmar Woidke zu Jahresbeginn beim Bürgerdialog in Luckau. In Brandenburg könne klimaneutral produziert werden, das sei inzwischen fast wichtiger als die Höhe der Gewerbesteuern oder die Grundstückspreise.
Laut Erneuerbare-Energien-Gesetz sollen Anlagenbetreiber die Kommunen finanziell am Ausbau beteiligen. In Brandenburg werden unter bestimmten Voraussetzung 10.000 Euro pro Windkraftanlage fällig, die z.B. für für das Ortsbild, soziale und kulturelle Zwecke oder Bauleitplanungen ausgegeben werden müssen. Zusätzlich können bzw. sollen Investoren unter bestimmten Voraussetzung 0,2 Cent pro Kilowattstunde Strom an die Gemeinde zahlen.
Analog zur Windkraft soll es ab 2025 einen Solar-Euro geben, der Kommunen an den Einnahmen durch Solarenergie beteiligt. Insbesondere sollen die Ortsteile davon profitieren, die von Solaranlagen betroffen sind.
Die Recherchen zu diesem Text entstanden im Rahmen einer Kooperation mit der Lausitzer Rundschau.