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Ein Hauptthema im Wildauer Bürgermeisterwahlkampf ist die Bebauung des Dahme-Nordufers. Dazu gab es jüngst eine repräsentative Umfrage des Investors, am 5. Juli eine Einwohnerversammlung. Wie wollen die Kandidaten mit der Beteiligung von Bürgern umgehen?
Von Dörthe Ziemer
Die Geschichte des aktuell diskutierten Projektes zur Bebauung des Dahme-Nordufers ist lang. Das idyllisch an der Dahme zwischen Schwartzkopffsiedlung und der Gemeindegrenze zu Zeuthen gelegene Areal ist massiv mit Halb- und Schwermetallen im Grundwasser und im Boden verunreinigt. Das ist der Grund dafür, weshalb sich für eine Entwicklung viele Jahre kein Investor fand. 2015, die Berliner Bauwert AG hatte gerade Mietwohnungen am Rosenanger gebaut, wurde ihnen die Sanierung und Entwicklung des Geländes am Dahme Nordufer von der kommunalen Wildauer Wohnungsbaugesellschaft (WiWo) angetragen.
Das Investitionsprojekt
Nun, im Jahr 2022, wird die Entwicklung des Dahme-Nordufers noch immer heiß diskutiert – vor dem Hintergrund der inzwischen veröffentlichten Infrastrukturstudie zur Entwicklung der Stadt, aber auch im Zuge des Bürgermeisterwahlkampfes. Die im Jahr 2020 von den Stadtverordneten beschlossene Einwohnerversammlung hat am 5. Juli stattgefunden – laut Stadtverwaltung war eine frühere Durchführung pandemiebedingt nicht möglich. Über das Beteiligungsportal MaerkerPlus hatte die Stadtverwaltung im April und Mai Bürgermeinungen eingesammelt. Das Meinungsbild, das erstmals am 23. August von den Stadtverordneten in einer außerordentlichen Sitzung ausgewertet wird, ist komplex: Es zeigt sich, dass viele Wildauer einem großen Wachstum gegenüber kritisch eingestellt sind. Viele, die sich bei der Einwohnerversammlung zu Wort meldeten, hatten konkrete Fragen zur Auswirkung des Wachstums auf den Verkehr, auf die Versorgung mit Kita-, Hort- und Schulplätzen, auf die Trinkwasserversorgung und hinsichtlich der Altlastenentsorgung. Im Portal MaerkerPlus gab es ebenfalls zahlreiche kritische Äußerungen – neben einigen positiven Rückmeldungen. Positiv angemerkt wird vor allem, dass es eine zeitgemäße Entwicklung des Geländes brauche und dass die Altlastenproblematik endlich gelöst werden müsse.
Auch der Investor hat sich ein Meinungsbild eingeholt, indem er vom Meinungsforschungsinstitut Forsa eine repräsentative Umfrage durchführen ließ. Ergebnis: 61 Prozent der 500 stichprobenartig ausgewählten Befragten finden es gut, „dass am Dahme Nordufer zwischen Schwartzkopff-Siedlung und dem Seniorenstift Zeuthen ein neues Stadtquartier mit Geschäften, Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie, Sport- und Freizeitangeboten, Parks und Grünflächen, Uferwegen, Bootssteg, Anglerplatz, Badeplätzen und neuen Wohnungen entstehen soll“. Der Präsentation von Bauwert zufolge wurden bei der Befragung keine Angaben zur Zahl der geplanten Wohnungen gemacht.
Doch wie soll die Stadtpolitik in solchen Fällen, aber auch grundsätzlich mit Ergebnissen aus Bürgerbeteiligungen umgehen? Das wollten wir von den fünf Bürgermeister-Kandidaten wissen:
Welche Bedeutung messen Sie Umfragen, Befragungen, Gesprächsrunden usw. ein? Wie wollen Sie die Ergebnisse in die Beschlussvorlagen für die Stadtverordneten einbeziehen?
László Ungvári unterscheidet zunächst zwischen Teilnahme und Beteiligung: „Blumenkästen, die von Familien betreut werden, das gibt es in Italien – das ist Beteiligung. Damit erreichen wir ein Wir-Gefühl“, sagt er. Umfragen hält er für ein sehr ausgeklügeltes Instrument: „Wer sich nicht auskennt mit Stichproben, der kommt mit Aussagen wie: ‚Man hat ja nur 200 Menschen befragt‘. Aber aus Stichproben, wissenschaftlich ausgewählt, sind gute Aussagen zu entnehmen. Diese haben eine gewisse Bedeutung“, erklärt er. Beim Thema Dahme-Nordufer gehe es jedoch auch darum, was für ein Problem vorliege und was zu tun sei: „Es liegt ein kontaminierter Boden vor, wir müssen also dekontaminieren. Bei einer Bebauung kostet die Kontaminierung weniger als bei der Errichtung eines Parks.“ Um aus den vorliegenden Informationen und Meinungsbildern eine Beschlussfassung durch die Stadtverordneten zu erreichen, müssten viele Gespräche geführt werden – mit den Fraktionsvorsitzenden, mit einzelnen Stadtverordneten. „Es wird dann eine Vorlage entstehen, wenn die Zeit reif ist“, sagt der Kandidat Ungvári. Aber man sei weit von einer Beschlussvorlage entfernt. „Eines können wir jedoch nicht machen: das Ding unseren Enkeln überlassen.“
Martin Stock findet ebenfalls, dass repräsentative Befragungen von großem Wert seien – „wenn die empirischen Grundparameter bekannt gegeben werden“. Die aktuelle Befragung zum Dahme-Nordufer sei jedoch nicht dazu geeignet, denn genau diese Parameter fehlten bis heute. „Es hat sich ja auch im Nachgang sehr eindrücklich gezeigt, dass z.B. die Ergebnisse aus der Bürgerversammlung deutlich hierzu divergieren“, schreibt er. Er setze stattdessen auf regelmäßige Bürgerversammlungen (mindestens drei pro Jahr) zu den wichtigsten Themen der Kommunalpolitik. Fragen und Anliegen, die im Termin nicht abschließend geklärt werden könnten, will er innerhalb einer angemessenen Frist beantworten. „Ich würde diese Antworten grundsätzlich auch immer öffentlich abgeben“, ergänzt er. Zudem sei die Arbeit der Fachausschüsse ist dringend zu überarbeiten, „da das bisherige System ineffektiv, ja sogar blockierend und zeitraubend ist“.
Frank Nerlich misst der Bürgerbeteiligung ebenfalls eine hohe Bedeutung bei – sie sei eine tragende Säule in der Gesellschaft. „Wenn wir es nicht schaffen, unsere Bürger mit ihren Themen abzuholen, sitzen wir auf dem Trockenen“, sagt er. „Jeder Stadtverordnete und jeder Bürgermeister ist ein Vertreter von Bürgerschaft oder Teilen der Bürgerschaft. Stimmungen abzuholen finde ich deshalb wichtig und richtig.“ Am Ende liege die Entscheidung jedoch in der Verantwortung jedes Stadtverordneten. Dazu müssten Beschlussvorlagen gut vorbereitet sein - so seine Erfahrung als Stadtverordneter (Fraktion Bürger für Wildau/Grüne): „Wir als kleine Fraktion haben viele Vorlagen eingebracht. Und je besser die vorbereitet sind, umso schneller fällt eine Entscheidung. Ich bin ein Freund von Sachpolitik: konkrete Themen konkret angehen – mit erforderlichen Finanzen hinterlegen, dann entscheiden, ob wir das wollen oder nicht, und dann umsetzen.“ Als Beispiel nennt der die Arbeitsgruppe Radverkehr, die überparteilich eine Prioritätenliste für notwendige Maßnahmen erstellt habe, damit das Radfahren in der Stadt komfortabler werde.
Enno von Essen sieht die Stadtverordneten in der Pflicht, über die Belange der Stadt zu entscheiden. „Dafür sind sie gewählt – das ist quasi ‚ihr Job‘, wenn auch unbezahlt“, stellt er fest. Bei kontroversen Themen sei es erforderlich, die Meinung der Bürger genauer zu untersuchen – „insbesondere dann, wenn es um schwerwiegende Einschnitte im Zusammenleben geht“. Das Dahme-Nordufer sieht er als ein solches Thema an: auf der einen Seite ein Investor, der damit Geld verdient, auf der anderen Seite die Bürger, „die sich zu Recht fragen, ob die Infrastruktur der Stadt diesen Zuwachs aushält“. Experten, ergänzt er, würden negative Auswirkungen auf die Infrastruktur sehen. Die Forsa-Umfrage des Investors sieht er kritisch: „Jeglicher Versuch, die Zahlen zu hinterfragen, wird damit abgebügelt, dass die Umfrage ‚repräsentativ‘ sei.“ Jedoch seien weniger als 0,5 Prozent der Einwohner befragt worden. Die Bürger würden sich zu Recht fragen, ob der Investor die Umfrage auch veröffentlich hätte, wenn es keine Mehrheit gegeben hätte.
Axel Corte hält die Ergebnisse von Umfragen und Befragungen, wenn diese „wirklich neutral getätigt werden“, für vertrauenswürdig und repräsentativ. „Anders hingegen sind geladene Gesprächsrunden zu bewerten“, schätzt er ein. „Hier können sich je nach Einladung verstärkt Befürworter oder Gegner sammeln, welche dann vermeintlich den Eindruck schaffen, es wäre die allgemeine Durchschnittsmeinung.“ Bei langfristigen und strategischen Vorhaben sollte seiner Meinung nach daher ein Mix von Formen der Bürgerbeteiligung vor einer Entscheidungsfindung eingeholt werden. „Ich setzte auf den allgemeinen Sachverstand der Stadtverordneten“, schreibt er.
Vom konkreten Projekt – Sanierung und Entwicklung des Dahme-Nordufers – einmal abgesehen, bleibt das Dreieck zwischen einerseits mehrheitlich gewählten Vertretern, die Entscheidungen im Sinne aller Bürger treffen sollen, punktuell erzeugten Befragungsergebnissen und dem Fachverstand der Mitarbeiter der Stadtverwaltung ein Spannungsfeld. Wie schätzen die Kandidaten dieses ein Feld und wie wollen sie es gestalten?
Axel Corte glaubt, es werde immer unterschiedliche Meinungen geben, persönliche und politische. Seine Lösung: „Die Stadtverwaltung hat im Vorfeld von Befragungen die Bürger umfassend fachlich zu informieren.“ Außerdem soll es Aufklärung und Schulungsangeboten für die Stadtverordneten geben.
Enno von Essen bleibt beim aktuellen Thema Dahme-Nordufer und hinterfragt die Umfrage des Investors: Das eigentliche Problem dieser Umfrage sei, dass nicht explizit nach dem Bauprojekt des Investors gefragt wurde, sondern nur nach einer „generellen Bebauung“. „Das verzerrt die Wahrnehmung, denn es sind nicht 61% für das Bauprojekt des Investors, obwohl es inzwischen in der Kommunikation der Menschen so angekommen zu sein scheint. Man könnte das als Manipulation der Meinung ansehen – und wer manipulieren muss, um zu überzeugen, der hat Unrecht.“ Wenn man davon ausgehe, argumentiert er weiter, „dass 61 Prozent für eine Bebauung sind und davon fairerweise ganze 50 Prozent für den Investor, die anderen 50 Prozent für eine sozialverträgliche Eigenbebauung“ – wären knapp 30 Prozent für eine Bebauung durch den Investor – für den Kandidaten von Essen „Grund genug, das Projekt abzulehnen“.
Frank Nerlich sieht „ein gewisses Spannungsfeld“ als unabdingbar an – als einen Diskurs in der Stadtverordnetenversammlung und in der Verwaltung, in den Ausschüssen. „Dieser Abwägungsprozess ist eine Grundlage in unserer Demokratie und das muss stattfinden können: ein reger Austausch bei einem respektvollen Miteinander“, sagt er. Dieses möchte er durch viel Kommunikation nach Innen und nach Außen erreichen – also einerseits in die Stadtverordnetenversammlung hinein, andererseits im Rathaus. „Da kann nicht nur angewiesen werden, sondern man muss beim Mitarbeiter eine Motivation erzeugen“, erläutert er. Da sei auch schon viel Gutes passiert.
Martin Stock setzt ebenfalls auf Kommunikation und „solide Vorbereitung in Fachausschüssen und mit den politischen Gremien der Stadt und der SVV“. Dadurch möchte er eine Quote von 95 Prozent Einstimmigkeit bei den Entscheidungen erreichen. „Ich halte das für ein sehr realistisches Ziel!“ Dazu hofft er nicht nur auf das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler, sondern auch auf das Vertrauen einer großen Mehrheit der Mitarbeitenden in der Verwaltung.
László Ungvári will das Feld in diesem Dreieck gestalten, „indem man die Spannung rausnimmt. Vor 5 Jahren hat das alles noch wunderbar geklappt. Alle haben wunderbar zusammengearbeitet“. Spannungen seien jedoch in der letzten Zeit – „absichtlich oder unabsichtlich“ – erzeugt worden, dies gelte es abzubauen, „indem wir uns respektvoll in die Augen schauen und nicht gleich alles mit einem Handschlag abwischen“. Ein Problem sei gewesen, dass es in den Diskussionen nicht mehr darauf ankam, was gesagt wurde, sondern wer es gesagt hat.
Die Kandidaten für die Wahl des neuen Wildauer Bürgermeisters am 28. August:
(Reihenfolge laut Bekanntmachung der Wahlvorschläge)
Wahlvorschlag der SPD | Einzelwahl-vorschlag | Einzelwahl- vorschlag |
Einzelwahl-vorschlag | Einzelwahl- vorschlag |
Enno von Essen | Frank Nerlich | Axel Corte | Martin Stock | László Ungvári |
Jg. 1979 | Jg. 1966 | Jg. 1969 | Jg. 1963 | Jg. 1955 |
Immobilienverwalter | Projektmanager | Betriebswirt | Diplom-Politologe | Präsident a.D. |
https://enno-von-essen.de/ | https://frank-nerlich.de/ | http://www.axelcorte.de/ | https://laszlo-ungvari.info/ |
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Demo gegen Gerücht: Warum protestiert BI gegen etwas, was es nicht gibt?
Wie hältst Du‘s mit dem Wasserstoff? – Minister Steinbach in Lübben
Erfrischendes zum Frühsommer: Konzerte in Kirchen, Kunst am Wasser