Bei den anstehenden Bürgermeisterwahlen im Landkreis konkurrieren nicht nur Kandidaten, sondern auch „Überparteilichkeit“ und „Parteipolitik“ miteinander. Wie wichtig ist politischer Wettbewerb? Und: Sind Abwahlen eigentlich ein Trend?
Von Dörthe Ziemer
Im Landkreis stehen in diesem Jahr mehrere Bürgermeisterwahlen an. In Lübben wurde gestern Abend Jens Richter vom Ortsverein der CDU einstimmig zum Kandidaten gewählt, zwei weitere Kandidaten – Annett Kaiser und Andreas Dommaschk – werfen ihren Hut als parteilose Kandidaten in den Ring. Sie müssen nun Unterstützerunterschriften sammeln, um als Kandidat antreten zu können. Alle drei sind Stadtverordnete in Lübben. Somit gibt es entgegen erster Überlegungen der Fraktionen der Stadtverordnetenversammlung keinen parteiübergreifenden, gemeinsamen Kandidaten.
In Königs Wusterhausen wurde im vergangenen Jahr die von einem breiten Parteienbündnis aufgestellte Kandidatin Michaela Wiezorek, zuvor Bauamtsleiterin im Rathaus, gewählt. In Wildau steht am 3. April die Abstimmung über die Abwahl von Bürgermeisterin Angela Homuth an, und auch der Mittenwalder Bürgermeisterin Maja Buße könnte ein Abwahlverfahren ins Haus stehen. Die Gemeinde Märkische Heide wählt regulär eine/n neue/n Bürgermeister/in.
Über den Wettbewerb zwischen parteifreien Gruppierungen und Parteien auf kommunaler Ebene, Politikverdrossenheit und den – vermeintlichen – Trend zum Abwählen von Stadtoberhäuptern sprachen wir mit Prof. Dr. Everhard Holtmann vom Zentrum für Sozialforschung Halle.
Hier im Landkreis Dahme-Spreewald wurden innerhalb eines Jahres fünf Abwahlverfahren gegen Bürgermeister bzw. Amtsdirektoren gestartet. Ist das ein Trend?
Nach unserer bisherigen Beobachtung ist die Zahl der Abwahlverfahren bezogen auf die Gesamtzahl der zu vergebenden Funktionen in der Kommunalpolitik überschaubar. Es kann sein, dass es aus lokalen Gründen innerhalb eines Kreises es zu einer Häufung kommt. Da muss man schauen, welche lokalen Besonderheiten dazu geführt haben. Aber für die große Mehrheit ist das nicht der Fall – Abwahlverfahren gehören nicht zum häufig angewandten kommunalpolitischen Instrumentarium.
Es zeigt sich immer häufiger, dass es in den Kommunalparlamenten oder zwischen Rathäusern und Kommunalpolitik zu einem konfliktreichen Aufeinandertreffen von Wählervereinigungen und Parteien kommt. Sind die Parteien im Lokalen auf dem Rückzug – zugunsten freier Wählervereinigungen?
Kommunale Wählervereinigungen oder Freie Wähler sind beispielsweise in Baden-Württemberg oder Bayern schon seit den 1950er Jahren präsent. Sie sind also keine neue Erscheinungsform. Aus eigenen Forschungen wissen wir: Dieses Organisationsformat hat sich in den fünf neuen Bundesländern (ohne Berlin) schnell etabliert. Das hat etwas damit zu tun, dass die traditionellen politischen Parteien in Ostdeutschland nach 1990 vergleichsweise schwach aufgestellt waren, sowohl, was die Zahl der Ortsvereine betrifft als auch die Zahl ihrer Mitglieder. Deshalb haben sich viele freie Wählergruppen etabliert.
Als Ursache für den Wettbewerb zwischen parteifreien Gruppierungen und Parteien auf kommunaler Ebene kommt hinzu, dass in Deutschland etwa seit dem 19. Jahrhundert eine Anti-Parteien-Einstellung Tradition hat. Man möchte gern aus der Perspektive unparteiischer Sachpolitik denken und hat eine gewisse Abneigung gegen Parteipolitik entwickelt. Dabei werden schnell Vorbehalte gegen den häufig so bezeichneten Parteienklüngel formuliert. Transportiert wird dabei ein Gefühl, ob zutreffend oder nicht, dass von oben herab in die Kommunen hereinregiert werde – was kommunalen Problemlagen nicht gerecht werde. Das alles sind Motivationsstränge für den Erfolg der parteifreien Gruppierungen – in Ost wie West.
Stichwort Parteienklüngel: Das ist ja ein häufig gehörter Vorwurf, sowohl von Bürgern als auch von freien Wählergruppierungen, dass innerhalb der Parteiverbände, aber auch zwischen Parteien, vieles außerhalb der Öffentlichkeit verhandelt werde und dass man sich innerhalb der etablierten Netzwerke gegenseitig stütze. Ist das ein abwegiger Vorwurf?
Das ist jedenfalls eine subjektive Wahrnehmung, die viele Menschen haben. Was häufig als Hinterzimmergeklüngel deklariert wird, ist jedoch eine für eine parlamentarische Demokratie unabdingbare Form, um zu gemeinsamen Interessen zu gelangen. Das kann man nicht auf dem Marktplatz machen, sondern es bedarf vertraulicher Abreden bei Interessenkonflikten. Bürgerinnen und Bürger sollten sich nicht vorschnell vor den Karren solcher Vorwürfe spannen lassen. Aber das ist manchmal ein Kampf gegen Windmühlen.
Was bedeutet der Rückzug der Parteien für unsere Demokratie, insbesondere auf der kommunalen Ebene?
Berechenbarkeit und Kontinuität in der Politik sinken. Es fehlt auch das für Politik notwendige programmatische Band. Da geht es nicht um ideologische Dinge, sondern darum, dass sich Menschen in Parteien zusammenfinden, die bestimmte Wertüberzeugungen teilen. Und noch etwas Wichtiges würde folgen, wenn sich politische Parteien von der kommunalen Ebene zurückzögen: Die Möglichkeit, über die Parteien kommunale Anliegen an die Landes- und Bundesebene zu vermitteln, wäre empfindlich gestört. Das käme einfach nicht mehr zustande, wenn es nur noch lokale, parteifreie Gruppierungen gibt. Das wäre nicht zum Nutzen der Bürger, sondern hätte negative Konsequenzen.
Was folgt daraus für die Kandidatensuche, die ja in einigen Kommunen im Landkreis ansteht? Es ist das Bestreben zu beobachten, parteiübergreifende Kandidaten aufzustellen, um Spaltungen in der Stadtgesellschaft zu überwinden. Ist das ein guter Weg oder wird hier (Wett-)Streit mit Wettbewerb verwechselt?
Es geht immer um einen politischen Wettbewerb, also um miteinander konkurrierende sachpolitische Lösungen. Und es geht um unterschiedliche Personenangebote. Deshalb ist es natürlich zu begrüßen, wenn mehrere Personen kandidieren. Die Frage ist doch eher: Warum gibt es einen Mangel an Kandidaten? Da zeigt sich, dass bei politisch interessierten und engagierten Menschen, die sich früher das vorstellen konnten, die Bereitschaft für ein Amt schwindet. Das ist bedauerlich, weil das an die Substanz der Demokratie geht. Es ist aber auch erklärlich: Den Inhabern von Wahlämtern schlägt nicht nur immer häufiger Ablehnung, sondern geradezu Feindseligkeit entgegen. Wenn man Gefahr läuft, nicht nur verbal beleidigend angegangen zu werden, sondern Angriffe gegen die eigene Person zu erfahren, ist es nicht verwunderlich, wenn das Reservoir an bereitwilligen Personen geringer wird. Wir führen ja schon länger diese Debatte über die wachsende Größenordnung der Angriffe auf kommunale Amtsträger.
Da kommt sicherlich auch Politikverdrossenheit ins Spiel. Ist das nicht ein Vorwurf, den sich die Parteien, auch im kommunalen Bereich, machen lassen müssen: zu wachsender Politikverdrossenheit beizutragen?
Je nach Problemlage und je nach zeitbedingten Ängsten und Frustrationen schlägt sich das Unbehagen gegenüber der „großen“ Politik auf der kommunalen Ebene nieder. Die Kommunen stehen am Ende einer langen Kette und sind für die Erledigung staatlicher Aufgaben zuständig, bei denen sie manchmal unpopuläre Dinge tun müssen. Und sie sind an kommunalrechtliche Vorschriften gebunden. Das ist für Bürger manchmal ein Anreiz, um ihren Unmut und ihre Verdrossenheit an Politik auf kommunaler Ebene zu artikulieren. Das fällt einem dort häufig auch leichter, weil man die Personen kennt.
Genau an dieser Schnittstelle kommt es häufig zu Konflikten: Wenn die Kommunalverwaltung Dinge umsetzen muss, die von der Kommunalpolitik so nicht gewollt sind.
Wenn es darum geht, Forderungen und Wünsche umzusetzen, die nicht mit dem Kommunalrecht vereinbar sind, hat die kommunale Verwaltung die Pflicht, darauf hinzuweisen und das nicht zu vollziehen. Da kann man nur auf die Einsicht der gewählten Vertreter hoffen…
Ist es dann eher ein Kommunikationsproblem, diese Dinge so zu vermitteln, dass sie verstanden werden?
Das hängt von den konkreten lokalen Konfliktsituationen ab: So wenig, wie man ausschließen kann, dass in der Politik mal nicht der richtige Ton getroffen wird, so wenig kann man ausschließen, dass Frustrationen geweckt werden. Man muss es mit Geduld und Überzeugungskraft versuchen, aber auch der entsprechenden Bereitschaft zur Einsicht.
Grundsätzlich gibt es ein normales, ein natürliches Spannungsverhältnis zwischen Rat und Verwaltung. Das hängt mit der Teilung von Zuständigkeiten zusammen. Dieses natürliche Spannungsverhältnis ist auch nicht grundsätzlich und komplett auflösbar. Da muss man von beiden Seiten versuchen, zu einer Verständigung zu kommen.
Dafür bedarf es bei den gewählten Vertretern, gerade wenn sie nicht aus Parteistrukturen mit entsprechenden Schulungs- und Mentoring-Angeboten stammen, auch eines Wissens über kommunalpolitische Entscheidungswege. Ist weniger kommunalpolitisches Wissen vorhanden, wenn die Parteien auf dem Rückzug sind?
Das kann man nicht verallgemeinern, dass es da eine Tendenz gäbe – da fehlen uns einfach belastbare empirische Daten. Aber es ist so, dass wenn jemand als Parteimitglied über einen Ortsverein in einen Gemeinderat kommt, dann erfolgt eine gewisse Einführung in das Geschäft. Ein Mehr an politischer Bildung kann man natürlich immer gutheißen. Wenn man sachkundig Kommunalpolitik machen will, reicht es nicht, wenn man gut reden kann und sich selbstbewusst aufstellt. Sondern man muss sich in die kleinteilige Sacharbeit begeben. Das ist mühsam, aber das ist die Voraussetzung für eine solide kommunalpolitische Arbeit.