Welche Rolle spielen Kunst und Kultur, um Menschen zu begeistern, sich einzumischen in gesellschaftliche Prozesse? – Diese Frage wurde im ersten WOhnzimmer besprochen: mit Gästen aus Kultur und Politik in der Theaterloge Luckau.
Von Andreas Staindl
Wie soll die Gesellschaft aussehen, in der wir leben wollen? Was sind wir bereit, dazu beizutragen? Und wie schaffen wir es, andere Menschen zu begeistern und mitzureißen? Dörthe Ziemer geht diesen und anderen Fragen während einer neuen Gesprächsreihe ihres Online-Magazins Wokreisel nach. „WOhnzimmer“ heißt die vierteilige Reihe. Reden, miteinander ins Gespräch kommen-und das in Wohnzimmeratmosphäre. Den Auftakt gab es jetzt in der Theaterloge in Luckau. Das Thema war gesetzt: Lokalpolitik und Kultur. Entsprechend war die Auswahl der Gäste: Marko Bongé (Vereinschef der Theaterloge), Jule Torhorst (Schauspielerin, Regisseurin, Theaterpädagogin) und Nadine Graßmel (Mitglied des Brandenburger Landtags).
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Das WOhnzimmer in Luckau zum Nachhören (Ton: Micha Zoschenz, Grafik: Karen Ascher)
Welche Rolle spielen Kunst und Kultur, um Menschen zu begeistern, sich einzumischen in gesellschaftliche Prozesse? „Kunst und Kultur sind Orte der Begegnung, Orte, an denen Menschen miteinander etwas tun“, sagt Nadine Graßmel. „Sie machen Menschen stark, stärken das Selbstvertrauen von Kindern und Jugendlichen. Und Kultur verbindet, bringt die unterschiedlichsten Gruppen zusammen. Das schaffen andere Bereiche nicht so leicht.“ Die Landtagsabgeordnete der SPD spricht aus Erfahrung: Sie ist oft bei kulturellen Veranstaltungen zu Gast, wie sie sagt.
Marko Bongé bestätigt den Wert von Kultur am eigenen Beispiel: „Ich kann während des Theaterspiels sein, wie ich sonst nicht bin.“ Schon gar nicht, wie er früher war: „wahnsinnig schüchtern. Wenn ich heute auf der Bühne stehe, gibt mir das einen Adrenalinschub. Es treibt mich an, wenn das Publikum reagiert. Ich habe das Hobby gefunden, das ich immer gesucht habe.“ Er teilt diese Erfahrung offenbar mit dem Nachwuchs der Theaterloge: „Das Theaterspiel tut auch jungen Leuten gut.“
Zwei junge Vereinsmitglieder saßen mit am Wohnzimmertisch in Luckau. Lene und Florentine bringen ihre Erfahrungen vom Theaterspiel und ihre dort erworbenen Fähigkeiten auch in den Schulalltag ein, wie sie erzählen: „Es gibt Lehrer und Lehrerinnen, die uns auf Augenhöhe begegnen und uns mitentscheiden lassen, aber auch welche, die einfach ihr Ding durchziehen.“ Für Jule Torhorst ist Schule „von oben herab, ein diktatorisches System. Das müsste man ändern.“
„Wir suchen immer Themen, die leicht umzusetzen sind. Die Besucher sollen sich gut unterhalten fühlen.“
Marko Bongé, Theaterloge Luckau, Vereinschef
Die Regisseurin geht ohnehin neue Wege, versucht über Projekte, Menschen zu erreichen. Mal sind es Langzeitarbeitslose, die sie mittels Theater fit für ein anderes Leben macht. Dann wieder Besucher eines Weihnachtsmarkts wie etwa in Vetschau, wo ein Projekt Kunst und Bürgerbeteiligung verbunden hatte und in dem Leute nach ihren Wünschen gefragt wurden. Die Resonanz sei sehr unterschiedlich, wie die Schauspielerin und Theaterpädagogin sagt. Manchmal – wie im Fall der Langzeitarbeitslosen – gelinge es, „Teilnehmern einen Schub zu geben, ihr Leben zu beleben“. Jule Torhorst sagt, dass sie viel mit Menschen redet, und das oft in öffentlichen Räumen, etwa auf Parkplätzen großer Einkaufsmärkte. Auch kleine Feste, Kunst und Kultur im speziellen, sind ihr zufolge gute Mittel, um miteinander ins Gespräch zu kommen. Etwa mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, die über ihre Erlebnisse berichten. „Wir sollten ihre Geschichten für unsere Gesellschaft bewahren“, sagt die Regisseurin.
Die WOhnzimmer-Runde in Luckau. Foto: Andreas Staindl
Während bei Jule Torhorst der Kultur auch immer ein Hauch Politik inne wohnt, steht in der Theaterloge „der politische Charakter nie im Vordergrund“, wie Marko Bongé erzählt. „Wir suchen immer Themen, die leicht umzusetzen sind. Die Besucher sollen sich gut unterhalten fühlen.“ Bis zu 65 Aufführungen pro Jahr realisiert die Theaterloge. Ohne Mitglieder, die sich auch abseits der Bühne einbringen, geht es nicht. Wie schafft es der Vereinschef, Menschen für das Mitwirken zu begeistern? „Indem ich einzelne Leute direkt anspreche. Ich bekomme meist eine positive Resonanz.“ Jule Torhorst hat ähnliche Erfahrungen gemacht. „Wenn man überschaubare Aufgaben verteilt, überfordert das niemanden“, erzählt sie.
„Es gibt mir als Politikerin viel, wenn ich das Leben der Leute verbessern kann.“
Nadine Graßmel, Landtagsabgeordnete
Kultur als Versuchslabor der Gesellschaft: Kreativ und doch irgendwie nicht frei von politischen Einflüssen. „Vereinsarbeit ist auch ein Stück weit politische Bildung“, sagt Marko Bongé. „Das demokratische Miteinander im Verein ist eine gute Schule für junge Leute.“ Wie aber lassen sich Leute begeistern? „Menschen müssen spüren, dass sie mit ihrem Engagement etwas bewirken“, sagt Nadine Graßmel. Sie macht diese Erfahrung: „Es gibt mir als Politikerin viel, wenn ich das Leben der Leute verbessern kann. Mir geht es gut, wenn ich meine Themen in die öffentliche Diskussion einbringen kann.“
Warum ist Nadine Graßmel, eigentlich Sozialarbeiterin, überhaupt in die Politik gegangen? „Wegen des Rechtsrucks in der Gesellschaft und weil ich Ausgrenzung von Menschen nicht ertrage“, sagt die Luckauerin. WOhnzimmer-Gast Kaddi verweist darauf, dass es Kulturen gebe, „in denen alle Menschen Politik leben und aktiv gestalten. Wir sollten überlegen, in welcher Gesellschaft wir leben wollen.“ Und wie die Bürger beteiligt werden, wie vor allem der Nachwuchs an gesellschaftlichen Prozessen interessiert wird. Mit den üblichen und kaum genutzten Kinder- und Jugendfragestunden während kommunaler Versammlungen nicht, wie Nadine Graßmel sagt: „Das ist nicht das richtige Format für den Nachwuchs. Ich weiß aber, dass junge Leute viele Wünsche haben.“
„Bürgerbeteiligung ist einfach Arbeit. Für Vorhaben auf dem Land braucht es einen langen Atem.“
Jule Torhorst, Regisseurin
Sie zieht es vor, auf die Leute zuzugehen, mit unkonventionellen Veranstaltungen auf ihre Themen aufmerksam zu machen. Etwa mit dem Format „Pizza & Politik“, das vor allem junge Menschen anziehen soll. „Die Resonanz ist unterschiedlich“, wie die Landespolitikerin sagt. „Es ist schwer, Leute dauerhaft zu motivieren. Man darf sich nicht demoralisieren lassen.“ Jule Torhorst sieht das ähnlich: „Bürgerbeteiligung ist einfach Arbeit. Für Vorhaben auf dem Land braucht es einen langen Atem.“ Und gute Ideen. Etwa die Gartentour der Theaterloge-Kultur in privaten Gärten-mit steigendem Erfolg wie Marko Bongé sagt. „Ideen brauchen immer auch Durchhaltevermögen“, sagt Melanie Kossatz von der Dorfbewegung Brandenburg. „Wir müssen die Menschen in ihren Lebenswelten abholen und alles wieder pragmatischer machen. Das setzt aber voraus, gut informiert zu sein.“
Welche Medienformate braucht denn die Gesellschaft, braucht die Kultur? „Früher war es das schwarze Brett, heute sind es die sozialen Medien“, sagt Marko Bongé und verweist auch auf den Online-Ticket-Verkauf der Theaterloge. „Soziale Medien sind aber auch eine Gefahr“, sagt Jule Torhorst. „Man muss genau überlegen, welche Medien man nutzt.“ Sie hält Newsletter und Mundpropaganda für ebenso geeignet, um mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Und Amtsblätter sowie Stadtanzeigen, die jeder Haushalt kostenlos bekommt? „Diese Blätter sind für die Menschen schwer verdaulich“, sagt Kaddi und spielt auf die wenig attraktiven und sehr förmlichen Inhalte an. Für sie werden vielmehr „Netzwerke immer wichtiger werden“. Den großen Medienhäusern prophezeit sie kein langes Leben mehr. „Es gibt viele Wege, Informationen unter die Leute zu bringen“, sagt Nadine Graßmel. „Das kann durchaus auch das schwarze Brett sein.“ Oder eben Aktionen, wie sie Jule Torhorst praktiziert: „Wir haben in Kostümen Flyer in einem Dorf verteilt und kamen so mit den Menschen ins Gespräch.“
Nächste Termine:
22. Mai, 19 Uhr; Bahnhof Groß Köris
Entscheiden in der Lokalpolitik
Kommunale Entscheidungsprozesse sind kompliziert. Wie gelingt ein konstruktiver, zielorientierter Dialog? Gäste:
Uwe Vogt (Ortsvorsteher Gießmannsdorf)
Michael Philipp (Jugend.Familie.Zukunft Schönwalde)
Christina Weidanz (Wählergemeinschaft „Gemeinsam für Halbe“)
12. Juni, 19 Uhr; Kornspeicher Straupitz
Lokalpolitik und Identität
Landleben ist von Traditionen und Ehrenamt geprägt. Wie wächst Heimatgefühl in Zeiten klammer Kassen? Gäste:
Manuel Pape (Gemeindevertreter, Ehrenamtler)
Melanie Kossatz (Dorfbewegung Brandenburg)
Guido Medert (Stadtjournal Lieberose)
17. Juli, 19 Uhr; Weltladen Lübben
Lokalpolitik und Räume
Welche Räume gibt es für informellen Austausch und was brauchen sie? Welche Qualität haben Stadträume? Gäste:
Marlies Siegert (Weltladen)
Martin Liedtke (Pfarrer)
Sarah Benke-Åberg (Stadtverordnete)
Moderation: Dörthe Ziemer
Anmeldung: Aufgrund teils beschränkter Platzkapazitäten bitten wir um Anmeldung unter diesem Link