Das Kammermusikfestival Fliessen – es ist Geschichte und wohltuende Erinnerung an erhebende musikalische Momente und gute Begegnungen. Aus kühnen Ideen, agilen Netzwerken und einem (2023) gut gefüllten Fördertopf entstanden, wurde es zum Klassikfest, das seinesgleichen sucht.
Eine Reportage von Dörthe Ziemer
Am Ende kommt alles aufs Tablett: Noch bevor der letzte Akkord überhaupt angeschlagen ist, wird beim Internationalen Kammermusikfestival Fliessen Bilanz gezogen. Festivalmanager Noah Vinzens steht unter Kirschbäumen vor einem kleinen moosbewachsenen Tisch aus Stein mit kleiner Bank. Um ihn herum haben rund 30 Personen Platz genommen: Berliner und andere Gäste, Einheimische aus den Nachbardörfern, Klassik-Erfahrene und weniger Hör-Erfahrene. „Die Gesprächsrunden kommen super an“, hatte die Dame am Einlass gesagt und den Weg dorthin gewiesen. Das rbb Fernsehen filmt mit – es entsteht eine halbstündige Dokumentation über die Festivalpremiere.
Im Hintergrund ist das Ping-Pong von einer Tischtennisplatte zu hören, Kinder juchzen auf dem Trampolin und das Kaffeegeschirr klappert leise. Musiker laufen in legeren Hemden und kurzen Hosen, manche von ihnen barfuß, zwischen Scheune und Wohnhaus hin und her. Es ist Generalprobe. Deshalb können sie auch nicht an dieser Gesprächsrunde teilnehmen. Das letzte Konzert des einwöchigen Klassikfestivals steht bevor, und der zweite Konzertteil ist mit „Überraschungen“ überschrieben. Was verheißt es, dass die Generalprobe länger dauert als geplant…?
Das weitläufige Gelände der Drauschemühle ...
... in Bornsdorf war Zentrum des Festivals
... Fliessen. Fotos: Dörthe Ziemer
Noah Vinzens also steht vor seinen Zuhörern und erläutert das Wesen des Festivals, um anschließend unverblümt zu fragen, wie das beim Publikum angekommen ist – in vollster Überzeugung, dass kaum einer der Anwesenden nur ein oder noch gar kein Konzert gehört habe. In der Tat: Viele waren bei zwei Konzerten, manche sogar bei drei - es ist ja schließlich ein Festival. Ein Kammermusikfestival, das „alte Wege aufbrechen, Traditionen hinterfragen und neue Impulse setzen“ will, wie der Manager erklärt. Ein internationales Klassikfestival in einer Region, die vielen Gästen immer noch unbekannt war; in einer Region, die seit Jahrzehnten vom Lausitzer Strukturwandel geprägt ist und die nächsten Jahrzehnte geprägt sein wird.
„Das Kammermusikfestival Fliessen will alte Wege aufbrechen, Traditionen hinterfragen und neue Impulse setzen.“
Noah Vinzens, Festivalmanager
Das kleine Dörfchen Bornsdorf in der Niederlausitz, genauer: die dortige Drauschemühle ist der Schauplatz dieses letzten, und übrigens auch des ersten, Konzerts des Internationalen Kammermusikfestivals Fliessen. Gleich nebenan befindet sich der Bornsdorfer See – ein Tagebaurestloch. Badesee zahlloser Kindergenerationen aus der Nachbarstadt Luckau und der umliegenden Orte. Sommerfrische von Datschenbesitzern, Anglern und Zeltfreunden. Jüngst wurde in dem See zum ersten Mal ein Tauffest der umliegenden Kirchengemeinden gefeiert – 20 Täuflinge wurden vor und im See getauft, neben Badenden und Anglern. Die altehrwürdigen Kirchen der Luckauer Niederlausitz, eine der besterhaltenen Kirchenlandschaften Brandenburgs mit teils seltener mittelalterlicher und nachreformatorischer Ausstattung, dürften sich die Augen gerieben haben. Gottesdienste finden dort nicht mehr so häufig statt, hin und wieder aber klassische Konzerte.
In diesem vielfach noch unentdeckten Idyll jott-we-dee haben sich die Cellistin Marie-Elisabeth Hecker und der Pianist Martin Helmchen, zwei der international bekanntesten und gefragtesten Solisten der Gegenwart, niedergelassen. Mit ihren vier Kindern leben sie auf dem rund drei Hektar großen Grundstück rund um die Drauschemühle (die drauß’sche Mühle – also etwas abseits zum Dorf), zwischen den Metropolen Berlin, Dresden und Leipzig. Und wo immer Künstler eine Scheune sehen, scheinen die Träume von eigenen Räumen für Kunst und Kultur nicht weit.
„Gemeinsames Erleben, Begegnung, Entdecken von Neuem und Verbindendem, Suche nach einer gemeinsamen Sprache, die den Zuhörer herausfordert und anspricht in vielerlei Weise: Das ist es, worum es beim Musizieren geht.“
Marie-Elisabeth Hecker und Martin Helmchen
Sie hätten, sagt das Musikerpaar Hecker-Helmchen, von Anfang an die Vision gehabt, in der Scheune neben dem Wohnhaus Kammermusik zu spielen. „Gemeinsames Erleben, Begegnung, Entdecken von Neuem und Verbindendem, Suche nach einer gemeinsamen Sprache, die den Zuhörer herausfordert und anspricht in vielerlei Weise: Das ist es, worum es beim Musizieren geht“, erklären die beiden. Dies wollten sie in familiärer Runde im Rahmen eines Festivals umsetzen – „ohne all das Drumherum, das uns oft vom Wesentlichen ablenkt”. Bei Wolfram Korr, Geschäftsführer des altehrwürdigen Festivals Brandenburgische Sommerkonzerte (BSK)und selbst im benachbarten Lübben ansässig, trafen sie damit auf offene Ohren.
Martin Helmchen, Marie-Elisabeth Hecker und Wolfram Korr
vor der Lübbener Paul-Gerhardt-Kirche. Foto: Karen Ascher
Die Sommerkonzerte sind seit über 30 Jahren in Brandenburg unterwegs, um Orte und Menschen zu entdecken und Begegnungen durch Musik zu schaffen. Die Erfahrungen und die Logistik waren also schon da, und dank einer Förderung aus dem Bundesprogramm „Neustart Kultur“ und zahlreicher weiterer Förderer und Sponsoren konnte das Festival Fliessen gut ein Jahr nach den ersten Ideen gleich ganz groß durchstarten – nicht als erster Versuch, als langsames Herantasten. Nein, es sollte „eine Initialzündung sein, die Steine ins Rollen bringt“, sagt Noah Vinzens unter den längst abgeernteten Kirschbäumen der Drauschemühle. Alles im Fluss – dieses Wortspiel fiel an diesem Nachmittag nicht nur einmal.
Die Liste der teilnehmenden Musikerinnen und Musiker liest sich wie ein Wegweiser durch die internationale Kammermusikszene – alle sind Freunde und Bekannte des Gastgeberpaars und haben sofort zugesagt, sich in der Niederlausitz auf etwas Neues einzulassen: Hiroaki Aoe, Aris Alexander Blettenberg, Tobias Feldmann, Pirmin Grehl, Marie-Elisabeth Hecker, Martin Helmchen, Harriet Krijgh, Michail Lifits, Sebastian Manz, Alexander Melnikov, Theo Plath, Stefan Rapp, Timothy Ridout, Pauline Sachse, Julian Steckel, Christian Tetzlaff, Stephen Waarts, Antje Weithaas. Sie spielten sieben Tage lang an sechs verschiedenen Orten rund um Bornsdorf: in den Kirchen von Luckau und Lübben, in den Scheuen von Bornsdorf und Glashütte, in den Konzertsälen des Schlosses Lübbenau und der Kulturweberei Finsterwalde.
Die Orte gaben den Rahmen für ein Beiprogramm, das die jeweilige räumliche Spezifik mit der Musik in Bezug setzt. In den Kirchen ging es um Spiritualität, im alten Glasbläserdorf Glashütte ums Handwerk, im privaten Konzertsaal von Lübbenau und im kommunalen von Finsterwalde um kulturelles und bürgerliches Erbe. Ob die Bezugnahme immer gut gelungen war, wird in der Runde unter dem Kirschbaum lebhaft diskutiert. Die Verbindung vom Glashütter Handwerk zum „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns habe sich ihm nicht erschlossen, sagte ein Besucher. Zudem darauf abzuheben, dass Instrumentenbauer ja auch Handwerker seien, habe er als etwas „bemüht“ empfunden.
Der Solo-Fagottist Theo Plath (Deutsche Radiophilharmonie Saarbrücken-Kaiserslautern, hr-Sinfonieorchester Frankfurt) hatte beim Konzert am Festival-Dienstag in Glashütte mit Heinz Holligers 3 Stücken für Fagott solo die ganze Spannbreite des Instruments aufgezeigt, die durch technische Weiterentwicklungen möglich geworden sind. „Viel Melodie“ sei nicht zu erwarten, hatte Theo Plath seine Zuhörer augenzwinkernd vorgewarnt. Es folgten Spaltklänge und Spielweisen, die eine Zweistimmigkeit des Instruments suggerierten, die eigentlich gar nicht möglich ist.
Inwiefern Musizieren Handwerk ist, versuchte außerdem der Schlagzeuger Stefan Rapp mit den „Asventuras“ für Schlagzeug solo von Alexej Gerassimez zu zeigen. „Müssen Schlagzeuger überhaupt üben?“, werde er oft gefragt. Er antwortete in Glashütte mit einer klanglichen Vielfalt, wie sie Schlagwerke in der Tat nur selten offenbaren. Aber wann wird Handwerk Kunst und was macht Künstliche Intelligenz (KI) mit uns, dem Handwerk und der Kunst? Dieser Frage waren in Glashütte BSK-Chef Wolfram Korr und die Cottbuser Unternehmer Jörg Tudyka und Daniel Häfner nachgegangen.
Jörg Tudyka, Wolfram Korr und Daniel Häfner (v.l.) diskutierten...
...zwischen Weinsalon und Alter Hütte über Handwerk, Kunst und KI.
Daniel Häfner, Geschäftsführer der Plon GmbH – Lausitzer Institut für Strategische Beratung, hat sich intensiv mit der Blaudruck-Technik beschäftigt und: mit Künstlicher Intelligenz. Jörg Tudyka ist PR-Berater und arbeitet unter anderem für den Bundesverband der Mittelständischen Wirtschaft. Ähnlich der Runde in Bornsdorf, saßen rund 30 Zuhörer unter Sonnensegeln zwischen dem Wein-Salon Glashütte, in dem zuvor das Handwerk des Weinanbaus u.a. in Brandenburg und der Republik Moldau gekostet wurde, und der Alten Hütte, dem späteren Konzertort, aus dem intensive Probentöne herüberschallten.
„KI kann nicht kreativ sein“, stellte Daniel Häfner fest. Sie könne aus einer Vielzahl an Informationen neue erzeugen – auf der Grundlage von Milliarden Rechenoperationen. Das gelinge dem Menschen nicht. Aber KI habe kein Verständnis von dem, was sie macht, keines von der Welt und sie habe keine emotionale Verbindung zu alldem. Ganz so eindeutig erschien Jörg Tudyka die Sache nicht: „KI wird sich schneller perfektionieren, als wir uns das vorstellen können“, sagte er und verwies auf die rasante Entwicklung etwa des Internets oder des Smartphones. Auch habe KI längst Einzug in die tägliche PR-Arbeit gefunden, etwa beim Erstellen oder Kürzen von Pressemitteilungen*.
Dennoch werde es Bereiche geben, die nicht von KI erfasst werden, war sich Jörg Tudyka sicher und nannte Free Jazz als Beispiel, der sich erst in völliger Anarchie, also nicht berechenbarer Regellosigkeit, entfalte. Daniel Häfner wiederum wollte die Kunst, die sich der KI entziehe, nicht allzu weit erhöhen. „Was ist mit der Volkskunst, etwa der Sorben/Wenden?“, fragte er. Kunst sei nicht nur meisterhaft, sondern auch in der kulturellen Grundbildung vorhanden.
Der Übergang zu Camille Saint-Saëns war da nicht mehr schwer: Der französische Komponist sei eines der krassesten Wunderkinder der klassischen Musik, sagte Wolfram Korr, sei aber Zeit seines Lebens der „knorrige, unverstandene Orgelprofessor“ geblieben. Meisterhaft brachten die Fliessen-Musikerinnen und -Musiker das Werk, das in die Welt der Tiere entführt und wohl doch die Menschen meint, auf die Bühne der Alten Hütte. Schauspieler Devid Striesow las ebenso meisterhaft die Passagen, die zu den kurzen Musikstücken führten. In lebhafter Erinnerung wird der Kuckuck bleiben, den Sebastian Manz humorvoll, durch die Zuhörer-Reihen schreitend durch seine Klarinette pustete.
In der Alten Hütte in Glashütte wurde der...
... "Karneval der Tiere" aufgeführt. Die Texte
.. las Devid Striesow. Foto: S.Hahn
Handwerk, Fagott und Karneval: ein bemühter Zusammenhang oder nicht? Das war am Ende eines meisterhaften Konzertabends in Glashütte eine Frage der Perspektive. Und eine Frage dessen, was die Künstlerinnen und Künstler selbst wollen, wie Noah Vinzens unter den Bornsdorfer Kirschbäumen verriet. Denn sie waren selbst mit Vorschlägen für Musikstücke in die Niederlausitz gekommen. Was passt zu welcher Thematik, was lässt sich mit den vorhandenen Instrumenten aufführen? Auch das spielte bei der Programmauswahl, neben den örtlich-thematischen Vorgaben, eine Rolle.
Ob vor der Lübbener Paul-Gerhardt-Kirche am Festival-Donnerstag mehr Paul-Gerhardt-Lieder hätten gesungen werden sollen, fragte eine Frau aus dem Publikum unter den Kirschbäumen. Selbiges war im Programm angekündigt, doch ihr seien es zu wenige gewesen. Eine spätere Wortmeldung, im Zwiegespräch mit der Autorin dieses Textes, offenbarte, dass das Singen von Paul-Gerhardt-Liedern vielleicht nicht für jeden anziehend sei. Wie auch immer der individuelle Bezug zu den Texten des berühmten, in Lübben begrabenen Kirchenlieddichters Paul Gerhardt und deren Vertonungen ist: Der Lübbener Kantor Johannes Leonardy am Klavier und seine Begleiterin Birgit Natusch am Akkordeon versuchten, jeden Mitsinge-Geschmack zu bedienen. Das reichte vom berühmtesten Paul-Gerhardt-Lied „Geh‘ aus, mein Herz“ über Schlager wie „Rote Lippen soll man küssen“ bis hin zum irischen Segenswunsch „Möge die Straße uns zusammenführen“.
Johannes Leonardy und Birgit Natusch...
... hatte ihre Texthefte zum gemeinsamen
...Abendliedersingen mitgebracht.
Fotos: Karen Ascher
Am Ende gelang sogar ein „Dona nobis pacem“ – dreistimmig, im schönsten Sonnenschein vor dem Paul-Gerhardt-Denkmal in Lübben. Kaum vorstellbar, dass die Diskussionsrunde davor eher wenig optimistisch klang, was Kirche in der heutigen Gesellschaft betrifft. Das mag an der fehlenden Diversität der Diskutierenden gelegen haben. Oder auch daran, dass es nicht (rechtzeitig) gelungen war, Einheimische dafür zu gewinnen. Der Lübbener Pfarrer Martin Liedtke oder seine Kolleginnen und Kollegen, allesamt jünger als die anwesenden Diskutanten, hätten von den vielen Tauffesten in der Region im Jahr der Taufe berichten können. 2.300 Menschen hatten daran teilgenommen, mehrere Dutzend wurden getauft. Doch vor der Kirche, auf den unregelmäßigen Stein- und Rasenstreifen des Kirchenumfeldes, die das Schrittmaß stören sollen, wurde eher bedauert, dass Werte, Regeln und Umgangsformen fehlten, wenn Kirche sich aus der Gesellschaft zurückziehe.
Einzig Elisabeth Binder, Kolumnistin beim Berliner Tagesspiegel zu „Fallstricken des Alltags“, und einige Mitdiskutanten aus dem Publikum zeigten sich zuversichtlich, dass aus dieser Zeit der „gesunden Reinigung“, da zahlreiche Menschen zwar aus der Kirche austräten, ihnen dennoch der Wunsch nach Spiritualität eigen sei, etwas Neues entstehe. Es könnte ein „neues Zeitalter der Spiritualität“ bevorstehen, sagte die Journalistin, das vielleicht „nicht von Kirche geprägt ist“. Das christliche Gedankengut habe schließlich zwei Jahrtausende Zeit gehabt, in die Gesellschaft einzusickern.
Lübbener Gesprächsrunde vor der Paul-Gerhardt-Kirche zu Spiritualität, Kirche und Glauben. Foto: Karen Ascher
Blick von oben auf die Stein-Rasen-Streifen des Kirchumfeldes, die das Schrittmaß stören sollen. Foto: Karen Ascher
Volkmer Hassemer, Eckart John von Freyend, Elisabeth Binder und Festivalgründer Werner Martin, (v.l.).
Das etwas Neues entstehen könne, davon war auch eine Zuhörerin überzeugt: „und sei es, dass wir als Frauen uns nicht mehr von Männern sagen lassen, wie wir beten sollen“. – Das verleitete Elisabeth Binder wiederum zu der Feststellung, dass „unabhängig von Religion die Welt friedlicher wäre, wenn mehr Frauen an der Macht wären“. Die Musikerinnen und Musiker ließen jedenfalls Diversität nicht vermissen – auch dies ein wichtiges Merkmal dieses Festivals.
Und weil, wie Moderator Volkmer Hassemer am Ende der Diskussion in Lübben bemerkte, die Kunst alles sagen könne, solle ihr das letzte Wort gehören. Was könnte dazu besser passen als eine Arie von Johann Sebastian Bach, jenem Komponisten, der durch seine Musik Zugang zu Religiosität und Spiritualität vermittelte wie kaum ein anderer? Statt der Singstimme der Arie aus der Kantate „Ich habe genug“ spielte das Fagott von Theo Plath – so göttlich, dass der dazugehörige Text plötzlich unwichtig schien.
Von Benjamin Britten erklang in Lübben das „Lachrymae“ für Viola und Klavier – mit einem Thema aus John Dowlands Lied „If my complaints could passions move“, allerdings erst zum Schluss des Stücks erkennbar. John Dowland war ein Zeitgenosse von Paul Gerhardt, wusste Bratschist Timothy Ridout zu berichten. Der Bezug zum Ort – da war er wieder. Die Musikerinnen und Musiker waren angehalten, etwas zu ihren Stücken zu erzählen, was sie für wichtig halten. So gerieten die Kurz-Einführungen häufig zu sehr persönlichen, kurzweiligen Statements. Und es war zu spüren, wie wichtig den Musizierenden die Stücke waren, die sie beim Festival zu Gehör brachten.
Aufführung der Arie aus der Bach-Kantate "Ich habe genug". Foto: Karen Ascher
Michael Lifits (l.) und Martin Helmchen spielen Rachmaninows Symphonische Tänze.
"Chant de Linos" von André Jolivet für Flöte (Pirmin Grehl) und Klavier (Michaeil Lifits).
Spiritualität zog sich durch das gesamte Lübbener Konzert – und unter den Bornsdorfer Kirschbäumen wurde die Breite dessen gewürdigt: Ob die Symphonischen Tänze von Sergej Rachmaninow, die viel von der liturgischen Musik der russisch-orthodoxen Kirche in sich tragen, oder die Klagelieder von André Jolivet, ob Ernest Blochs jüdische Lieder und schließlich das 2. Klaviertrio c-moll von Felix Mendelssohn-Bartholdy, eines Juden, der zum Christentum konvertiert war – alle Facetten von Glauben seien vertreten gewesen, lobte ein Zuhörer.
Noch intensiveren Tiefgang hielt das Nachtkonzert in der Luckauer Nikolaikirche am dritten Festivaltag, dem Montag, bereit. Auch hier wieder: Bach. Drei Solostücke für Cello mit Marie-Elisabeth Hecker, für Klavier mit Martin Helmchen und für Geige mit Antje Weithaas erklangen in der ersten Halbzeit. Die zweite war Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ (Quartett für das Ende der Zeit) vorbehalten, jenem Werk, das der Komponist 1940 während seiner Kriegsgefangenschaft in Görlitz in der Oberlausitz geschrieben und dort uraufgeführt hatte. Thematisch geht es zurück auf die biblische Geschichte des Engels aus der Offenbarung des Johannes, Kapitel 10.
Luckaus Pfarrer Martin Meyer verwies in seiner Meditation darauf, dass damals, 1941 bei der Uraufführung, noch nicht absehbar war, wie dieser Krieg ausgehen würde. Die Frage, was wäre, wenn die Welt zu Ende ginge, beschäftigte die gefangenen Franzosen und Belgier in den Görlitzer Baracken. Und wenn Jesus das A und O, Anfang und Ende sei, wie der Pfarrer sagte, dann gelte es, eine erfüllte Zeit miteinander zu verbringen – ohne dass die Zeit verrinnt. Es sei eine Zeit, wo „Anfang und Ende bei uns sind“.
Das Nachtkonzert in der Luckauer Nikolaikirche...
... bot Solostücke von Johann Sebastian Bach und ...
Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“.
Diesen Moment konnten die Zuhörer in der Luckauer Nikolaikirche förmlich spüren. Antje Weithaas, Marie-Elisabeth Hecker, Sebastian Manz und Martin Helmchen waren mit ihren Instrumenten rund um die Kanzel platziert worden – in der Mitte des Kirchenraumes, von vier Seiten von Zuhörern umgeben. Die Töne entweichten aus der Mitte der nächtlichen Kirchengemeinschaft ins hohe Kreuzgewölbe von St. Nikolai, teils expressiv-dissonant, um wiederum selig-harmonischen Klängen zu weichen! Olivier Messiaens anspruchsvolles Werk zu nächtlicher Stunde forderte die Zuhörer, und nicht allen gefiel die Kammermusik in der halligen Kirche. So gab es nicht von allen Plätzen aus Standing Ovations – das Luckauer Nachtkonzert spaltete das Publikum wie bei keinem anderen Konzert.
Unter den Bornsdorfer Kirschbäumen wurden schließlich auch ganz irdische Fragen diskutiert. Wie man beispielsweise zu den Konzerten hinkommt. Noah Vinzens berichtete von Fahrgemeinschaften, die sich im Laufe des Festivals gebildet hatten. Viele Gäste waren mehrere Tage in der Region, wie Regina Krakau aus Berlin, die in Burg im Spreewald Quartier genommen hatte. Doch selbst dafür waren die Konzerte nach ihrem Geschmack etwas zu lang und die nächtlichen Fahrten auf den Landstraßen ungewohnt. Gerade die Länge der Konzerte habe sie toll gefunden, sagte eine andere Zuhörerin. „Unser Alltag ist so durchgetaktet, da ist es toll, dass wir hier Gelegenheit haben, so viel Musik zu hören“, erklärte sie.
„Unser Alltag ist so durchgetaktet, da ist es toll, dass wir hier Gelegenheit haben, so viel Musik zu hören.“
Zuhörerin in Bornsdorf
Vor allem die Zuhörer aus der Nachbarschaft pflichteten ihr bei: So viel Klassik gebe es in diesem Landstrich nicht. Fernab von allem könne die Region endlich mal „aus dem Dauerschlaf erwachen“, sagte Jürgen Rehm aus Crinitz. Einen ebenso kurzen Weg hatte Familie Neumann aus dem Nachbarort Gehren. Ihr Urlaub war vom Arbeitgeber zufällig auf die Festivalwoche umgeplant worden – wie glücklich der Umstand, vom Festival und den weltberühmten Nachbarn erfahren zu haben! Und so besuchten sie jedes der acht Fliessen-Konzerte. Fürs nächste Jahr, schlug eine weitere Zuhörerin unter den Bornsdorfer Kirschbäumen vor, könnte doch eine App-gesteuerte Mitfahrbörse helfen.
Überhaupt gerieten die praktischen Dinge zur Herausforderung: Eine Woche Festival, sogar an Wochentagen wie Montag und Dienstag. Ein Konzertflügel, der täglich durch die Gegend gefahren wird. Shuttles für die Musiker, kreuz und quer durch die Region. Fluch und Segen, Chance und Herausforderung – nannte es Festivalmanager Noah Vinzens. Und doch, plaudert er aus dem Nähkästchen, hätten ihm viele Musikerinnen und Musiker gesagt, so ein Festival noch nicht erlebt zu haben. Die Stimmung sei gelöst gewesen, wie unter Freunden eben. Standen die ersten Tage unter der Anstrengung zahlreicher Proben für große Werke, so sei am Ende doch Zeit gewesen, gemeinsam in den Bornsdorfer See zu springen, erzählt der Manager. Und auch wenn die Zeit zwischendurch viel zu kurz war, so hätten die Teilnehmenden vor allem die gemeinsame Zeit des Musizierens auf den Bühnen der Umgebung genossen.
Ein oder zwei Konzertflügel mussten täglich zu den Konzertorten
gefahren werden. Foto: Karen Ascher
All das wollten die Musikerinnen und Musiker offenbar in das Bornsdorfer Abschlusskonzert packen, dessen zweite Halbzeit mit vielen Überraschungen in der Tat zum kurzweiligen Marathon geriet. Zum Bilanzziehen unterm Kirschbaum blieb da keine Zeit, und überhaupt: die Musik! Alle Beteiligten kamen noch einmal auf die Bühne in der alten Scheune, mit unbekannten und bekannten Stücken, kleinen Absurditäten und Komik-Einlagen, etwa einer „völlig absurden“ Paganini-Version für Flöte und Fagott oder einem Csárdás, humoristisch umgesetzt mit Geige und plötzlich einsetzendem Fagott, die anschließend miteinander um die schönsten Töne buhlten. So einige der mitgereisten Kinder hätten sich wohl mehr solcher Zugaben gewünscht und mehr Ohrwürmer wie den „Tanz der Zuckerfee“ aus Tschaikowskys Nussknacker-Suite.
Kinder, so hieß es im Programm, sind ausdrücklich erwünscht. Wie weit das gehen kann, auch das wurde unter den Bornsdorfer Kirschbäumen diskutiert. Darüber gingen naturgemäß die Meinungen am weitesten auseinander. Oder auch darüber, ob man sich weiter aus den Konzerträumen herauswagen sollte – zu einem Open Air etwa, oder zum Konzert unterm Kirschbaum. Aber, wandte ein Zuhörer ein, es gehe doch um die Musik, nicht um die Verpackung. Genau das sollte die Diskussion, die mit „Konzertform heute“ überschrieben war, bringen: hinterfragen, aber nicht alles neu erfinden.
Querflöte und Fagott: Pirmin Grehl (l.) und Theo Plath.
Ein Csárdás, bei dem Fagott und Geige um die schönsten Töne buhlen.
Zweimal Geige: Antje Weithaas (l.) und Marie-Elisabeth Hecker.
Alle vorgebrachten Kritikpunkte, sagte Rochus Graf zu Lynar, Gastgeber des zweiten Festivalkonzerts auf Schloss Lübbenau, seien jedoch nur die Lupe auf das Festival. Insgesamt habe die Premiere von Fliessen ihr Qualitätsversprechen aus der wunderbaren Broschüre eingehalten – und sei aus dem Stand ein großer Erfolg geworden, „Brandenburgische Sommerkonzerte de luxe“, nannte er es und rief den Festivalmachern zu: „Bewahren Sie sich die Freiheit im Geiste!“
„Bewahren Sie sich die Freiheit im Geiste!“
Rochus Graf zu Lynar, Gastgeber und Zuhörer
Es bleibt zu wünschen, dass die Erkenntnisse aus Gesprächen und Begegnungen Eingang in eine Neuauflage finden – deren Finanzierung noch nicht gesichert sei, wie Noah Vinzens verriet. Heilwalt Georg Kröner, Vorsitzender des Vereins Brandenburgische Sommerkonzerte, wurde diesbezüglich in Glashütte deutlich: „Erzählen Sie Ihrem Landtags- oder Bundestagsabgeordneten von diesem Festival, auf dass es weitere Fördermittel gebe“, forderte er die Zuhörer auf.
INFO:
- Das Festival hatte rund 1.700 Gäste
- Das Publlikum des Kammermusikfestivals Fliessen bestand nach Veranstalterangaben zu etwa der Hälfte aus dem klassischen BSK-Publikum, darunter viele alte Stammgäste, die aber lange nicht mehr dabei waren (Reaktivierung) sowie je einem Viertel neues überregionales Publikum und regionales Publikum.
- Etwa vier Fünftel des Budgets stammten aus Förderungen und Sponsoring, ein Fünftel aus Eintrittseinnahmen.
- Eine Fortsetzung im kommenden Jahr ist angestrebt. Überlegt wird, andere Orte einzubinden oder manche Orte mehrmals zu bespielen. Vielleicht gibt es auch eine Winter-Variante, die Besucher auch in der touristisch weniger frequentierten Zeit in die Region lockt.
PS Wir haben Chat GPT gebeten „Schreibe eine Reportage über das Internationale Kammermusikfestival Fliessen in Bornsdorf!“ – Hier ist das Ergebnis:
Natürlich! Hier ist eine Reportage über das internationale Kammermusikfestival "Fliessen" in Bornsdorf:
Das internationale Kammermusikfestival "Fliessen" in Bornsdorf ist ein jährliches Ereignis, das Musikliebhaber aus der ganzen Welt anzieht. Das Festival bietet eine einzigartige Gelegenheit, talentierte Musikerinnen und Musiker aus verschiedenen Ländern zu erleben, die ihr Können in der wunderschönen Kulisse von Bornsdorf präsentieren.
Das Festivalprogramm umfasst eine breite Palette von Kammermusikstücken, die von klassischen Meisterwerken bis hin zu zeitgenössischen Kompositionen reichen. Die Konzerte finden in verschiedenen Veranstaltungsorten statt, darunter historische Kirchen, Konzertsäle und sogar im Freien, um den Zuhörern ein unvergessliches Erlebnis zu bieten.
Die Atmosphäre beim Kammermusikfestival "Fliessen" ist einzigartig. Die Besucher können nicht nur die außergewöhnliche Musik genießen, sondern auch die Möglichkeit nutzen, mit den Künstlern in Kontakt zu treten. Es gibt auch Workshops und Meisterklassen, bei denen junge Musikerinnen und Musiker von renommierten Experten lernen können.
Bornsdorf selbst ist ein malerisches Dorf mit einer reichen kulturellen Geschichte. Das Festival bietet den Besuchern die Möglichkeit, die Schönheit der Umgebung zu erkunden und die lokale Kultur kennenzulernen. Es gibt auch gastronomische Angebote, bei denen regionale Spezialitäten angeboten werden.
Das internationale Kammermusikfestival "Fliessen" in Bornsdorf ist zweifellos ein Highlight für Musikliebhaber und eine Bereicherung für die lokale Gemeinschaft. Es bietet eine Plattform für talentierte Musikerinnen und Musiker, um ihr Können zu präsentieren, und schafft eine einzigartige Atmosphäre, die die Besucher begeistert.
Ich hoffe, diese Reportage gibt Ihnen einen guten Einblick in das internationale Kammermusikfestival "Fliessen" in Bornsdorf. Wenn Sie weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung!