Mehr als 2.100 ukrainische Menschen sind in diesem Jahr auf der Flucht vor dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine im Landkreis untergekommen. Manche privat, andere in Gemeinschaftsunterkünften. Wir haben eine davon besucht.
Von Birgit Mittwoch
Valentina lächelt zaghaft, als wir sie in ihrem neuen Zuhause in Klein Köris begrüßen. Ihr Zuhause ist das ehemalige Hotel Seeterrassen. Jetzt ist das Hotel eine Gemeinschaftsunterkunft für ukrainische Flüchtlinge. Valentina war die erste, die im April dieses Jahres hier einzog. Sie ist 76 Jahre alt, hat in Kiew gewohnt, war dort Deutschlehrerin. Sie hatte Glück, kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine, nach den ersten Bomben auf ihre Heimatstadt, noch einen Platz im bereits überfüllten Zug Richtung Polen zu bekommen, das war am 8. März dieses Jahres. Ihr Sohn hatte sie gedrängt, sich in Sicherheit zu bringen.
Wir treffen die zierliche alte Dame an der ehemaligen Rezeption, gleich dahinter hat jetzt Sozialarbeiterin Kristin Wegert ihr kleines Büro. Sie hat Valentina Orap gebeten, mit uns zu reden, uns ihre Geschichte zu erzählen, ihr aktuelles Zuhause zu zeigen und für andere Bewohner zu dolmetschen. Kristin Wegert ist für aktuell 51 Bewohner und Bewohnerinnen da. Sie berät, koordiniert, hilft beim Ausfüllen von Anträgen für Ausländerbehörde, Sozialamt, Jobcenter oder hört einfach nur zu. Mit einem Übersetzungsprogamm auf dem Smartphone sei das kein Problem, sagt sie lächelnd.
Viele Mütter mit kleinen Kindern wohnen hier, die anderen seien so um die 60, einige ältere Ehepaare, 2 Bewohner seien körperlich eingeschränkt, die jüngste sei vier Jahre alt, die älteste 76, berichtet sie. Man merkt es Kristin an, dass ihr der Job Freude macht, auch wenn sie manchmal sehr nachdenklich wirkt, wegen der vielen Fluchtgeschichten der Bewohner. Sie hat ein offenes Verhältnis zu allen, Konflikte, die sie schlichten muss, sind selten. Ihr kleiner Hund Pepi scheint ebenfalls gute Arbeit zu leisten – er zaubert vielen ein Lächeln ins Gesicht.
Kristin Wegert bei der Arbeit. Fotos: Birgit Mittwoch
Valentina Orap und Kristin Wegert.
Auch wenn es einmal ein Hotel war, das hier sei keine Luxusunterkunft, erzählt uns Kristin. Sicher, es ist schön am Klein Köriser See gelegen, aber die Zimmer sind klein. Sechs Quadratmeter stehen jedem Flüchtling im Land Brandenburg zu. Bei einer Zimmergröße von zwölf Quadratmetern müssen auch sich bisher Fremde ein Zimmer teilen. Und das nicht nur für eine Urlaubslänge, sondern vielleicht für sehr lange.
Valentina Orap führt uns durch die Gemeinschaftsküche, fünf Herde für 51 Personen, an jedem Herd stehen die Zimmernummern derer, die hier täglich kochen. Alles ist super sauber, einige Lebensmittel sind abgedeckt in Regalen untergebracht. „Wir kochen oft und viel“, erzählt Valentina. Zweimal täglich warme Mahlzeiten sind in der Ukraine üblich – z.B. Gurkensuppe und der berühmte Borschtsch. In der ehemaligen Gaststube stehen noch alle Tische und Stühle an Ort und Stelle. Das Restaurant ist zum Speisesaal für die Bewohner der Unterkunft geworden. Viele nehmen hier alle Mahlzeiten ein – in den Zimmern ist dafür kaum Platz. Lediglich einen kleinen Kühlschrank, ohne Gefrierfach, haben die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft in den Privaträumen – da passt nicht viel rein. Deswegen müssen sie oft einkaufen.
Ein Pärchen sitzt an einem der Tische und isst eine Kleinigkeit. Sie sprechen leise miteinander, schauen neugierig zu uns herüber. Die Presse sei heute da, erklärt ihnen Frau Orap. Sie kommt mit allen Bewohnern hier gut aus. „Ich habe mein ganzes Leben mit Menschen gearbeitet, mit Kindern, Eltern und Großeltern“, erzählt die ehemalige stellvertretende Direktorin einer Schule in Kiew. Dort wurde bereits ab der 1. Klasse Deutsch unterrichtet.
Valentina Orap (l.) und Valentina Dereviako in einem ihrer Zimmer.
Valentina Orap zeigt die Gemeinschaftsküche. Fotos: Birgit Mittwoch
Es gab Kooperationsbeziehungen nach Deutschland, oft waren deutsche Sprachlehrer für längere Zeit in Kiew. Dazu gehörte auch eine Lehrerin aus Klein Köris. Zweimal hatte Valentina diese Lehrerin schon vor dem Krieg in deren Zuhause besucht. Als der Krieg in der Ukraine begann, nahmen beide Kontakt auf. Zwei Monate konnte Valentina bei ihr unterkommen – eine sichere Bleibe fürs erste. Aber keine für viele Monate.
Valentina wohnt nun allein in einem Zimmer, auf etwa acht Quadratmetern. Auch Valentina Dereviako, ebenfalls 76 Jahre alt, hat ein eigenes kleines Reich. Beide Frauen sind befreundet, besuchen sich häufig, machen gemeinsam Einkäufe, fahren ab und zu nach Königs Wusterhausen. Frau Dereviako hat im ukrainischen Mariupol gewohnt und gearbeitet, war dort stellvertretende Chefin der Lohnbuchhaltung im Asow-Stahlwerk.
Als wir sie nach ihrem Zuhause fragen, fließen die Tränen. Ein Zuhause gebe es nicht mehr, ihre Wohnung sei zerbombt, erzählt sie. Drei Tage habe sie für ihre Flucht aus der Ukraine nach Deutschland gebraucht, berichtet die Seniorin. Als ihr Sohn sie am 19. Mai mit dem Auto zum nächsten Bahnhof gefahren habe, sei es schon fast zu spät gewesen: Die Straßen waren bereits zerstört, es habe Beschuss gegeben, nur mit etwas Glück habe sie einen Zug unversehrt erreichen können, der sie aus der Stadt brachte.
„Die globalen Entwicklungen und der andauernde Krieg in der Ukraine lassen prognostizieren, dass die Anzahl der landesweit aufzunehmenden Flüchtlinge in 2023 mindestens die Dimensionen von 2022 erreichen kann.“
Pressestelle Landkreis Dahme -Spreewald
Still und traurig sitzen beide Frauen nebeneinander auf dem Bett. Täglich telefonieren sie nach Hause, meist mit ihren Söhnen, die in der Ukraine geblieben sind. Der Sohn von Valentina Orap arbeitet als Chirurg in Kiew. Er habe viel zu tun, erzählt sie. Warum - das kann man sich gut vorstellen, wenn man an die vielen Bilder von Kriegsverletzten denkt.
Die beiden alten Damen versuchen, so wie die anderen ukrainischen Bewohner der Unterkunft, es sich in ihrem neuen Leben einzurichten. Im Herbst haben sie viele Pilze in den Wäldern rund um Klein Köris gesammelt und zusammen gekocht. Oft fahren sie zum Einkauf nach Groß Köris. Da sind sie manchmal einen halben Tag lang unterwegs. Die Abfahrzeiten der Linienbusse hin und zurück diktieren lange Wartezeiten. Fast alle Bewohner des Wohnheimes sind auf die öffentlichen Verkehrsmittel angewiesen oder fahren mit dem Fahrrad. Nur zwei Familien haben ein Auto.
Im ehemaligen Hotel "Zur Seeterrasse" sind derzeit 60 Ukrainer untergebracht. Foto: Birgit Mittwoch
Sozialarbeiterin Kristin Wegert berichtet, dass so gut wie alle Bewohner gern die deutsche Sprache erlernen wollen, sie jedoch nur zwei von ihnen Plätze in Deutschkursen ergattern konnte. Zurzeit seien alle Möglichkeiten in Königs Wusterhausen oder Lübben ausgeschöpft. Zwei Bewohner haben bereits einen Job gefunden, einer als Gerüstbauer, die andere einen Minijob in einem Ukraineprojekt. Diejenigen, die selbst Geld verdienen, müssen die Unterkunft selbst bezahlen. Für alle anderen übernimmt das Jobcenter oder das Sozialamt die Kosten. Den Strom zahlen alle selbst.
Die ukrainischen Flüchtlinge erhalten automatisch den sogenannten Aufenthaltstitel für Flüchtlinge, die Wartezeiten auf deren Bestätigung sind allerdings lang. Eine Sonderregelung für geflüchtete Ukrainer, so berichtet Kristin Wegert, sei auch, dass diese sofort Leistungen vom Jobcenter erhalten, analog dem Harzt IV-Regelsatz. Und – sie können sofort eine Arbeit aufnehmen, sofern sie eine finden.
Gibt es Verbindungen zu Einwohnern von Köris?, fragen wir die beiden Valentinas. Ja, die gebe es, wenn auch spärlich, erzählt Frau Orap. Die ehemalige Lehrerin in Klein Köris, bei der sie zuerst unterkommen konnte, lädt sie manchmal zu sich ein, gibt Hinweise für Veranstaltungen. Beim „Oktoberfest“ waren somit viele Ukrainer dabei, haben bis in die Nacht mitgefeiert und für die Seniorenweihnachtsfeier Anfang Dezember haben sich die beiden 76jährigen auch bereits angemeldet. Valentina Derevianka möchte dort gerne ein ukrainisches Lied singen. Sie singe sehr schön, meint ihre gleichalterige Freundin.
Mira und Veronika wurden gerade von ihrer Oma mit dem Bus aus der Kita abgeholt. Foto: Birgit Mittwoch
Als wir die die Gemeinschaftsunterkunft wieder verlassen, treffen wir Im ehemaligen Vestibül des Hotels die beiden ukrainischen Deutsch-Schülerinnen Tamara und Svetlana. Ein kurzer Smalltalk mit ihnen ist schon möglich, obwohl beide erst seit Mai Deutsch lernen. Vor dem Haus sind gerade zwei Mädchen und eine ältere Frau aus dem Linienbus gestiegen. Oma Alexandra hat Mira und Veronika von der Schule in Groß Köris abgeholt.
Wohnanlage in Klein Köris:
- Die Wohnanlage in Klein Köris wird von der „Dahmeland soziale Dienste GmbH“ betrieben, ein Tochterunternehmen der AWO. Im April dieses Jahres sind die ersten ukrainischen Flüchtlinge eingezogen. Maximal 60 Personen können dort aufgenommen werden.
- 15 ukrainische Kinder und Jugendliche gehen in die Grund- und Oberschule Schenkenland nach Groß Köris. Die meisten haben fünf Stunden Deutschunterricht täglich, dafür konnte eine ukrainische Lehrerin, die bereits seit zwei Jahren in Deutschland lebt, eingestellt werden. Je nach Lernerfolg werden die Kinder dann in die jeweiligen Klassen integriert und nehmen am normalen Schulunterricht teil.
- Zwei Kinder besuchen die Kita in Löpten. Beide sind vier Jahre alt.
Fakten zu Flüchtlingen aus der Ukraine im Landkreis:
- 2.500 Flüchtlinge muss der Landkreis in diesem Jahr aufnehmen, rund 2.450 sind es bislang. 12.311 Ausländische Mitbürger aus 30 Staaten leben derzeit im Landkreis (Stand: 31.10.) – das ist ein Zuwachs im Vergleich zum vergangenen Jahr um 2071.
- Mit Stand vom 31. Oktober wurden 2.169 Flüchtlinge mit Bezug zur Ukraine-Krise in diesem Jahr im Landkreis Dahme-Spreewald aufgenommen. 1.928 leben noch hier, 241 haben den Landkreis verlassen. Insgesamt maximal
- Viele Ukrainer sind privat untergebracht oder haben bereits eine eigene Wohnung angemietet. 328 leben aktuell in Gemeinschaftsunterkünften. 634 ukrainische Kinder besuchen Kitas und Schulen.
- Informationen für Ukrainer, die im Landkreis Leistungen beantragen wollen, sowie für Einheimische, die Wohnraum anbieten möchten, gibt es hier.