Wenn Bomben als Worte fallen

In diesen Tagen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs in der Region: Lübben war Ende April 1945 weitgehend zerstört, und in Halbe tobte die Kesselschlacht. Der Krieg gegen die Ukraine weckt Erinnerungen und es stellt sich die Frage: Was macht dieser Krieg mit uns? Und was tun wir?

 

Von Dörthe Ziemer

 

Drei Mädchen gehen durch den Luckauer Stadtpark, sie sprechen Russisch. Sie reden freudig erregt, als wären sie froh, beieinander oder sich begegnet zu sein. Die grüne Wiese und der blaue Himmel hinter ihnen, die an diesem Tag im Stadtpark sitzenden, spielenden und lachenden Familien künden vom Frieden, in dem sie sich gerade befinden. Dann fallen die Worte „Bomben“ und „Kiew“, die Mädchen gestikulieren und reißen ihre Augen auf. Damit ist klar, dass die Drei in diesen Frieden fliehen mussten. Vor einem Krieg, den kaum einer für möglich gehalten hätte. Ein Krieg eines Machthabers, der ein souveränes Nachbarland überfallen hat. Ein Krieg, der wahllos Menschen tötet und ein Land in Schutt und Asche legt.

 

Dass im Luckauer Stadtpark an diesem sonnigen Frühlingstag Bomben als Worte fallen, weist aber auch darauf hin, wie nah uns der Krieg ist: Bilder von Flüchtlingsströmen, Hilfsangebote in der Nachbarschaft, durch Medien und Erzählungen vermittelte Kriegsbilder aus der Ukraine, Opferzahlen, Nachrichten von neuen Angriffen bestimmen unsere Informationsflüsse. Im Alltag spüren wir es an steigenden Energie- und anderen Preisen, an Lieferengpässen und Hamsterkäufen. Doch ist die Frage überhaupt angemessen: Was macht der Krieg mit uns? Mit uns, die wir friedlich in diesen Frühling des Jahres 2022 hineinleben dürfen? Die mal mehr, mal weniger in ihrer Komfortzone erschüttert werden? Sollten wir nicht eher fragen: Was tun wir? Tun wir genug? Das wiederum bedarf einer Antwort auf die Frage: Wissen wir, was Krieg bedeutet?

 

„Wie sie mit dem Fluchtwagen in Lübben ankamen oder ewig nichts zu trinken fanden – daran erinnern sich Senioren in diesen Wochen wieder verstärkt“
Martin Liedtke, Pfarrer

 

Die Menschen, die Lübbens Pfarrer Martin Liedtke im Seniorenkreis erlebt, wissen das: „Wie sie mit dem Fluchtwagen in Lübben ankamen oder ewig nichts zu trinken fanden – daran erinnern sie sich in diesen Wochen wieder verstärkt“, sagt er. Sirenengeheul wecke bei ihnen die Erinnerung an in Schutt und Asche versinkenden Städten, an die Flucht in den Luftschutzkeller in Berlin oder Dresden. Und es seien häufig ihre Enkel, die Hilfe anbieten in diesen schrecklichen Tagen, da Ukrainer vor Bomben, Zerstörung, Leid und Tod fliehen müssen. Aus dem kollektivem Gedächtnis der Gesellschaft sei das Thema Zweiter Weltkrieg eher verschwunden, beobachtet Martin Liedtke. Vor allem Jüngere würden den aktuellen Krieg gegen die Ukraine nicht mit dem Geschehen in der Region vor fast 80 Jahren assoziieren.


Ab dem 23. April 1945 tobte eine der letzten Schlachten des Krieges in der Region, bei der Lübben zu großen Teilen zerstört wurde. Das Stadtzentrum wieder aufzubauen, dauert bis in diese Tage an. In und um Halbe tobte ab dem 24. April 1945 die Kesselschlacht von Halbe mit geschätzten 60.000 Todesopfern.

Auf dem Waldfriedhof ruhen rund 24.000 Opfer der Kesselschlacht von Halbe – deutsche Soldaten und Ziviltote. Auch sowjetische Zwangsarbeiter und in der deutschen Hinrichtungsstätte Berlin-Tegel und im Internierungslager Ketschendorf ermordete Menschen haben auf dem Waldfriedhof ihre letzte Ruhestätte erhalten.

Auch heute noch werden Leichname dort beigesetzt, die erst jetzt gefunden werden.


In der Lübbener Paul-Gerhardt-Kirche gab es über viele Wochen abends an jedem Wochentag Friedensgebete. Manche Menschen kamen fast jeden Abend, andere zweimal die Woche, erzählt der Pfarrer. Darunter Menschen, die ihn ansprachen und fragten: Kommt der Krieg auch zu uns? „Sie haben nicht nur Sorge vor steigenden Preisen, sondern Angst davor, was bei einem Atomwaffeneinsatz passieren würde“, sagt er. Dabei existierten Sprachlosigkeit und Hilfsbereitschaft eng nebeneinander. „Das Bedürfnis etwas zu tun, ist riesengroß.“ Und so stellten und stellen Menschen Wohnraum für Geflüchtete zur Verfügung – entweder als Zimmer in der eigenen Wohnung oder in einer Einlieger- oder Ferienwohnung. Zahlreiche Online-Portale wurden genutzt, um Wohnraum anzubieten, in Facebook-Gruppen, etwa der regionalen Gruppe „LDS hilft“ werden Einrichtungsgegenstände, Kleidung, Fahrräder, Kinderwagen und mehr gesucht oder angeboten.

 

„Es ist toll, wenn jemand zu Hause ein Zimmer leerräumt um Unterschlupf zu gewähren, aber wir wissen, dass das nur temporäre Angebote sein können“, sagt Antje Jahn, Migrationsbeauftragte des Landkreises. In Gemeinschaftseinrichtungen seien gerade Mütter mit kleinen Kindern gut aufgehoben, weil sie sich dort gegenseitig unterstützen können. Dort sind auch Sozialarbeiter vor Ort, die einerseits die entsprechenden Hilfsstrukturen kennen, andererseits aber auch erkennen, wenn beispielsweise stark traumatisierte Menschen besonderer Hilfe bedürfen. Der Landkreis wolle zudem die Unterbringungsangebote gern prüfen. „Es gibt immer Menschen, die die Situation Geflüchteter auch ausnutzen“, sagt Antje Jahn und erklärt, dass sie auf manche Angebote mit fragwürdigem Inhalt gar nicht mehr eingehen könne.

 

„Es ist toll, wenn jemand zu Hause ein Zimmer leerräumt um Unterschlupf zu gewähren, aber wir wissen, dass das nur temporäre Angebote sein können.“
Antje Jahn, Migrationsbeauftragte des Landkreises

 

Normalerweise werden Geflüchtete in der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg (ZABH) registriert und dann nach dem Königssteiner Schlüssel auf Landkreise und dort auf Unterkünfte verteilt. Im Landkreis Dahme-Spreewald sind jedoch rund 90 Prozent der Geflüchteten privat bei Freunden, Verwandten und Bekannten oder in eigenständig angemieteten Wohnungen untergebracht. Diese müssen durch den Landkreis vorregistriert werden, weshalb es dort zu längeren Wartezeiten kam. Die Registrierung ist notwendig, damit die Untergebrachten Leistungen für den Lebensunterhalt beziehen oder eine Arbeitserlaubnis erhalten können.


In der Ausländerbehörde des Landkreises wurden seit Kriegsbeginn am 24. Februar 1.183 Personen (Stand 21.04.2022) vorregistriert. Durch die ZABH wurden bis zu diesem Zeitpunkt 438 vorregistrierte Personen offiziell dem Landkreis Dahme-Spreewald zugewiesen.

Das jährliche Aufnahmesoll des Landkreises ist innerhalb von drei Monaten um über 1.500 Personen angestiegen, derzeit liegt es bei 1.835 Personen.


Es ist davon auszugehen, dass noch mehr Menschen aus der Ukraine im Landkreis leben, da noch nicht alle gemeldet sind, schätzt Antje Jahn. „Viele hoffen, bald zurückkehren zu können“, sagt sie. Für die Registrierung hätten die Geflüchteten wegen der Visafreiheit 90 Tage Zeit. Wer aus einer Privatunterkunft in eine größere umziehen möchte, kann sich beim Landkreis melden. Mit Stand letzte Woche sind 71 Personen in den Gemeinschaftsunterkünften des Landkreises untergebracht. Bislang standen die Objekte in Uckley und Kollberg dafür zur Verfügung, neue Objekte in Halbe, Byhleguhre, Klein Köris und in Mittenwalde sollen bald zur Verfügung stehen.

 

Vor diesem Hintergrund werde Hilfe vor allem in Form von Patenschaften gesucht, sagt Antje Jahn: „Angebote von Menschen, die die ankommenden Familien bei Behördengängen begleiten, sind derzeit am hilfreichsten.“ Wer ist zuständig? Was ist zu tun? Wie kommt man hin? – Vor diesen Fragen stehen alle Geflüchteten. Manch einer, der ein Zimmer oder eine kleine Wohnung freigeräumt hat, sei von dieser Flut an Aufgaben geradezu überrascht worden, so ihre Erfahrung. Bei angebotenen Sachspenden verweist Antje Jahn an die jeweiligen Gemeinschaftsunterkünfte, die die Bedarfe vor Ort gut kennen. Kleiderspenden könnten gut über die Kleiderkammern abgegeben oder beschafft werden, die sich seit 2015 im Landkreis gegründet haben. Für Geldspenden empfiehlt sie die großen Wohlfahrtsverbände, die wüssten, was in der Ukraine gebraucht wird.

 

Darüber hinaus seien Begleitung am Wochenende, Spielen mit den Kindern, Ausflüge in den Tierpark, Deutschlernen und mehr gefragt, so die Migrationsbeauftragte. „Jedes private und ehrenamtliche Engagement ist hilfreich.“ Zahlreiche Hilfsaktionen wurden im Landkreis gestartet – von privaten und kommunalen Hilfstransporten bis zu Benefizkonzerten, Videos und Demonstrationen. „Was wir brauchen, sind Marathon-Qualitäten“, sagt Pfarrer Martin Liedtke jedoch angesichts der großen, spontanen Hilfsbereitschaft. „Das wird ähnlich wie 2015 – am Ende braucht es die, die durchhalten.“ Die Türen seien schnell geöffnet, aber die Menschen müssten auch satt werden, krankenversichert werden und Leistungen beziehen können. „Wir als Kirche haben auch überlegt, was wir tun können“, erzählt er. Doch die Ressourcen für eine Flüchtlingshilfe gebe es nicht. Daher werde an andere Hilfseinrichtungen vermittelt. „Wir haben gesagt, wir machen das, was wir können: Wir schaffen den Raum zum Beten und zum Schweigen, und zum Meinungsaustausch. Im Gespräch zu sein ist Aufgabe von Kirche.“

 

Internationale Künstler*innen treten beim Benefizkonzert auf dem Funkerberg auf. Foto: Stadt KW/Max Novo

Internationale Künstler*innen traten beim Benefizkonzert am 8. April auf dem Funkerberg auf. Es wurde sogar via Sender "welle370" in die Ukraine übertragen.  Foto: Stadt KW/Max Novo

Die Bürgermeister*innen der Nordkommunen und Landrat Stephan Loge beginnen das Spendensammeln auf der Konzertbühne. Foto: Stadt KW/Reik Anton

Die Bürgermeister*innen der Nordkommunen und Landrat Stephan Loge sarteten das Spendensammeln auf der Bühne. Rund 10.000 Euro kamen zusammen. Foto: Stadt KW/Reik Anton

 

Und darüber hinaus? Energiesparen? Enthaltsamer leben? Oder, wie es einige Medien drastisch ausgedrückt haben: „Tempo 100 gegen Putin?“ Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte kurz nach Beginn des Krieges Sofortmaßnahmen, um Erdöl, Erdgas und Kohle einzusparen und damit die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu senken – um letztlich den angreifenden Staat nicht weiter durch Zahlungen für Öl, Gas und Kohle zu finanzieren. Allen Forderungen voran: ein Tempolimit von 100 km/h auf Autobahnen und von 80 km/h auf Landstraßen. Wie die Umweltorganisation Greenpeace berechnet hat, würde die Einführung eines Tempolimits von 100 km/h auf Autobahnen den Kraftstoffbedarf um 2 Millionen Tonnen pro Jahr senken. Die Einsparung entspricht einem Anteil am Benzin- und Dieselabsatz in Deutschland von 3,8 Prozent und einem Anteil an den Mineralölimporten von 2,1 Prozent.

 

Weitere Maßnahmen, die Greenpeace vorschlägt: Homeoffice beibehalten, autofreie Sonntage und mehr. „Ein Importstopp russischen Öls ist in der aktuellen Lage notwendig, um Putins Krieg gegen die Ukraine die finanzielle Basis zu entziehen“, schreiben die Autoren des Greenpeace-Papiers. „Mit kurzfristig umsetzbaren und angesichts der aktuellen Lage vertretbaren Maßnahmen lassen sich in sehr kurzer Frist je nach Ausgestaltung der hier vorgestellten Maßnahmen grob 10 bis 12 Prozent der Öl- und Netto-Ölproduktimporte ersetzen.“ Bekanntlich hat es kaum einer der Vorschläge in ein Maßnahmenpaket der Bunderegierung geschafft. Allein die Forderung „Bahn statt Auto“ könnte mit dem 9-Euro-Ticket im Nahverkehr eingelöst werden. Mit dem Ticket kann man ab Juli den ÖPNV für 9 Euro nutzen. Zugleich wurde eine Absenkung der Energiesteuer, beispielsweise bei Benzin um knapp 30 ct/Liter, bei Dieselkraftstoff rund 14 ct/Liter, beschlossen. Ziel der Maßnahmen, zu denen auch Einmalzahlungen an Steuerpflichtige und Familien mit Kindern gehören, ist jedoch nicht die Einsparung von Energie, sondern die Entlastung der Verbraucher angesichts steigender Preise.

 

Gleichwohl gilt es, bereits jetzt Konsequenzen aus den unmittelbaren Folgen für die Energieversorgung zu ziehen. Die Abhängigkeit von russischem Erdgas und Erdöl muss so schnell wie möglich reduziert werden.“
Beschlussvorlage der Zeuthener Gemeindevertretung

 

Energiesparen – das geht auch auf kommunaler Ebene. Die Gemeindevertreter in Zeuthen haben einen Beschluss gefasst, mit dem sie die Verwaltung auffordern darzustellen, wie die Nutzung erneuerbarer Energien samt Speichermöglichkeiten bei kommunalen Gebäuden (einschließlich kommunaler Wohngebäude) binnen drei Jahren zum Regelfall werden kann. Gleichzeitig sollen bei allen kommunalen Bauprojekten für neue Gebäude die statischen Voraussetzungen für eine Installation von Photovoltaikanlagen geschaffen werden. Es gelte, heißt es zur Begründung, „bereits jetzt Konsequenzen aus den unmittelbaren Folgen für die Energieversorgung zu ziehen. Die Abhängigkeit von russischem Erdgas und Erdöl muss so schnell wie möglich reduziert werden. Durch die Nutzung von Solarenergie und Energiespeichern kann dies auch im Bereich der kommunalen Gebäude gelingen“.

 

Wokreisel hat in den Kommunen des Landkreises nachgefragt, welche Möglichkeiten diese sehen, die kommunalen Klimaschutzbemühungen vor dem Hintergrund des Krieges gegen die Ukraine zu forcieren. Fünf Kommunen und der Landkreis haben geantwortet – die meisten verweisen auf ihre bestehenden Klimaschutzbemühungen. Diese reichen von bereits erstellten Klimaschutzkonzepten und eingestellten Klimaschutzmanagern (z.B. Wildau) bis zu einzelnen Maßnahmen angesichts eines noch ausstehenden Klimaschutzkonzepts und ausstehender Stellenbesetzungen (z.B. Schönefeld). Dazu gehören E-Mobilität, Wiederverwendung und Nachhaltigkeit von Bürobedarf und mehr. Schulzendorfs Bürgermeister Markus Mücke verweist darauf, dass seine Verwaltung nichts forcieren könne, „weil die zusätzlichen Aufgaben und Belastungen, die durch die Corona- und Ukrainekrise entstanden sind, schwer auszugleichen sind“. „Natur-, Ressourcen- und Klimaschutz sollten aber nicht aufgrund einzelner Aussagen von Ministern auf der Tagesordnung stehen, sondern unser tägliches Handeln begleiten“, formuliert die Gemeinde Heidesee als Antwort.

 

Der Landkreis Dahme-Spreewald hat im Rahmen seiner Klimaschutzbemühungen die vollständige Abkehr vom Energieträger Heizöl für die Wärmeerzeugung in kreiseigenen Gebäuden vollzogen. „Weiterhin entwickelte der Landkreis Dahme-Spreewald ein Energiekonzept im Zuge des Neubauprogramms für Rettungswachen im Landkreis Dahme-Spreewald“, teilt Sprecherin Stephanie Kunert mit. „Dieses basiert auf einer Kombination von Wärmeerzeugung mittels Erdwärme, lokaler Energieerzeugung über PV-Anlagen und Batteriespeichern.“ Gleichwohl leiste der Energieträger Erdgas auch im kreiseigenen Gebäudebestand bisher einen nicht unerheblichen Anteil an der Wärmeversorgung. In Königs Wusterhausen werden über den Energie-Monitor der Stadt die aktuelle Produktion und Verbräuche von Energie angezeigt. Demnach kann Königs Wusterhausen schon heute seinen Energiebedarf zu 100 Prozent über Biomasse, Photovoltaik, Windkraft und weitere Erzeuger decken. Bürger können über die Internetseite der Stadt ihre persönliche CO2-Bilanz ausrechnen.

 

„Das Nutzungsverhalten von Mietern ist entscheidend.“
Carsten Kröning, Chef der Wildauer Wohnungsbaugenossenschaft

 

Dass es sinnvoll ist, die eigenen Verbrauche zu kennen, um sie zu reduzieren, kann Carsten Kröning, Chef der Wildauer Wohnungsbaugenossenschaft, bestätigen Auswertungen hätten ergeben, dass in den gleichen Wohnungen mit der gleichen Bewohnerzahl die Verbrauche um den Faktor 3 differieren können. „Das Nutzungsverhalten von Mietern ist entscheidend“, sagt er. Die Genossenschaft informiere über das richtige Lüften und habe Energieampeln in den Treppenhäusern installiert. Insgesamt, schätzt er ein, habe der Krieg in der Ukraine die anstehenden Herausforderungen in der Wohnungswirtschaft beschleunigt.

 

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte mehrfach zum Energiesparen aufgerufen. Zehn Prozent seien immer drin, wurde er zitiert. Wie fruchtbar Appelle sein können, lässt sich an mancher Diskussion auf der Kurznachrichtenplattform Twitter nachverfolgen: Während unter dem Hashtag #100aufderautobahn fleißig über das Für und Wider eines Tempolimits diskutiert wird, unterstützen sich Autofahrer unter #freiwillig100 gegenseitig zum Langsamfahren. Twitter-Nutzerin @HilliKnixibix fragt beispielsweise: „Kommt es mir nur so vor oder fahren auf der Autobahn tatsächlich viel mehr Leute #freiwillig100?“

 

Zum Energieproblem komme hinzu, dass der Druck auf den Wohnungsmarkt enorm gewachsen sei, schätzt Carsten Kröning ein. Dass bei den aktuellen Erfordernissen, ukrainische Flüchtlinge unterzubringen, andere benachteiligt würden, das gebe es bei ihm jedoch nicht. Solche Erfahrungen hat jedoch Antje Jahn als Migrationsbeauftragte durchaus gemacht, sagt sie. Potenzielle Mieter mit dunkler Hautfarbe seien abgelehnt, Ukrainer aufgenommen worden. Sie nennt es, was es ist: Rassismus bei der Wohnraumvergabe. „Hier können wir nur über Bildung Werte wie Toleranz und Weltoffenheit vermitteln“, so Antje Jahn. Davon profitiere auch der Arbeitsmarkt, wo zahlreiche seit 2015 Geflüchtete inzwischen integriert sind. Für die ukrainischen Geflüchteten Aussagen für Arbeitschancen und Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt zu treffen, hält Antje Jahn für verfrüht: „Seit Ende März sind die ersten Menschen hier. Wie würden wir uns selbst fühlen, in ihrer Situation?“, fragt sie. Nach den ersten Wochen der Aufnahme und Eingewöhnung wolle sie in diesem Bereich Schritt für Schritt weiterarbeiten.

 

Luckauer Musiker und Musikgruppen haben ein Video produziert und zum Spenen aufgerufen.

 

Wie lange der Krieg noch dauert, das weiß niemand. Viele Ukrainer befinden sich bereits jetzt schon auf der Rückreise, weil sie ihr Land, ihre Familie nicht zurücklassen wollen. Forderungen nach einer Beendigung des Krieges zielten zu oft in Richtung Ukraine, hat die Schriftstellerin Monika Maron festgestellt. „Weshalb stellen die Verteidiger des Friedens ihre Forderungen an die Ukraine und nicht an Putin?“, fragt sie. Und: „Alle reden vom Frieden – Ist es die Sorge um den eigenen Wohlstand oder deutsche Arroganz?“ Was für ein Frieden könne das sein, der da gefordert werde? Heftig diskutiert werden diese Fragen auch in regionalen Facebook-Gruppen, beispielsweise der Gruppe „Politik im Landkreis Dahme-Spreewald“ nach der Entscheidung des Bundestages für Waffenlieferungen in die Ukraine.

 

Mit Blick auf die Ereignisse in dieser Region, zwischen Lübben und Halbe im Jahr 1945, könnte der Ruf nach einem „Nie wieder“ nicht lauter sein. Zahlreiche Solidaritätsbekundungen, Demonstrationen und Konzerte zeugen von der Ablehnung des Krieges und von der Bereitschaft, solidarisch mit der Ukraine zu sein. Der Lübbener Hans-Richard Groschke brachte das „Nie wieder“ schon vor zwei Jahren, als sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 75. Mal jährte, anlässlich einer Sonderausstellung im Museum Schloss Lübben eindrücklich zu Gehör. Zahlreiche Zeitzeugen in Halbe taten und tun dies immer wieder. Es gab Szenen der Versöhnung über Grenzen und Nationen hinweg – beispielsweise in Halbe vor 20 Jahren, als Überlebende der Kesselschlacht aus Russland, der Ukraine, Belarus und Deutschland auf dem Waldfriedhof einen Abguss der Skulptur „Trauernde“ des russischen Bildhauers Sergej Schtscherbakow enthüllten. Das Original steht auf dem russischen Soldatenfriedhof Rossoschka. Das alles scheint weit weg zu sein: Der Ruf „Nie wieder“ blieb ungehört, denn es ist Krieg in Europa: ein Krieg, bei dem ein Machthaber sein Nachbarland einfach so barbarisch überfällt. Und niemand weiß, welches Land das nächste sein wird.

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Veröffentlichung

Mo, 02. Mai 2022

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