Schaffenskraft statt Zwangspause

Ein Dorfwettbewerb mitten in der Pandemie: Byhleguhre-Byhlen, Töpchin, Gießmannsdorf und Briesen haben erfolgreich am Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ teilgenommen. Doch nicht nur die Pandemie stellt den ländlichen Raum vor enorme Herausforderungen.

 

Von Dörthe Ziemer

 

„Der ländliche Raum hat dort eine gute Zukunft, wo die Menschen mit Initiative und Ideen aktiv ihren Ort gestalten.“ – Das will der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ sichtbar machen. Wie es den teilnehmenden Dörfern mitten in der Pandemie gelingt und vor welchen Herausforderungen der ländliche Raum jenseits von Bewerbungsreden und Preisträger-Freuden steht, haben wir mit Melanie Kossatz und Sarah Plotzky vom Spreewaldverein e.V. besprochen. Der Verein ist Mitglied der Wettbewerbsjury im Landkreis Dahme-Spreewald und der Stadt Cottbus und zugleich als Lokale Aktionsgruppe des LEADER-Programms der Europäischen Union eng mit der ländlichen Entwicklung in der Region verbunden.

 

Wir haben eine Pandemie, eine Klimakrise und nun eine neue Bundesregierung. Wie geht es eigentlich dem Dorf?

Melanie Kossatz: Die Dörfer leben von einer starken, engagierten Dorfgemeinschaft, vom sozialen Zusammenhalt. Die Pandemie hat hier für eine Zwangspause gesorgt, denn die üblichen Aktionen der Dorfgemeinschaft waren verständlicherweise ausgesetzt. Die vernünftige und konstruktive Kommunikation leidet. Zukünftig brauchen Dörfer und Dorfgemeinschaften wieder mehr Räume und Gelegenheiten zum Austausch und Pläneschmieden. Die am Dorfwettbewerb teilnehmenden Dörfer haben uns aber eindrucksvoll gezeigt: Es geht!

Sarah Plotzky: Was sich im Großen abspielt, ist im Kleinen in den Dörfern wiederzufinden: Die großen Themen unserer Zeit müssen auch in jedem einzelnen Ort behandelt werden. Was man spürt, ist teils das Gefühl von Machtlosigkeit. Die Dörfer fühlen sich allein gelassen. Es ist Unterstützung notwendig, um die Handlungsfähigkeit der Struktur „Dorf“ nicht im Keim zu ersticken.

 

Was bedeutet das – und wie kann der Spreewaldverein dabei aktiv werden?

Melanie Kossatz: Vielen Dörfern wurde in den vergangenen Jahrzehnten und wird immer noch die Entscheidungsfreiheit genommen. Gleichzeitig haben wir als Mitglied in der Wettbewerbsjury mitbekommen, wie lebendig und engagiert die Dörfer sind, dass sie bestimmte Initiativen selbst in die Hand nehmen.

Sarah Plotzky: Für uns beginnt an diesem Punkt die eigentliche Arbeit: Als lokale Leader-Aktionsgruppe bekommen wir gut mit, wo in den Dörfern der Schuh drückt. Da können im Nachgang zum Wettbewerb die Herausforderungen gemeinsam angegangen werden. Dazu gehört auch, Verbindungen zu unserem Netzwerk herzustellen, gemeinsam Lösungswege zu erarbeiten oder mithilfe der Leader-Förderung für ländliche Räume begleitend bei konkreten Vorhaben zu unterstützen.

 

Ist das nicht ein gewisser Gegensatz: Einerseits das Gefühl der Machlosigkeit in den Dörfern, andererseits eine hohe Selbstwirksamkeit der Dorfbewohner, die mit ihren Vereinen vieles wuppen?

Melanie Kossatz: Wenn es um Daseinsvorsorge und Infrastruktur geht, kann das nicht durchs Ehrenamt gewuppt werden, das ist ganz klar Aufgabe von Verwaltung und Politik. Das Gefühl der Machtlosigkeit ergibt sich daraus, dass das Dorf nicht mehr die kleinste kommunale Zelle ist, sondern ein Gemeinde- oder Ortsteil. Gerade das motiviert offenbar viele Dorfgemeinschaften, selbst etwas zu machen. Da gibt es ein riesiges Spannungs-, aber auch Spielfeld zwischen kommunaler Verwaltung, politischen Aufgaben und dem Ehrenamt. Es hängt immer vom konkreten Projekt ab, was Verwaltung und Politik erledigen müssen und was durch das Ehrenamt geschafft werden kann.

Sarah Plotzky: Bei diesem Prozess gilt jedoch: Wenn die Wege zu den Verwaltungen länger werden, muss man aufpassen, dass nicht auch drängende Entscheidungen länger auf sich warten lassen. Verwaltungsstrukturen bewegen sich immer weiter weg von den Menschen. Das daraus entstehende Gefühl von Machtlosigkeit auf der Dorfebene und die wachsende Unzufriedenheit sorgen im schlimmsten Fall auch für zunehmende demokratische Instabilität. Um der Mitbestimmung und Mitgestaltung der Dorfebene wieder mehr Raum zu geben, benötigen Verwaltungen aber auch entsprechende Ressourcen. Hier gilt es nachzubessern.

 

In manchen Ämtern sind bis zu zehn Gemeinden zusammengeschlossen, d.h., die Amtsverwaltung muss zehn Haushalte plus Amtshaushalt aufstellen. Anderswo gehören mehrere Dörfer zu einer Gemeinde mit nur einem Haushalt. Im ersten Fall gibt es mehrere Dutzend Gemeindevertreter, im zweiten Fall womöglich nur ein Dutzend. Hier tut sich ein weiteres Dilemma auf: Mitbestimmung contra Verwaltungsressourcen. Wie kann man es auflösen?

Melanie Kossatz: Durch gute Kommunikationsstrukturen, durch ein faires Miteinander auf Augenhöhe. Da setzt zum Beispiel die Dorfbewegung Brandenburg an. Der Verein setzt sich schon länger für die Belange der Dörfer in Brandenburg ein und möchte sowohl in Richtung der Dörfer wirken als auch in Richtung der höheren Entscheidungsebenen. Den Dörfern möchte man Wissensaustausch und Empowerment anbieten, ihnen zeigen, welche Spielräume sie nutzen und gestalten können. Andererseits will die Dorfbewegung den Dörfern eine Stimme geben, z.B. bei den Themen Kommunalverfassung, Ortsteilbudgets usw. Dabei verfolgt die Dorfbewegung eine Idee aus dem Skandinavischen Raum: Durch den Verlust der Selbstbestimmtheit war es dort vor vielen Jahren das Ziel, Dorfbewohnern eine Plattform zu geben, um mit den verschiedenen politischen Eben in den Austausch zu gehen. Es ist so gedacht, dass in den verschiedenen Regionen Probleme und Herausforderungen gesammelt werden, um das zu bündeln und mit einem Forderungskatalog ins Parlament zu gehen.

 

Was wäre beispielsweise so eine Forderung an die neue Bundesregierung aus Sicht der Dorfbewegung?

Melanie Kossatz: Ein wichtiges Anliegen ist es beispielsweise, die Förderpolitik zu verschlanken. Im Bereich ländliche Entwicklung gibt es bspw. das Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) – mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Darüber hinaus gibt es einen Riesenblumenstrauß an Wettbewerben und Programmen. Es ist eine Herausforderung da den Überblick zu behalten, um fristgerecht Anträge zu schreiben. Hier eine Verschlankung hinzubekommen, kann ich nur begrüßen.

 

Nun zu den Teilnehmern im Wettbewerb: Was macht die Dörfer hier in der Region aus – beispielsweise die Teilnehmerdörfer des Wettbewerbs Byhleguhre- Byhlen, Gießmannsdorf, Briesen und Töpchin?

Sarah Plotzky: Jedes Dorf ist individuell. Die Dorfstrukturen und die Ausgangslage der Dörfer sind wirklich sehr verschieden. In jedem Dorf stecken Potenziale, die es zu erkennen und zu entwickeln gilt. Verlierer gibt es daher in diesem Wettbewerb nicht! Mithilfe des Wettbewerbes besinnen sich die Dörfer vielmehr wieder auf ihre eigene Schaffenskraft.

Im diesjährigen Preisträger-Dorf Byhleguhre-Byhlen merkt man sofort, dass dort Mut zur Selbsthilfe großgeschrieben wird, dass man mit dem Herzen dabei ist. Der Ort hat ja eine Sonderstellung: Er liegt mitten im Unesco-Biosphärenreservat Spreewald. Natur und Mensch in Einklang zu bringen, wurde hier als „Entwicklungsvorteil“ erkannt. Das zweitplatzierte Dorf Töpchin begleiten wir als Spreewaldverein e.V. schon länger. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Zukunft und die Teilnahme der DorfbewohnerInnen an Seminarformaten wie „DorfDialog – Ortsgestaltung mit Architekten“ oder „DorfDialog – Fahrplan fürs Dorf“ an der Heimvolkshochschule Seddiner See zeigen in Töpchin erste Erfolge— die Töpchiner haben einen Plan. Sie legen Wert auf Kommunikation und Zusammenhalt und das mit neuen innovativen Ansätzen. So haben die Töpchiner mittlerweile eine digitale Plattform für das Dorf. Briesen wiederum ist ein sehr sozial engagiertes Dorf. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl gibt es dort sehr viele Vereine. Sozialer Zusammenhalt bildet die Grundlage für eine gute Zukunft auf dem Land. Die Verwirklichung gemeinsamer Ziele motiviert die Dorfgemeinschaft nachhaltig. In Gießmannsdorf ist die Situation wieder eine ganz andere: Dort ist eine neue Siedlung entstanden, das bedeutet Zuzug. Menschen kommen ins Dorf – mit ganz neuen Ansätzen für das Leben auf dem Land. Hier treffen viele verschiedene Lebenswelten aufeinander und zugleich der Wille, die Gemeinschaft doch irgendwie zusammenzuhalten. Eine nachhaltigere und ganzheitlichere Siedlungsentwicklung kann da einen gezielten Beitrag zur Vermeidung von Konflikten leisten.

 

Was heißt das?

Melanie Kossatz: Es ist ein landesweites Phänomen – vor dieser Herausforderung stehen alle Städte und Dörfer, die Baugebiete ausweisen: Nicht nur die Infrastruktur, sondern auch das soziale Miteinander muss gestaltet werden. Es gibt Situationen, da hat man vergessen, das planerisch im Blick zu behalten.

Sarah Plotzky: Die Lösung sehen wir in möglichst vielschichtigen und vielfältigen sozialen Dorfstrukturen, die es schaffen, sich vor Neuem nicht zu verschließen, sich aber auch ihrer bewährten Stärken bewusst sind.

 

 

Info

Der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“

  • Der Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ wird auf verschiedenen Ebenen ausgetragen: Landkreis, Land, Bund.
  • Alle drei Jahre zeichnet das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) Dorfgemeinschaften mit bis zu 3.000 Einwohnern aus, die sich für ein attraktives und vielseitiges Leben in ihrer Heimat einsetzen. Damit sollen bürgerschaftliches Engagement geehrt und positive Entwicklungen in ländlichen Regionen sichtbar gemacht werden.
  • Durch die Teilnahme am Dorfwettbewerb werden in den Dörfern viele Entwicklungen angestoßen, die für die Bewohner – unabhängig von der Platzierung – ein großer Gewinn sind. Die Teilnahme schweißt die Bürger vor Ort zusammen und macht für alle Bewohner sichtbar, wie viel im Dorf bereits passiert ist und worin die Besonderheiten des Dorfes liegen.
  • Ablauf:
    • Die Anmeldung der Dörfer erfolgt durch die jeweilige Stadt oder Gemeinde bzw. das Amt. Eine Gemeinde kann auch mit mehreren Dörfern am Kreiswettbewerb teilnehmen.
    • Die Landkreise werden gebeten, die Kreiswettbewerbe als Vorentscheidung für den Landeswettbewerb im Jahr 2020/2021 durchzuführen. Sie richten Kreisbewertungskommissionen ein und ermitteln den oder die Kreissieger anhand der Bewerbungsunterlagen und einer Präsentation vor Ort.
    • Die Kreissieger nehmen 2022 mit einer erneuten Bewerbung am Landeswettbewerb teil und können als Landessieger zum Bundeswettbewerb weitergeleitet werden. Dieser findet 2023 – ebenfalls mit Bewerbungsunterlagen und Vor-Ort-Besichtigung – statt.

 

Mehr über die Teilnehmerdörfer erfahren Sie in unserer Reportage aus Byhleguhre-Byhlen, Töpchin, Gießmannsdorf und Briesen.

Weitere Informationen

Veröffentlichung

Fr, 31. Dezember 2021

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