Frieden! – Welcher Frieden?
Mo, 27. November 2023
Es wird wahrlich nicht zu wenig über den Strukturwandel in der Lausitz geredet. Nun auch noch ein Bürgerdialog – oder muss man sagen: endlich? Denn wer weiß schon, wie man sich im Strukturwandel einbringt oder wie man Fördermittel abbekommt…?
Von Dörthe Ziemer
Lausitz-Runde, Lausitzkommission, Lausitz-Beauftragter, Sonderausschuss, Begleitausschuss, Begleitgremium des Landkreises Dahme-Spreewald, Wirtschaftsregion Lausitz, Werkstattprozess, Bürgerregion Lausitz… Es gibt nicht zu wenige Akteure und es wird wahrlich nicht zu wenig über den Strukturwandel in der Lausitz geredet. Am Prozess gibt es dennoch immer wieder Kritik: Es werde intransparent über die Mittelvergabe entscheiden, die Mittel kämen nicht im Kerngebiet an, es werde zu viel von außen entschieden. Und vor allem: Wo bleiben die Bürger? „Es geht schlichtweg darum, dass der Strukturwandel gelingt. Dazu gehört mehr Transparenz, unter anderem zum Vergabeprozedere“, sagte Manuela Kohlbacher vom Verein Kreative Lausitz auf der 2. Konferenz „Reviertransfer Lausitz“ am 10. Juni, bei der sich die Lausitz-Kommission als Expertengremium im Strukturwandel vorstellte.
Derweil waren in Brandenburg die Werkstattprozesse der Wirtschaftsregion Lausitz (WRL), in deren Rahmen Ideen zum Strukturwandel zu förderfähigen Projekten qualifiziert werden, gestartet – und zwar am 2. Februar. Haben die am 10. Juni aufgeworfenen Fragen vor diesem Hintergrund inzwischen Antworten gefunden? „Wer entscheidet am Ende wirklich über die Fördermittel, wohin und warum sie fließen und was an Budget noch real zur Verfügung steht? Der Prozess, der ansteht, muss zudem nicht nur von der Zivilgesellschaft, sondern von allen Akteuren in der Region verstanden werden können. Was passiert gerade?“, fragte Manuela Kohlbacher bei der Konferenz.
Was gibt es zu verteilen?
Wer ist wer? Wer macht was?
Wie kommt man an Strukturwandelmittel?
Um mehr Transparenz zu erreichen, hat die WRL im Herbst Bürgerdialoge durchgeführt – sie sollen Auftakt für weitere Beteiligungsformate sein. Und weil das, was gerade passiert, ziemlich komplex ist, geht im Bürgerdialog erst einmal viel Zeit für umfängliche Information drauf. Heiko Jahn, Geschäftsführer der WRL, berichtete bislang an sechs Orten in der Brandenburgischen Lausitz über den Stand der Dinge. Der letzte Termin in diesem Jahr ist am 9. November in Forst, weitere sollen folgen. Ein knappes bis etwa drei Dutzend Besucher zählten die Veranstaltungen jeweils – und sie nutzten die Möglichkeit des Fragens und des Austausches unterschiedlich stark. In Luckau war das Publikum eher jung, aber zahlenmäßig klein, darunter waren Unternehmer, Vereinsverteter, Stadtverordnete. Am Ende konnten die Teilnehmer ihre Wünsche zu weiteren Runden im Dialog oder auf Fragebögen äußern. Denn wie man Bürgerbeteiligung zielführend umsetzt, dazu ist auch die WRL noch auf der Suche. Und so war für die aktuelle Veranstaltungsreihe die Erkenntnis erwachsen, dass man „einfach mal anfangen“ müsste, so Heiko Jahn.
Aus diesem Anfang, sagte der Geschäftsführer beim Bürgerdialog in Luckau, nehme er bereits konkrete Anregungen mit: nämlich auf die Schülersprecher als die künftig am stärksten vom Wandel betroffene Generation zuzugehen und Gesprächsrunden und Gremien vor Ort zu besuchen – und sie eben nicht selbst zu veranstalten. Denn in einem Bürgerdialog habe ein Teilnehmer gesagt, er wolle Bürger seines Ortes selbst zu so einer Runde einladen, Ideen sammeln und sie dem Bürgermeister vorlegen, erzählte Heiko Jahn und lobte: „Wenn es so läuft, ist die Gewähr, dass der Strukturwandel die Menschen erreicht, größer.“ Damit hat der Teilnehmer auf den Punkt gebracht, worum es geht: die Prozesse und Institutionen, die den Strukturwandel bewerkstelligen sollen, aktiv mit den Menschen zusammenzubringen, die ihn gestalten wollen und von ihm betroffen sind. Und das kann jeder, der Strukturwandel mitgestalten will.
„Wenn es so läuft, ist die Gewähr, dass der Strukturwandel die Menschen erreicht, größer.“
Heiko Jahn, Geschäftsführer WRL
Anhand des Luckauer Projektes „Unsichtbares 5G“ erläuterte Heiko Jahn, wie so ein Prozess von der Idee bis zur Befürwortung im Arm 1, also der Landesförderung, läuft. Die Idee: Der Mobilfunkstandard 5G soll in Luckau in Straßenlaternen eingesetzt werden und so mittels spezieller Scheiben schnelles Internet verfügbar machen, ohne dass große Mobilfunkmasten aufgestellt oder Glasfaserkabel bis in die hinterste Ecke im ländlichen Raum verlegt werden müssen. Mehrere kleine Antennen – das bedeutet weniger Strahlung und weniger Strom. Luckau ist dank des Aktionsprogramms „Modellvorhaben der Raumordnung“ (MORO) des Bundesverkehrsministeriums schon seit längerem Vorreiter in Sachen schnelles Internet. Da überrascht es kaum, dass sich Bürgermeister Gerald Lehmann auch um Strukturwandelgelder in diesem Bereich bemüht. „Das Projekt wurde vom Bürgermeister eingereicht, der schon vorab mit mehreren Menschen dazu gesprochen hatte“, berichtete Heiko Jahn. „Unsere Projektmanagerin in der Werkstatt für Digitalisierung hat es dann viele Monate bearbeitet, um es für den Werkstattprozess fit zu machen.“ Es seien noch viele Fragen zu klären gewesen. Nach einem dreiviertel Jahr hatte das Projekt schließlich die Reife, dass die Mitglieder der Werkstatt „Innovation und Digitalisierung“ das Projekt empfohlen haben. In der Werkstatt sitzt neben relevanten Landesministerien, der Digitalagentur Brandenburg, der BTU und weiteren Experten auch ein Vertreter der Lausitzrunde – sie alle befürworteten mit ihrem Votum also das Projekt für eine Förderung aus Strukturwandelmitteln.
Inzwischen hat auch die Interministerielle Arbeitsgruppe (Imag) zugestimmt und das Projekt 5G in Luckau für förderfähig erklärt. Nun beginnt das Antragsprozedere bei der Investitionsbank des Landes Brandenburg. Andere Projekte aus dem Landkreis, die diesen Prozess bereits durchlaufen haben und den Fördermittelantrag bei der ILB stellen können, sind
Insgesamt wurden brandenburgweit bisher 41 Projekte in drei Etappen von der Imag bestätigt. In Bearbeitung in Dahme-Spreewald sind derzeit
Wie die Projektideen in den Kommunen entwickelt werden, dazu hat Heiko Jahn im Laufe des Werkstattprozesses und seiner Gespräche vor Ort einigen Einblick erhalten. „Bei uns liegen über 500 Projektideen auf dem Tisch, darunter Kita- und Straßenbauten, Rathauserweiterungen und Kanalisation“, berichtete er in Luckau. Wenn das alles finanziert werden solle, bleibe jedoch für innovative Ideen nicht mehr viel übrig. „Wir haben nur jetzt die Chance den Wandel zu gestalten, deshalb habe ich mit den Einbringern gesprochen und gemeinsam nachgedacht, wie man sich besser positionieren kann.“ Klar ist: Es kann nicht überall eine Kita oder ein Gewerbegebiet gebaut werden. Wenn aber das Gewerbegebiet neben einer größeren zukunftsweisenden Ansiedlung geplant werde, dann mache das Ganze Sinn, so Heiko Jahn. Auch Wohnungs- oder Kitabau sei nur im Zusammenhang mit weiteren Investitionen denkbar. „Die Bürgermeister waren in den Gesprächen so einsichtig, wie ich es kaum für möglich gehalten hatte“, lobte er beim Bürgerdialog. Das Problem sei nun unter anderem, dass die Kapazitäten für die Entwicklung innovativer Ideen in den Kommunen kaum ausreichen. „Da scheitern einige Gemeindevertreter mit ihren Ideen an ihren Verwaltungen, die diese nicht auf den Weg bringen können.“ Deshalb unterstütze die WRL bei der Projektentwicklung, wie etwa beim Projekt 5G in Luckau, und stehe als Gesprächspartner vor Ort bereit. „Wir haben sieben Monate Werkstattprozess hinter und noch Jahre vor uns“, blickte Heiko Jahn voraus.
Die von Manuela Kohlbacher gestellte Frage danach, wer über die Mittelvergabe entscheidet, lässt sich also für den „Arm 1“ ganz einfach beantworten: die Gremien vor Ort. Immerhin 3,6 Milliarden stehen in diesem Bereich bis 2038 zur Verfügung – Geld, das die Entscheidungsträger vor Ort, also die Gemeindevertretungen und Verwaltungen, zielführend für den Strukturwandel einsetzen können oder eben nicht. Viel hängt offenbar von den Ideenfindungs- und Entscheidungsprozessen vor Ort ab. „Manche Bürgermeister machen den Strukturwandel zur Chefsache und bringen ihre Ideen ein, andere starten Beteiligungsprozesse vor Ort, in denen Vorschläge gemacht werden können, über die diskutiert wird“, berichtet Heiko Jahn ganz offen im Bürgerdialog. Manche Kommunen holten aber eben auch all die Vorhaben aus der Schublade, die bisher nicht finanzierbar waren. Es kommt im Strukturwandel also auch darauf an, wie die Kommunen konzeptionell aufgestellt sind: Welche Visionen gibt es bereits, wie werden neue Ansätze gefunden? Wie groß wird Bürgerbeteiligung geschrieben, und wie gelingt es, echte Beteiligung zu praktizieren? Wie transparent sind die Prozesse und wie stark hinterfragt die Bürgerschaft diese?
„Es besteht die Befürchtung, dass mit dem Begleitgremium eine zusätzliche bürokratische Entscheidungsebene im Landkreis geschaffen wird.“
Kreisarbeitsgemeinschaft LDS
Dabei gibt es regional verschiedene Ansätze. In Dahme-Spreewald wurde auf Vorschlag der Kreisverwaltung ein „Begleitgremium zur Findung, Entwicklung und Unterstützung von Projektideen im Zuge des Strukturwandels“ beschlossen. Es soll sich mit „der Entwicklung und Qualifizierung von Projekten im Landkreis“ beschäftigen, um die Unterstützung des Landkreises zu kommunalen Projekten zu sichern. Das Gremium soll einen Kriterienkatalog erarbeiten, „durch den eine standardisierte und qualifizierte Beurteilung der Projektideen vorgenommen werden kann“, heißt es in der Beschlussvorlage. Eine Mehrheit der Mitglieder der Kreisarbeitsgemeinschaft des Städte- und Gemeindebundes (also die Bürgermeister und Amtsdirektoren im Landkreis) lehnt die Beschlussvorlage in ihrer Zielrichtung ab. „Es besteht die Befürchtung, dass mit dem Begleitgremium eine zusätzliche bürokratische Entscheidungsebene im Landkreis geschaffen wird“, heißt es in der Stellungnahme. Die Qualifizierung von Projektideen solle im Werkstattprozess der WRL erfolgen. In einem zusätzlichen Begleitgremium könne die Kreisarbeitsgemeinschaft daher keinen Mehrwert erkennen. Zwingend ist die Einbeziehung des Gremiums indes nicht, wie Landkreis-Pressesprecherin Kathrin Veh mitteilt: „Eine Vorab-Einreichung von Projektskizzen an das Gremium vor einem Versand an die WRL ist nicht erforderlich“. Das Gremium sei ein Arbeitsgremium der Verwaltung und tage daher nichtöffentlich. Bisher habe es zwei Beratungen gegeben. Welche Wirkung das Gremium auf diese Art entfaltet, ist vor diesem Hintergrund schwer nachzuvollziehen. Die WRL hat derweil auf Kritik an der Transparenz der Werkstattprozesse reagiert und veröffentlicht seit dem Sommer Protokolle der Werkstattsitzungen.
Wenn schon das Wie der Beteiligung und Ideenfindung auf Gremienebene so unterschiedlich diskutiert und umgesetzt wird, wie kann dann Beteiligung der Bürgerschaft einfach werden? Kann auf einen Bierdeckel passen, was hier passiert? Das zumindest fordern die Teilnehmer der Konferenz „Reviertransfer Lausitz“. Sie halten ein Monitoring vor Ort für unabdingbar: Konsequenzen von Entscheidungen der EU und des Bundes in der Region sollen „an die Politik“ gespiegelt werden, die Transparenz der Wirtschafts- und Klimapolitik und ein besseres Verständnis der Strukturstärkungsmaßnahmen bei Bürgerinnen und Bürger sollen gewährleistet werden. „Das Monitoring soll aus der Sicht der kernbetroffenen Kommunen erfolgen und für die Menschen einfach und verständlich quasi ‚auf einen Bierdeckel‘ passen“, heißt es in einer abschließenden Mitteilung.
„Das Monitoring soll aus der Sicht der kernbetroffenen Kommunen erfolgen und für die Menschen einfach und verständlich quasi ‚auf einen Bierdeckel‘ passen.“
Konferenz „Reviertransfer Lausitz“
Man ahnt, dass es kompliziert wird mit der Bürgerbeteiligung. „Wie können wir die politische Ebene verlassen und die Zivilgesellschaft stärker einbeziehen?“, fragte Heiko Jahn denn auch zu Beginn seiner Präsentation in Luckau. „Sollen wir Bürgerräte über eine Zufallsauswahl per Telefonbuch einrichten?“ Bevor zu lange über solche Fragen debattiert wurde, habe die WRL einfach zu den Bürgerdialogen eingeladen – und diese mit der Frage „Machen wir überhaupt das Richtige?“ überschrieben. „Die Ergebnisse werden wir gemeinsam mit der Bürgerregion Lausitz auswerten, um weitere Schritte zu gehen“, kündigte Heiko Jahn an. Die Bürgerregion ist ein Zusammenschluss verschiedener Akteure der Zivilgesellschaft in der Lausitz, die sich gemeinsam Gehör verschaffen und als Netzwerkstelle und Wissenspool fungieren wollen. Dass die Bürgerregion in der Werkstatt Nr. 5 „Kultur, Kreativwirtschaft, Tourismus, Marketing“ vertreten ist, dürfte ein erster Erfolg sein. Nun komme es darauf, sagt der stellvertretende Vorsitzende Günter Thiele, ob die Bürgerbeteiligung künftig finanziert werde. „Wir sind derzeit im Ehrenamt unterwegs, wir haben Wege geschaffen, aber nun brauchen wir Qualität in der Beteiligung“, sagt er und wiederholt damit eines der wesentlichen Ergebnisse der Gründungsveranstaltung der Bürgerregion vor einem Jahr: Beteiligung brauche hauptamtliche Strukturen – und damit Geld. Geld ist derweil reichlich in Vorab-Strategien und Beteiligungen geflossen, etwa in die Lausitz-Strategie 2050, deren Abschlusspräsentation Heiko Jahn derzeit vorbereitet, oder in die Kulturstrategie und den Kulturplan Lausitz, der am 3. November in Cottbus präsentiert wird. Manche Akteure vor Ort bezeichnen sie als Scheinprozesse, indes wurden Lausitzer in aufwändigen Prozessen online und offline darin eingebunden.
Die Beteiligung am Strukturwandel hängt eben nicht nur an der Frage, wer sie für die Lausitz organisiert, sondern wie das konkrete politische Leben vor Ort stattfindet – und das unternehmerische. Denn im Bundesmodellvorhaben „Unternehmen Revier“ sowie in der Förderrichtlinie „STARK“ können Unternehmen direkt an Strukturmittelgelder gelangen. Auch hier werden Bürger beteiligt – und zwar in Gestalt von Unternehmern, die ihre eigenen Ideen einbringen, qualifizieren und fördern lassen können. Bislang werden über „Unternehmen Revier“ im Landkreis Dahme-Spreewald die folgenden Projekte gefördert:
Beteiligung am Strukturwandel ist also so vielfältig wie die Ideen, die es für die Region gibt oder die noch geboren werden. Es kommt ebenso auf lokale politische Strukturen an wie auf ein kreatives Unternehmertum und die lokale sowie lausitz-weite Zivilgesellschaft. Dabei stellt die erste Stufe der Beteiligung nach wie vor gute Information dar. Erst wer gut informiert ist, kann Ideen entwickeln, Wünsche adressieren und sich Gehör verschaffen. Also bleibt eines wichtig im Strukturwandelprozess: reden, reden, reden.
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