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Bildreicher Alltag – Alleinerziehende im Fokus

Die Pandemie hat viele Menschen vor enorme Herausforderungen gestellt. Dabei gibt es Gruppen, die oft aus dem Fokus herausfallen – zum Beispiel Alleinerziehende. In Dahme-Spreewald kann man sich davon ein ganz besonderes Bild machen.

 

Von Dörthe Ziemer

 

Auf die Frage, mit wem sie im vergangenen Jahr gern getauscht hätten – vielleicht mit Robinson Crusoe? – haben die vier Damen eine eindeutige Antwort: mit niemandem. „Es war ok, so, wie es war. Wir haben das Beste daraus gemacht“, sagt Birgit Uhlworm, Geschäftsführerin des SHIA e.V. (Selbsthilfegruppen Alleinerziehender, Landesverband Brandenburg). Gemeinsam mit der Schulzendorfer Künstlerin Susanne Thäsler-Wollenberg hat sie ein überraschendes Foto-Projekt für Alleinerziehende auf die Beine gestellt, an dem Angelika Schneider und Kathrin Pechhold und zehn weitere Frauen teilgenommen haben.


Das Projekt Halbe.Welt.Ganzes.Leben lief im Winterhalbjahr und wird nun bis 19. Juni in einer Ausstellung in den Kulturbahnhöfen Halbe präsentiert. Der Wokreisel hat mit den vier Damen gesprochen - über besondere Herausforderungen während der Corona-Pandemie, über das Gehört-werden und das Sich-Gehör-verschaffen und wie relevant Kunst in unserem Alltag ist.

 

Ein anstrengendes Pandemie-Jahr liegt hinter uns allen. Worin lagen für Sie als Alleinerziehende die besonderen Herausforderungen?

 

Angelika: Ich habe nach 28 Jahren meinen Job beendet! Auch die allererste Phase der Schulschließungen war herausfordernd: Ich musste mich in viele Themen des Schulstoffes vom Gymnasium einarbeiten. Das allein zu managen, ist herausfordernd. Diese Erfahrung war gigantisch, denn zugleich passieren bei meinem Kind so viele Dinge, jetzt, kurz vor der Pubertät. Wir sind in dieser Zeit viel ins Gespräch gekommen. Unser Kontakt zueinander wurde dadurch noch besser, enger und verlässlicher. Und wir sind auch kämpferischer geworden – es geht immer weiter!

 

Kathrin: Gottseidank ist mein Sohn schon älter! Aber durch meine Arbeit im Shia-Büro habe ich eine Vorstellung davon, was die Alleinerziehenden mit jüngeren Kindern zu bewältigen hatten. Da möchte ich nicht tauschen. Das ist eine echte Herausforderung, in die ich mich gut hineinversetzen kann.

 

Birgit: Das Leben der Alleinerziehenden ist immer eine Herausforderung. Wir als Verband hatten schon viele Herausforderungen. Deshalb würde ich sagen, dass die Pandemie kein Höhepunkt war, sondern eine ganz besondere Herausforderung. Die Alleinerziehenden waren schon vor der Pandemie die Gruppe mit der höchsten Armutsgefährdung, die mit den geringsten Zeitressourcen und die, die es am schwersten auf dem Arbeitsmarkt haben. Das wurde durch die Pandemie verstärkt – sie hat wie ein Brennglas die existierenden Ungerechtigkeiten sichtbar gemacht.
Trotzdem konnten viele der Situation auch etwas Positives abgewinnen, gerade im ersten Lockdown. Viele sagten, es wäre die entspannendste Zeit gewesen, die sie je hatten. Ein Großteil der Alleinerziehenden versucht immer, das Beste aus einer Situation zu machen. Wir als Geschäftsstelle des SHIA e.V. waren jederzeit ansprechbar und haben mit Abstand und Maske versucht, nichts abbrechen zu lassen.

 

Foto von Angelika Schneider.

 

Welche Möglichkeiten der Unterstützung hatten Sie als Verein?

 

Birgit: Seit Gründung unseres Verbandes vor 30 Jahren sind unsere Ziele: Stärkung der Alleinerziehenden, Gleichstellung, Chancengleichheit – jeder und jedem Alleinerziehenden das zu geben, was sie brauchen: Da gibt es Familien, in denen die 14-Jährigen allein ohne PC im Homeschooling sitzen. Wir konnten mithilfe von Spendengeldern Laptops ausgeben. Wir vermitteln Familienbildungsurlaub – eine Auszeit bei gleichzeitiger Wissensaneignung.

Wir bieten Unterstützung bei Antragstellungen verschiedenster Art und bei der Akquise von Hilfen. Wir haben einen Wohnwagen am Helene-See, den wir an Alleinerziehende und ihre Familien vergeben können. Die Möglichkeiten sind so bunt wie das Leben – und was wir selbst nicht anbieten können, versuchen wir über unser Netzwerk zu vermitteln.

 

Wie ist es Ihnen gelungen, sich in dieser Zeit politisches Gehör zu verschaffen? Man hatte zuweilen den Eindruck, dass nur die Lautesten gehört werden…

 

Birgit: Das war in der Tat schwierig. Wir haben gemeinsam mit anderen Familienverbänden versucht, unsere Forderungen zu artikulieren, es gab viele Online-Formate zum Austauschen. Aber Familien haben keine Lobby. Wir haben gesagt: Familie ist systemrelevant, aber das will keiner hören. Und innerhalb der Gruppe der Familien haben Alleinerziehende nochmal weniger Lobby. Ich war im Sozialausschuss des Landtages und habe dort die Situation dargestellt. Aber es blieb das Gefühl, dass wir zwar gehört werden, dies jedoch nicht zum Anlass genommen wird, etwas zu ändern.
So hatten wir gefordert, dass der Kinderbonus der Bundesregierung nicht auf den Unterhalt angerechnet wird. Doch es wurde vom laufenden Unterhalt im Mai abgezogen. Das ist ein Skandal. Viele Ausgaben, die es jetzt zusätzlich gab, wurden nicht übernommen. Dass durch neue Maßnahmen den Alleinerziehenden am Ende mehr Geld zur Verfügung steht, ist eine Seltenheit. So hat die Bundesregierung zwar den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende in der Steuerklasse 2 erhöht, das führte jedoch dazu, dass sie weniger Wohngeld bekommen haben. Diese Schnittstellenproblematik – welche Maßnahme wirkt sich wie auf andere Leistungen aus? – wird häufig nicht mitgedacht.

 

Eine ganz besondere Form der Unterstützung gab es durch das Fotoprojekt Halbe.Welt.Ganzes.Leben. Wie ist das Projekt entstanden?

 

Susanne: Am Anfang stand eigentlich das Jahresthema von Kulturland Brandenburg: Industriekultur. Ich hatte dazu ein Fotoprojekt geplant und habe einen Trägerverein gesucht. So ist der Kontakt zu SHIA entstanden. Die Grundüberlegung ist eine naheliegende: Wie gehen wir mit Alltagsgegenständen um – in einer Welt, in der wir täglich mit von der Industrie produzierten Gegenständen umgeben sind? Wie machen das Menschen mit wenig Zeit – einkaufen, benutzen, wegwerfen? Das wollten wir mit der Kamera erforschen: Wir wollten nicht einfach nur schöne Bilder machen, sondern das Ganze als Forschungsprojekt verstehen. Wir hatten zwölf Teilnehmerinnen und vier betreuende Künstlerinnen.

 

Foto von Angelika Schneider.

 

Das ist dann auf Pandemie-typische Art und Weise umgesetzt worden – ausschließlich online…

 

Susanne: Ja, eigentlich hatten wir auch Treffen in Präsenz geplant, aber es kam so, dass wir uns in der Arbeitsphase ausschließlich online getroffen haben. Gerade das war als Arbeitsform sehr positiv – es ist flexibler und wir Künstler konnten jede einzelne Teilnehmerin gut betreuen. Per WhatsApp und Telefon war ein unglaublich konzentriertes Arbeiten möglich. Ich habe in kurzer Zeit viel von den Arbeiten gesehen und vieles dazu besprochen. Mich persönlich haben die Bilder sehr beschäftigt, sie bieten viel Futter zum Nachdenken und zur Interaktion. Ich denke heute noch an bestimmte Bilder, weil sie mich emotional und intellektuell herausfordern, sodass ich sie noch mehr durchdringen möchte.

 

Warum haben Sie an dem Projekt teilgenommen? Was hat Sie besonders angesprochen?

 

Angelika: Ich habe den Aufruf auf der Plattform nebenan.de gelesen, eher so nebenbei. Ich wollte schon immer Fotografieren lernen, habe aber gar keine Kamera. Die Möglichkeit mit dem Handy zu arbeiten, fand ich dann sehr interessant. Beim Erstkontakt war ich ganz aufgeregt. Ich war gerade zwei Monate ohne Arbeit, und so wurde es ein toller Start ins Jahr mit einer neuen Herausforderung. Das Projekt war sehr spielerisch, wir hatten einen tollen Austausch. Immer freitags trafen wir uns auf Zuruf zur Besprechung unserer Arbeiten, da wurde dann auch immer eine Wochenaufgabe gestellt. Die war ohne Druck umsetzbar, es hat sich super gut angefühlt, daran zu arbeiten. Ich habe viel darüber nachgedacht, was ich da fotografiere. Und ich habe viele Menschen in meinem Umfeld inspiriert ebenfalls zu fotografieren.

 

Kathrin: Ich habe auch vorher wenig fotografiert, habe keinen Fotoapparat. Das Projekt hat mich interessiert, weil es leicht umsetzbar ist und zeitlich leicht zu planen. Ich dachte bei Industriefotografie zunächst an was ganz anderes. Im Laufe des Projektes war ich überrascht, wie vielfältig das sein kann. Es hat Spaß gemacht, die Entwicklung von Woche zu Woche mitzubekommen. Die Unterschiedlichkeit der Teilnehmerinnen hat sich in ihren Fotos ausgedrückt. Es kamen nie gleiche Ergebnisse heraus. Jede hat sich auf das jeweilige Thema gestürzt und sich auf eine Richtung festgelegt. Dabei gab es nie Druck. Ich wusste aus Erfahrung: Unter Druck kann ich nicht gut arbeiten, denn das Leben schreibt seinen eigenen Zeitplan – gerade bei Alleinerziehenden.

 

Birgit: Als diejenige, die das Projekt als Träger mitverfolgt hat, möchte ich ergänzen, dass für mich ein Bild aus vielen Mosaiksteinchen entstanden ist. Jede hat das, was sie gut kann, eingebracht. Es war eine tolle Teamarbeit, wobei die verschiedenen organisatorischen Anforderungen gut umgesetzt wurden: Von der Idee über den Zuwendungsantrag bis zur Akquise der Eigenmittel (1.600 Euro Spenden einzusammeln – das war nicht einfach). Wir konnten ein kostenfreies und damit niedrigschwelliges Angebot machen und haben für die Ausstellung einen schönen Raum gefunden.

Während des Projekts wurde noch die Idee entwickelt, dass Porträts von allen angefertigt werden – als Geschenk und Erinnerung. Alleinerziehende haben selten Geld, das sie für ein schönes Bild von sich ausgeben würden. Wir als SHIA haben den Kontakt zum Landrat hergestellt, der die Schirmherrschaft übernommen hat. Und der Kulturdezernent und die Kulturausschussvorsitzende kamen zur Vernissage – so kamen verschiedene gesellschaftliche Bereiche in Kontakt, um sich gegenseitig zu befruchten.

 

Wie hat das Projekt in Ihren Alltag hineingewirkt?

 

Kathrin: Ich habe mir immer ein bestimmtes Zeitfenster gesucht und zwei bis drei Stunden am Stück fotografiert. Bei Suche nach Objekten wurde ich immer kreativer – das waren dann Dinge, die mir vorher nicht aufgefallen sind: Wäscheklammern, Wassergläser, eben Dinge, die man täglich benutzt. Wenn ich mit Cappuccino und Würstchen in der Mittagspause im Schatten saß, habe ich wiederum Entdeckungen gemacht, die ich sonst nicht gesehen hätte. Mein Blick hat sich verändert.

 

Angelika: Ich habe mir nicht wirklich eine Zeit gesetzt. Ich habe so fotografiert, wie und wann ich die Objekte gesehen habe, wie ich Lust hatte. Manchmal war es abends. Ich mag Licht, deshalb standen wohl Lampen oft im Mittelpunkt, und Abendstimmung, Gardinen, Schatten. Damit habe ich mich viel beschäftigt. Eine Extra-Aufgabe war es, Buchstaben zu fotografieren. Als ich dafür unterwegs war, ist mein Sohn mitgekommen. Das war ein tolles, schönes Erlebnis.

 

Kathrin: Ich hatte auch solche Erlebnisse mit meinem Sohn. Er hat viele Vorschläge gemacht. Das war witzig. So sind tolle Sachen entstanden.

 

Was macht Kunst im Alltag mit uns? Was löst sie bei Menschen aus, die nicht so oft künstlerisch tätig werden?

 

Susanne: Ein Leben ohne Kunst ist nicht vorstellbar. Sie bietet die Möglichkeit zur ständigen Reflexion – das war auch für die Teilnehmerinnen wichtig. Wenn man ein Bild macht, hat man etwas ganz Bestimmtes gesehen, was ausdrückt: Das bin ich. Auch wenn das Zufälle sind, steckt eine Haltung, eine Befindlichkeit dahinter. Es gibt nichts Direkteres als das Kamera-Auge. Mich hat es fasziniert, diesen Prozess zu beobachten. Alle haben sich darauf eingelassen, das war eine Explosion von Kreativität und sehr bereichernd.
Künstlerische Arbeit stellt immer einen Kommunikationsanlass her. Für viele ist dies ein Weg, sich selbst und seine Umwelt kennen zu lernen. Wir haben lange Gespräche geführt darüber, was es bedeutet, wenn man seine Kaffeetasse fotografiert oder wenn man mal nach oben schaut. Zum Beispiel der Kronleuchter mit den Spinnenwebe: Ich selbst schaue auch oft in solche Bereiche, würde sie aber nie festhalten. Dass die Teilnehmerin aber genau dieses Bild eingefangen hat, drückt so viel aus davon, sich eben immer kümmern zu müssen.

 

Zur Vernissage Mitte Mai haben Sie sich dann fast alle vor Ort getroffen. Wie hat das Publikum die Ausstellung wahrgenommen, was haben Sie aus den Gesprächen mitgenommen?

 

Susanne: Es kamen viele Gäste, die selbst viel fotografieren. Sie hatten teils sehr überraschende Eindrücke. Denn in den Foto-Communitys gibt es viele versierte Fotografen und Bilder, aber vieles wiederholt sich, vieles ist schon totfotografiert. Neue Bilder zu finden ist eine Kunst – das entsteht nur, wenn man bei sich selbst ist. Dazu braucht man manchmal einen Anstoß, wie ihn das Projekt geboten hat.

 

Birgit: Es war die erste Ausstellungseröffnung nach der Zeit der Schließungen. Es war die Freude aller zu spüren, dass sie Teil der Vernissage waren, sie kamen ja teilweise von weiter her. Es war schön, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, darüber, warum sie da sind. Mir war es wichtig, mich hinter die Alleinerziehenden zu stellen, damit ihnen Wertschätzung zuteilwird, dass sie wahrgenommen werden. Was sie leisten, wird oft nicht wertgeschätzt, sie müssen funktionieren.

Es gab vor Ort dann auch die Ansicht, dass Alleinerziehende sonst nicht so viel mit Kunst zu tun hätten – das ist so ein unterschwelliges Vorurteil. Das Bild von Alleinerziehenden, was andere in den Köpfen haben, ist häufig defizitorientiert. Tatsächlich ist es jedoch vielfältiger, als Alleinerziehende vielleicht selbst wahrnehmen. So konnten wir mit dem Projekt zeigen, welche Kreativität, welche Kompetenzen und welchen Mut Alleinerziehende haben. Sie sind ein volkswirtschaftlicher Schatz, den es zu heben gilt. Sie sind tolle Frauen und Männer, die bestimmte Rahmenbedingungen brauchen, damit sie ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten gut entfalten können.

 

Foto von Kathrin Pechhold.

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Veröffentlichung

Do, 03. Juni 2021

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