"Betriebssystem für Macher vor Ort"

Es rumort in der kommunalen Familie und im Kreistag. Wie blickt Landrat Stephan Loge kurz vor dem Ende seiner 16jährigen Amtszeit auf die Debatten, auf das weiter rasante Wachstum der Kommunen und die SPD an der Spitze des Kreises?


Von Dörthe Ziemer


Er sehe “große Probleme, die kommunale Familie zusammenhalten”, sagte Dahme-Spreewalds Landrat Stephan Loge (SPD) kürzlich in der Jahrespressekonferenz. Und: „Ich beneide den Kreistag nicht um die Entscheidungen, die nun zu treffen sind.“ Er blickte damit voraus auf die Abstimmung zum Doppelhaushalt 2023/24 Mitte Januar, aber auch auf die Diskussionen über die Oberschulplätze im Landkreis und die Kreisumlage, die noch bevorstehen. Beide bedingen einander und werden kontrovers geführt, nicht nur im Kreistag, sondern auch zwischen Kommunen und Landkreis. 
Wie blickt Stephan Loge, für den das letzte Jahr seiner Amtszeit begonnen hat, auf die Debatten? Was macht für ihn die kommunale Familie aus und was hat sich in den vergangenen Jahren verändert? Er sieht, sagt er, die Funktion des Landrates nicht als Monopol, sondern innerhalb der kommunalen Hierarchien als eine “Art Betriebssystem, als Basis für die Macher vor Ort”.


Stichworte Oberschulen, Kita-Plätze, Kreishaushalt oder Kreisumlage – die kommunalpolitischen Debatten im Landkreis sind zurzeit von schwierigen Auseinandersetzungen geprägt. Seit wann nehmen Sie dies so wahr?
So intensiv nehme ich das seit der letzten Kommunalwahl wahr. Damals wurde rund ein Drittel der Abgeordneten neu in den Kreistag gewählt. Mit den zahlreichen Nachrückern ist es nun rund die Hälfte. Es gibt eine große Fluktuation. Da haben wir als Verwaltung gut zu tun, die Prozesse zu erläutern.
Hinzu kommt, dass wir gerade in den Sozialen Medien vermehrt Hetze statt Auseinandersetzung beobachten. Das führt dazu, dass sich viele Menschen gar nicht mehr politisch engagieren wollen. Normalerweise war das Mandat als Kreistagsabgeordneter früher ein sehr umworbenes Ehrenamt. 

 

Nach meinem Eindruck fehlen heute oft die Mitverantwortung für andere und das Verständnis für die Komplexität der vor uns liegenden Probleme. 


Bringen die Kommunalpolitiker heute andere Voraussetzungen mit als vor zehn, zwanzig Jahren? Wenn ja, worin bestehen Unterschiede?
In den ersten Jahren des Bestehens unseres Landkreises gab es bei allen Auseinandersetzungen doch auch ein großes Bedürfnis nach Harmonie. Es war eine Kultur auf einer Ebene - die Gemeinden und der Landkreis gemeinsam. Es gab die Motivation, eine kommunale Familie zu sein.
Bevor ich in den Landkreis Dahme-Spreewald kam, hatte ich kommunalpolitische Erfahrungen in Sachsen gesammelt, wo “König Kurt” (Kurt Biedenkopf) regierte. Da haben wir aus den Kommunen eher nach oben geschaut und dort die Schuldigen oder Wohltäter gesucht. Wir haben die eigene Verantwortung nach oben delegiert. Als ich dann im Jahr 2002 herkam, war ich ganz angetan von der Freiheit und der Transparenz, die hier herrschten. Das war ein anderes Miteinander, geprägt von gegenseitiger Wertschätzung.
Heute hat das Grundverständnis für die Kompromisssuche abgenommen. Auch die Kultur des Miteinanders ist oft eine andere geworden: Bei vielen Menschen ist die Zeit knapp, es werden keine Strategien mehr gesucht, sondern viele versuchen ihre  Rolle geltend zu machen. Nach meinem Eindruck fehlen heute oft die Mitverantwortung für andere und das Verständnis für die Komplexität der vor uns liegenden Probleme. 
Manchen fehlt auch einfach das Handwerkszeug. Beispiel Haushalt: Unser Kämmerer war in jeder Fraktion, in jedem Ausschuss, um den Haushalt vorzustellen und zu besprechen. Aber die Änderungsanträge kamen in der letzten Sitzung. Eigentlich ist man das ganze Jahr über an den Themen dran, und wenn es Mehrheiten dafür gibt, geht das weiter an die Verwaltung, die das in den Haushalt aufnimmt - und nicht erst am Jahresende.


Immer mehr Kommunalpolitiker sind parteilos, was von vielen Wählerinnen und Wählern geschätzt und honoriert wird. Welche Rolle spielt aus Ihrer Sicht die vorhandene oder nicht vorhandene Parteibindung in der politischen Arbeit?
Zuletzt konnten wir ein ganz ähnliches Auftreten der kleineren Fraktionen beobachten. Da frage ich mich: Sind das kategorische Herangehensweisen? Scheut man Kompromisse? Ich denke, man muss doch auch einstecken können in einer Demokratie, nicht nur austeilen. Ich mache die Beobachtung, dass das ins Wanken gerät. Das wäre schlimm, denn dann gäbe es keinen allgemeinen Interessenausgleich mehr. Es gibt in der Kommunalpolitik keine roten, grünen oder schwarzen Schlaglöcher, sondern alle müssen repariert werden.
Einen gewissen Anteil daran, wie Kommunalpolitiker arbeiten, haben auch die parteinahen Bildungseinrichtungen und Stiftungen. Da hat die SPD die Ebert-Stiftung, die CDU die Adenauer-Stiftung, die Grünen die Boell-Stiftung, die FDP die Naumann-Stiftung, die AfD die Erasmus-Stiftung und die Linken die Luxemburg-Stiftung. Dort kann man viele Schulungen mitmachen. 

 

 Es gibt in der Kommunalpolitik keine roten, grünen oder schwarzen Schlaglöcher, sondern alle müssen repariert werden.


Jetzt im Landratswahlkampf kristallisiert sich eine Sichtweise heraus, nach der die jahrzehntelange „SPD-Herrschaft“ im Landkreis beendet werden müsse. Was könnten Gründe für diese Sichtweise sein? Worin sehen Sie Versäumnisse der SPD in der Kreispolitik?
Ich glaube, den Menschen geht es nicht um die Partei, sondern ob Verlässlichkeit sichtbar ist. Bei meinem ersten Amtsantritt als Landrat wurde ich noch vom Kreistag gewählt. Danach gab es die Direktwahl, bei der ich im ersten Wahlgang gewählt wurde. Da offenbarte sich die Brandenburger Mentalität: Verlässlichkeit, Stetigkeit, Geradlinigkeit sind gefragt - egal, welche Partei dahintersteckt. 
Aber ja, in Maßnahmen wie der kostenlosen Schülerbeförderung oder der Bezuschussung zum Schulessen wird auch aktive Sozialpolitik als politische Ausrichtung sichtbar. 
Aber ich habe die Funktion des Landrates nie als Monopol gesehen. Ich spreche lieber von uns, weil ich uns in den kommunalen Hierarchien “Gemeinsam Seite an Seite“ sehe. Als eine Art Betriebssystem, als Basis für die Macher vor Ort. 


Trotzdem wird auch immer wieder das Gefüge SPD kritisiert, einige sprechen sogar vom Filz, der sich bei manchen Entscheidungen offenbare…
Ja, ich selbst werde immer wieder in den Fokus gestellt. Ich sehe das eher so: Wenn jemand seinen Willen nicht durchgesetzt bekommt, weil er keine allgemeine Zustimmung findet, kommt er mit solchen Argumenten. Vielleicht haben auch manche Menschen frühere Zeiten so geliebt, als es nur eine bestimmende Meinung gab, dass sie immer noch so verklärt denken.
Meine KollegInnen in der Verwaltung und ich als untere Aufsichtsbehörde des Landes sind nie von parteipolitischer Ausrichtung geleitet. Es gibt auch keine Sonderbehandlung für mich oder andere SPD-Mandatsträger. Als Landrat sehe ich mich beispielsweise immer wieder von anonymen Klagen unbegründet überzogen. Das geht genauso lange durch die Mühlen der Justiz wie bei jedem anderen.
Und es gibt auch Auseinandersetzungen innerhalb der Partei bis in die Landesebenen, z.B. bei der damaligen Kreisgebietsreform oder in Bezug auf die Lausitz. Da widerspreche ich natürlich auch manchen Sichtweisen, die ich für falsch halte. 


Zurück zum derzeit kritischsten Thema, zu den Oberschulen: Muss „gelebte Praxis“, wie Sie immer sagen, also die Trägerschaft der Oberschulen durch die Kommunen, künftig detailliert festgeschrieben werden?
Es galt lange der Konsens: Die Kommunen kümmern sich um ihre Oberschulen, und der Kreis hält die Kreisumlage niedrig. Aus den Anfangsjahren haben wir das im Vertrauen so weiter geführt. Daran gab es früher nie Zweifel. 2017/18 gab es dann in den Rathäusern einige Neubesetzungen. Nun scheint dieser Konsens aufgekündigt zu sein. Ich würde meiner Nachfolge daher empfehlen, künftig Verträge zu solchen Themen zu erarbeiten. Es gibt andere Landkreise, die so etwas haben.

 

Viele dienstältere Abgeordnete haben gesagt: Sowas haben sie noch nicht erlebt.

 
Die Debatte um die Oberschulen war einerseits geprägt von der Forderung seitens einiger Nordkommunen, der Landkreis müsse eine Oberschule bauen, und andererseits von der Kommunikation seitens der Kreisverwaltung, welcher Entscheidungsprozess im Kreistag dahinterstecke. Von den ersten Forderungen bis zum Antrag der Linken- und Grünenfraktion an den Kreistag verging viel Zeit. Fehlte es hier aus Ihrer Sicht an Kommunikation, an Wissen um Entscheidungsprozesse oder am Zuhören?
Als Landkreis stecken wir klar in der Verantwortung für weiterführende Schulen mit drin. Die aktuelle Schulentwicklungsplanung haben wir in engster Zusammenarbeit mit den Kommunen erstellt. Darin ist der Bedarf im Norden deutlich beschrieben. Als die Meinung einiger  Nordkommunen deutlich wurde, dass man den Kreis in der Pflicht sieht, gab es unsererseits eine neue Abfrage an die Kommunen: Wie sehen sie das mit den Oberschulen, welche Pläne verfolgen sie zu den weiterführenden Schulen? 
Im September gingen die letzten Antworten ein. Seitdem hatten wir Klarheit und haben dann geprüft, woher die Kapazitäten kommen können. Die Gemeinde Heidesee hat gesagt, dass sie die Oberschule in Friedersdorf selbst neu einrichten will. Auch Königs Wusterhausen hat deutlich gemacht, die Stadt wolle sich selbst darum kümmern, die Kapazitäten an der jetzigen Gesamtschule zu erweitern. In Groß Köris entsteht auch eine weiterführende Ausbildung.
Für die ZEWS-Gemeinden (Zeuthen, Eichwalde, Wildau, Schulzendorf) sieht es so aus, dass die Gesamtschule in Zeuthen im Ergebnis der damaligen Schulschließungen (u.a. in Schulzendorf) erweitert wurde. Dort konzentrierte sich fortan alles. Sehr viele Schülerinnen und Schüler kommen heute nicht aus ZEWS. Allein rund 100 kommen aus Königs Wusterhausen. Wenn es gelingt, diese Schüler wieder in Wohnortnähe bedarfsgerecht zu beschulen, dann sollten die S-Bahn-Gemeinden abgedeckt sein. 
Der größte Fehlbedarf macht sich in Schönefeld bemerkbar. Eine Oberschule in kommunaler Trägerschaft gibt es bereits. Doch der Bürgermeister hat die Erweiterung und den Neubau einer weiteren Oberschule abgelehnt. Juristisch hat er wohl Recht. Bedeutet das auch den Übergang der Trägerschaft für die jetzige Oberschule auf den Landkreis? Für einen Neubau eilt die Zeit gar nicht so sehr, denn das Baufeld Nord befindet sich gerade in der städtebaulichen Planung. Baubeginn kann daher frühestens in einigen Jahren sein. Dabei könnte ein städtebaulicher Vertrag mit dem Investor abgeschlossen werden - mit einer Verpflichtung zum Schulbau.
Abwegig ist es hingegen, den Schulbau schon im Haushalt verankert sehen zu wollen, wenn es noch nicht mal einen festgelegten Ort geschweige denn ein Baufeld gibt. Diese Forderung hat nicht nur mich überrascht. Viele dienstältere Abgeordnete haben gesagt: Sowas haben sie noch nicht erlebt. Der Antrag geht ja jetzt erst regulär in die Fachausschüsse. 


Bei vielen der diskutierten Themen spielt das Thema Wachstum eine wichtige Rolle. Dieses beschäftigt den Landkreis zwar schon lange, nimmt aber jetzt kritische Ausmaße an. Gibt es Versäumnisse aufseiten der Kommunen bzw. des Landkreises, das Wachstum zu meistern, z.B. im Bereich Infrastruktur?
Es wurde im Norden viel gebaut. Was man vernachlässigt hat zu betrachten: dass im Altbestand viele ältere Menschen lebten, in deren Wohnungen später junge Familien zogen. Hier hat man versäumt, die Infrastruktur zum Wachstum zeitgerecht zu planen, besonders neu entstandene Siedlungsgebiete wurden dabei zu wenig berücksichtigt.
Früher mussten wir mit den notwendigen Schulschließungen die Kommunen in ihrer Selbstverwaltung dämpfen - bis hin zur Demütigung. Heute könnten sie ihre Schulen selbst führen - und gerade damit gute und schöne Dinge für ihre Einwohner selbst gestalten. Ein Großteil der Kommunen schätzt diese eigenen Gestaltungsräume.

 

Bei der abgesagten Kreisgebietsreform konnte man übrigens gut beobachten, wie sich die SPD zerlegt hat.


Die Kreisverwaltung hat häufig eine Mittlerposition zwischen Land und Kommunen inne. Schon seit längerem erschienen vielen Kommunen die Bevölkerungsprognosen der Landesregierung unrealistisch bzw. unaktuell. Hätte der Landkreis hier stärker vermitteln müssen, um die Intensität des Wachstums rechtzeitig bewusst zu machen?
Bei der aktuellen Schulentwicklungsplanung haben wir das gemacht. Bei der vorherigen waren wir noch gutgläubig. Man muss ja auch Erfahrungen machen dürfen. 
Bei der abgesagten Kreisgebietsreform konnte man übrigens gut beobachten, wie sich die SPD zerlegt hat. Wir haben uns im LDS damals die Mühe gemacht, die Wachstumszahlen des Landesamtes für Statistik zu korrigieren. Wir haben die Meldeämter abgefragt nach dem aktuellen und den beiden Vorjahren. In der Trendberechnung haben wir gesehen, dass die Zahlen nicht stimmen können. Daraufhin habe ich persönlich mit dem Leiter des Landesamtes für Statistik gesprochen. Der Staatskanzlei konnten wir dann beweisen, dass der Landkreis Dahme-Spreewald lange vor 2025 die relevante Einwohner-Schwelle überschreitet, bis zu der Kreise hätten fusionieren müssen. Irgendwann wurde die Kreisgebietsreform dann abgesagt.

 

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Veröffentlichung

Do, 02. Februar 2023

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