Plan gegen Hitze… Dringend gesucht!

Die Zahl der Hitzetage in Dahme-Spreewald hat sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte verdoppelt. Bei hitzebedingten Krankenhauseinweisungen liegt der Kreis deutschlandweit auf Platz 26. Doch in Dahme-Spreewald, wie fast überall in Deutschland fehlen Hitzeaktionspläne.

 

 

Von Dörthe Ziemer

 

36 Grad und es wird noch heißer… Das Lied der Band 2Raumwohnung ist der Song für diesen Tag! Vielleicht auch für die nächsten Tage und Wochen – und ganz sicher für die nächsten Jahre! Wohl dem, der ihn entspannt in einem kühlen Büro oder in der Altbauwohnung mit dicken Mauern trällern kann. Für viele Menschen ist die Hitze jedoch eine Qual – und kann zur tödlichen Gefahr werden.

Wichtige Tipps...

 

Video: Karen Ascher

 

111 Menschen sind nach Angaben des Amtes für Statistik im Jahr 2021 in Brandenburg an den Folgen von extremer Hitze gestorben – mehr als doppelt so viele wie im Durchschnitt der Jahre 1986 bis 2020. Allein im Hitzesommer 2018 starben demnach rund 330 Menschen aufgrund hoher Temperaturen. In dem Jahr lag der Wert für hitzebedingte Krankenhauseinweisungen je Million AOK-Versicherte über 65 Jahre in Dahme-Spreewald bei 875. Das ist Platz 26 von gut 400 Landkreisen und kreisfreien Städten. Spitzenreiter ist der Kreis Lychow-Danneberg in Niedersachsen mit 1.670 Einweisungen, gefolgt von Cottbus mit 1.396 Einweisungen. Die Daten aus statistischen Hochrechnungen wurden von Correctiv.Lokal und Zeit Online gemeinsam mit der AOK erhoben.

 

Hitzetage und Tropennächte

Hitzetage mit Lufttemperaturen über 30 Grad Celsius und Tropennächte, in denen die Lufttemperatur nicht unter 20 Grad fällt, können für den menschlichen Organismus eine große Belastung darstellen, insbesondere wenn eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht und wenig oder kein Wind geht: Bei hohen Temperaturen muss das körpereigene Kühlsystem vermehrt Anstrengungen unternehmen, um die normale Köpertemperatur von circa 37 Grad Celsius zu halten.

(Quelle: Bundesgesundheitsministerium)

Hitzetage in Dahme-Spreewald

  • In Dahme-Spreewald hat sich die Zahl der Hitzetage (über 30 Grad Tageshöchsttemperatur) in den vergangenen Jahrzehnten verdoppelt: Gab es zwischen 1961 und 1990 durchschnittlich sieben Hitzetage pro Jahr, waren es zwischen 1991 und 2020 14 Tage.
  • Der Landkreis liegt mit 4 Hitzetagen pro Jahr zudem über dem Bundesdurchschnitt.
  • Der Landkreis liegt zudem im oberen Drittel der Bundesländer mit den meisten Hitzewarnungen. Gab es beispielsweise in Flensburg in den vergangenen zehn Jahren 22 Tage mit Hitzewarnungen, so waren es in Dahme-Spreewald 113. Spitzenreiter ist der Ortenaukreis in Baden-Württemberg mit 170 Warnungen.

(Quelle: Recherchenetzwerk Correctiv.Lokal und Zeit Online)

Hitzerekorde im Juni in Brandenburg

  • Cottbus meldete am 19. Juni einen neuen Rekord für Brandenburg und das Juni-Wetter: Es wurden 39,2 Grad gemessen.
  • Der Juni war in Brandenburg erneut niederschlagsarm und mit einer negativen Niederschlagsbilanz. Die Folgen waren deutlich: So erreichten Waldbrände bei Beelitz und später auch in der Lieberoser Heide ein verheerendes Ausmaß. Brandenburg war neben Sachsen das zweitsonnigste Bundesland und nach Berlin die zweitwärmste Region.

(Quelle: Deutscher Wetterdienst)

 

Das Beispiel Cottbus zeigt, dass zwei Dinge bei der Gesundheitsgefährdung durch Hitze in Deutschland eine zentrale Rolle spielen: die zunehmend ältere Bevölkerung und die Verstädterung. Senioren gehören zur besonders durch Hitze gefährdeten Bevölkerungsgruppe. Und Städte heizen sich an heißen Tagen viel stärker auf als das auf dem Land möglich wäre. Untersuchungen zeigen, dass Tropennächte (Temperatur sinkt nachts nicht unter 20 Grad) innerhalb dichter, innerstädtischer Bebauungsstrukturen wesentlich häufiger auftreten als auf Freiflächen. „Eine Innenstadt speichert die Wärmestrahlung tagsüber und gibt sie nachts nur reduziert wieder ab“, erläutert das Umweltbundesamt auf seiner Homepage. „Die innerstädtische Minimaltemperatur kann während der Nacht um bis zu 10 Grad Celsius über der am Stadtrand liegen.“

 

Kritik an fehlenden Hitzeaktionsplänen

Das legt nahe, dass gerade kommunale Gesundheitsvorsorge und Stadtplanung Abhilfe schaffen könnten. Doch das Thema Prävention vor Hitzeschäden ist in den Kommunen offenbar noch nicht im erforderlichen Maß angekommen, obwohl es seit 2017 Empfehlungen für kommunale Hitzeaktionspläne gibt. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe hatte Handlungsempfehlungen als eine Art Blaupause für kommunale Behörden erarbeitet, um regional angepasste Hitzeaktionspläne zu entwickeln. Ziel dieser Pläne ist es, hitzebedingte und UV-bedingte Erkrankungen und Todesfälle durch Prävention zu vermeiden. „Obwohl es schon seit Jahren Diskussionen und Empfehlungen zu Hitze in Deutschland gibt, verfügen nur wenige Kommunen über umfassende und integrierte Hitzeaktionspläne oder haben vorliegende umgesetzt, wobei es dabei in den meisten Fällen nicht gelungen ist, Akteure aus dem Gesundheitssektor einzubinden“, kritisieren Forscher der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG).

 

„Es gibt keine Handlungsszenarien für außergewöhnlich extreme und komplexe Situationen, wie sie im Sommer 2021 in Südeuropa und Kanada aufgetreten sind“
Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit

 

Sie fordern, dass die zuständigen Behörden und eingebundenen Akteure „die Bedeutung von hitzebezogenem Gesundheitsschutz verstehen und die damit verbundenen Aufgaben verbindlich als ihre Pflicht anerkennen“ und Hitzeschutzmaßnahmen in sektorübergreifenden Teams geplant und umgesetzt werden. Handlungsbedarf sehen sie in zwei Feldern: den Schutz während einer akuten Hitzesituation (die Bereitstellung von Hinweisen für gefährdete Gruppen wie Schwangere, Säuglinge und Kleinkinder, Menschen über 65 Jahre und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen) und die Stärkung der mittel- und langfristigen Hitze-Resilienz in Kommunen und Institutionen – etwa durch Klimafolgenanpassung. Die Stadt Kassel etwa hat in Zusammenarbeit mit dem Seniorenbeirat ein Hitzetelefon eingerichtet, das ältere Menschen über wichtige Vorkehrungen bei Hitze am Telefon informiert. Die fehlende Einbindung von Akteuren aus dem Gesundheitssektor, wie Ärzteschaft und Pflege, Rettungsdienste und Kliniken, in solche Pläne, so sie überhaupt vorhanden sind, schränke die Wirksamkeit im Krisenfall deutlich ein, schätzen die Experten ein: „Es gibt keine Handlungsszenarien für außergewöhnlich extreme und komplexe Situationen, wie sie im Sommer 2021 in Südeuropa und Kanada aufgetreten sind“, heißt es. Dennoch drohten solche Szenarien in den nächsten Jahren auch in Deutschland, wie die steigenden Zahlen an Hitzetagen, Tropennächten und Hitzewarnungen zeigen. „Die Bundesrepublik ist für den Katastrophenfall durch mögliche große Hitzewellen daher nicht gerüstet.“

 

 

Welche Vorkehrungen die Kommunen in Dahme-Spreewald treffen

Auch der Aufbau einer langfristigen Hitzeresilienz in Städten, Kommunen und Gesundheitseinrichtungen startet den Einschätzungen zufolge viel zu langsam. In Dahme-Spreewald haben weder Landkreis noch Kommunen einen Hitzeaktionsplan. Hitzeschutz beschränkt sich in vielen Kommunen auf die kostenlose Bereitstellung von Wasser für Mitarbeiter, vor allem in den Baubetriebshöfen und Kitas, und gleitende / verkürzte Arbeitszeit an Hitzetagen: „Für die besonders heißen Tage haben wir die Mitarbeiterinnen auf eine mögliche Arbeitszeitverlagerung in die Morgenstunden und die Möglichkeit des Homeoffice noch einmal extra hingewiesen“, sagt Eichwaldes Bürgermeister Jörg Jenoch. Viele würden das vor allem am heutigen heißtesten Tag der Woche nutzen. Um besonders die Kinder in den Schönefelder Betreuungseinrichtungen zu schützen, wurden diese mit Sonnenschutz ausgestattet, wie etwa Sonnensegeln in den Kitas oder auch rotorlose Ventilatoren in den Räumen, informiert Pressesprecherin Solveig Schuster. „Zudem gibt es Wasserspielmöglichkeiten zur Abkühlung. Wird es zu heiß, müssen die Einrichtungen jedoch frühzeitig schließen. Dies gilt insbesondere, wenn die Rauminnentemperatur 35 Grad übersteigt.“ In der Gemeinde Heidesee gibt es für die Kita-Einrichtungen und für die Eltern der Kitakinder besondere Verhaltensempfehlungen für die heißen Tage. Die Mitarbeiter des Bauhofes arbeiten an den Hitzetagen verkürzt.

 

„Für weitere gesonderte Maßnahmen fehlt es auch in unserer Gemeinde leider an personellen Ressourcen.“
Stefanie Haupt, Gemeinde Heidesee

 

Grundsätzlich setzen die Kommunen darauf, dass genügend Informationen zum richtigen Verhalten an Hitzetagen bereitstehen. „Aufgrund der umfangreichen Informationen in Funk und Fernsehen haben wir auf gesonderte allgemeine Hinweise auf unserer Webseite verzichtet“, berichtet Stefanie Hahn vom Hauptamt der Gemeinde Heidesee. In der Gemeinde Schulzendorf werde bei besonderen Anlässen auf geeignete Maßnahmen hingewiesen, informiert Bürgermeister Markus Mücke. „So habe ich zum Beispiel beim Treffen der Ältesten am 6. Juli die Teilnehmer daran erinnert, viel zu trinken. Bei weiteren Veranstaltungen mit Senioren wird auch darauf hingewiesen.“ Die Kreisverwaltung teilt über Pressemitteilungen und soziale Medien Informationen der Landesministerien für bestimmte Verhaltensweisen oder Vorsichtsmaßnahmen (zum Beispiel für Alten- und Pflegeheime), sagt Pressesprecherin Kathrin Veh. Dazu gehören beispielsweise Infos zum Tierschutz (Hunde nicht allein in Autos lassen), zur steigenden Waldbrandgefahr oder zur Beschränkung der Wasserentnahme. Bei all dem weist Stefanie Haupt von der Gemeinde Heidesee auf einen wichtigen Punkt hin: „Für weitere gesonderte Maßnahmen fehlt es auch in unserer Gemeinde leider an personellen Ressourcen.“

 

Klimafolgenanpassung und Klimaschutz

Nach Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung befragt, verweisen die meisten Kommunen auf bestehende oder in Arbeit befindliche Klimaschutzkonzepte sowie eingestellte oder in Kürze einzustellende Klimaschutzmanager. So gibt es in Wildau seit einem Jahr einen Klimaschutzmanager, Schönefeld wird demnächst einen einsetzen, und in Lübben wurde diese Position eben neu besetzt. Die Klimaschutzkonzepte sehen Maßnahmen zum Klimaschutz bei allen Bauvorhaben vor, grünen Strom für alle Verwaltungseinrichtungen und die Senkung des Energieverbrauchs. Die Stadt Lübben nimmt darüber hinaus am Energieeinsparprojekt fifty/ fifty teil, bei dem Kita- und Schulkinder den sparsamen Umgang mit Energie lernen und vom eingesparten Geld direkt profitieren können. Bei Beschaffungen werde verstärkt auf Nachhaltigkeit geachtet, informiert Bürgermeister Jens Richter. „Für die Quartiersentwicklungen unserer Stadtteile werden Konzepte für eine nachhaltige, energieneutrale Anpassung entwickelt. Mit den städtischen Unternehmen LWG und SÜW wird die Ausschreibung des Klimaschutzkonzeptes Lübben-Nord vorbereitet.“ Außerdem werde weiter an einer Verbesserung des Fuß- und Radverkehrs gearbeitet.

 

„In der Bauleitplanung werden diese Fragen bereits heute bei der Entwicklung neuer Baugebiete und Bebauungspläne berücksichtigt, beispielsweise durch Festsetzungen wie Begrünungen der Dächer oder die Versickerungsmöglichkeit von Regenwasser auf den Grundstücken.“
Solveig Schuster, Pressesprecherin Schönefeld

 

Schulzendorfs Bürgermeister Markus Mücke benennt ganz praktische Arbeiten, wie die Wässerung von Straßenbäumen oder die Einschränkung des Rasenschnitts an Straßen, damit der Boden nicht austrockne und die Insekten die Blüten nutzen könnten. In Schönefeld gehen die Überlegung weiter in Richtung Klimafolgenanpassung, die sich im Gegensatz zum Klimaschutz direkt mit entstandenen, nicht mehr abwendbaren Folgen des Klimawandels auseinandersetzt: „Insbesondere in der Bauleitplanung werden diese Fragen bereits heute bei der Entwicklung neuer Baugebiete und Bebauungspläne berücksichtigt, beispielsweise durch Festsetzungen wie Begrünungen der Dächer oder die Versickerungsmöglichkeit von Regenwasser auf den Grundstücken“, erläutert Pressesprecherin Solveig Schuster.

 

Das alles sind jedoch Maßnahmen, die in akuten Hitzewellen nur wenig helfen können. Während solcher Wellen sei ein erhöhtes Aufkommen von akut Erkrankten und Hilfesuchenden sowie eine reduzierten Leistungsfähigkeit des Personals zu verzeichnen, erläutert die Bewegung „Health for Future“. Sie wissenschaftlich fundierte Hitzeaktionspläne sowie die Unterstützung der Kliniken bei Hitzeschutzmaßnahmen in der Gebäudetechnik und beim Arbeitsschutz. „Das Ausmaß der Bedrohung wird bisher von der Politik nur unzureichend ernst genommen“, heißt es in einer Pressemitteilung. „Der gesundheitsbezogene Hitzeschutz muss auch gesetzlich verankert werden, damit dieser auf der Prioritätenliste von Ländern und Kommunen vorgezogen wird.“ Man müsse sich „an die Klimafolgen, die wir bereits erleben, anpassen und dazu gehört, dass alle Einrichtungen des Gesundheitswesens und ihre Träger, die Kommunen und die Länder unverzüglich mit organisatorischen und strukturellen Maßnahmen zum Hitzeschutz beginnen“, fordert Robert Schulz von „Health for Future“.

 

Brandenburg kündigt Hitzeaktionsplan für September an

Immerhin hat das Land Brandenburg in dieser Woche einen Hitzeaktionsplan angekündigt, der voraussichtlich im September fertig gestellt sein soll. Ziel des Plans ist es, „ein Netzwerk mit allen Akteuren u.a. aus dem Gesundheitsbereich zu etablieren, um die Erstellung von spezifischen Hitzeaktionsplänen insbesondere auf kommunaler und institutioneller Ebene wie Pflegeeinrichtungen zu forcieren und konkrete Maßnahmen wie Thermoverglasungen, Verschattungen, Trinkbrunnen oder Belüftungssysteme zur Raumtemperierung anzustoßen“, heißt es in der Mitteilung. Die Umsetzung in die Praxis werde alle Beteiligten fordern. Brandenburg wäre das erste Bundesland, das einen solchen flächendeckenden Hitzeaktionsplan vorlegt, informiert Dominik Lenz von der Pressestelle des Gesundheitsministeriums. „Brandenburg hat von Anfang an das Ziel verfolgt, einen umfassenden Hitzeaktionsplan zu entwickeln. In dem Prozess der Erarbeitung war eine große Anzahl von rund 100 Akteuren beteiligt“, berichtet Dominik Lenz. Im Gegensatz etwa zu Berlin seien in Brandenburg alle Bereiche (Schule, Kita, Tourismus, Pflegeheime, Krankenhäuser…) berücksichtigt worden. Insgesamt vier Workshops fanden zur Erarbeitung des Plans statt. Der 2. Workshop sei, heißt es in der Mitteilung, als „Kommunalworkshop mit den Akteuren der kommunalen Ebene und den Vertreter*innen der Fachbereiche Brand- und Katastrophenschutz, Strukturentwicklung und Kultur, Sozialplanung, Landwirtschaft, Stadtentwicklung, Umwelt- und Naturschutz und Klimamanager durchgeführt“ worden.

 

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von ZEIT ONLINE, Wokreisel.de und CORRECTIV.Lokal. Das Netzwerk recherchiert zu verschiedenen Themen und berichtet unter correctiv.org/klima langfristig über die Klimakrise. Weitere Infos zu Hitze in Deutschland: zeit.de/hitzetote

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Veröffentlichung

Mi, 20. Juli 2022

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