Rundes Radvergnügen im Alltag

Nudafa – was sich so schön spricht, ist ein hochkomplexes Projekt zur Förderung des Radverkehrs in den Kommunen im Norden des Landkreises. Die Abkürzung steht für „Nutzerdatengestützte Planung eines integrierten Fahrradverkehrsnetzes“. Wir haben mit Projektleiter Christoph Kollert darüber gesprochen.

 

Von Dörthe Ziemer

 

Fangen wir einmal an, das Projekt vom Ende her zu betrachten: Wie wird sich der Radverkehr im Norden des Landkreises innerhalb der kommenden fünf Jahren verändert haben?

Ich wünsche mir, dass in drei bis fünf Jahren in den beteiligten Kommunen eine Art Aufbruchstimmung herrscht und der Konsens, dass man den Radverkehr stärken möchte. Außerdem sollten bis dahin natürlich erste Projekte abgeschlossen und Radwege ausgebaut sein. Was nicht möglich ist: in dieser Zeit alles an Infrastruktur herzustellen, was für sicheres und komfortables Radfahren benötigt wird. In diesem Zeitraum würde das die Kommunen finanziell überfordern und das ist nicht Sinn der Sache. Unser Ziel ist es, die Kommunen bei der Förderung des Radverkehrs zu unterstützen. Gleichzeitig wollen wir erreichen, dass Akteure in der Radverkehrsförderung besser verstehen, was notwendig ist, damit man in Eichwalde, Zeuthen und Schulzendorf besser, sicherer und mit mehr Freude Fahrrad fährt.

 

"Wir wollen erreichen, dass Akteure in der Radverkehrsförderung besser verstehen, was notwendig ist, damit man in Eichwalde, Zeuthen und Schulzendorf besser, sicherer und mit mehr Freude Fahrrad fährt."

 

An welchem Punkt sind Sie gestartet? Welcher Bedarf liegt dem Projekt zugrunde?

Die wesentliche Erkenntnis war in der Bevölkerung und bei der Politik schon lange vor meiner Zeit hier in Eichwalde vorhanden: dass man Radverkehr gemeinsam fördern muss. Ein Großteil der Einwohnerinnen und Einwohner radelt im Alltag von einer Kommune in die anderen. Um dies im Alltag einfacher zu machen, müssen die Kommunen den Radverkehr gemeinsam gestalten. Die Betrachtung des Radverkehrs kann daher nicht an der Gemeindegrenze enden. Eine Besonderheit der Kommunen hier im Norden ist, dass der Anteil am Radverkehr bereits sehr hoch ist. In Eichwalde beträgt der Anteil des Radverkehrs am Binnenverkehr beispielsweise über 20 Prozent. Das ist sehr viel im Vergleich zu anderen Kommunen, darauf wollen wir aufbauen. Gleichzeitig erfordert die enge Verknüpfung in den sogenannten S-Bahnkommunen im Norden des Landkreises andere Lösungen und Ansätze als vielleicht im Süden des Landkreises. Daher steht die interkommunale Zusammenarbeit im Fokus des NUDAFA-Projekts. 

 

Warum gab es das bisher noch nicht?

Es gibt bereits verschiedene Arten der Zusammenarbeit zwischen Nachbarkommunen hier im Norden, z.B. bei der Kinder- und Jugendarbeit, beim gemeinsamen Rechnungsprüfungsamt und mehr. Aber wenn man ein Radwegenetz entwickelt, muss man sich auch mit der übernächsten Kommune auseinandersetzen, eine derartige Zusammenarbeit gab es bisher kaum. Der Vorteil der Kommunen hier ist, dass die Bürgermeister gewohnt sind, miteinander zu arbeiten.

Was wir jetzt in dem Projekt versuchen, ist der Aufbau der datengestützten Webplattform www.ZESplus.de, mit relevanten Informationen zum Radverkehr in den ZES-Gemeinden. Dabei gilt es, die strategische, interkommunale Perspektive mit der Betrachtung der Situationen und Probleme vor Ort zu verknüpfen.

 

"In diesem Spannungsfeld zwischen strategischer Planung und konkreten räumlichen Situationen versuchen wir mit dem Projekt zu vermitteln."

 

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Beispielsweise liegt bereits ein umfangreiches Radverkehrskonzept für den Landkreis vor, welches übergeordnete Wegeverbindungen und ausgewählte Maßnahmen bereits definiert und dadurch sehr hilfreich ist. Die Details vor Ort, die oft den Erfolg von Maßnahmen entscheidend beeinflussen, können wiederum darin aufgrund der „Flughöhe“ nur teilweise beachtet werden. In diesem Spannungsfeld zwischen strategischer Planung und konkreten räumlichen Situationen versuchen wir mit dem Projekt zu vermitteln. Ein Patentrezept haben wir hier nicht, aber wir experimentieren mit verschiedenen Lösungsansätzen.

Gleichzeitig sind Gespräche über Radverkehrsinfrastruktur oft von persönlichen Perspektiven geprägt: Wer pendelt wie wohin? Wie sieht man seine eigenen Wege? Oft wird mit Platzmangel, mit PKW-Verkehr usw. argumentiert. All das ist bei der Erstellung eines Radnetzes für die erfolgreiche Realisierung entscheidend, kann aber gleichzeitig auch vom Wesentlichen ablenken. Hier setzen wir an und versuchen eine objektive, verständliche Argumentations- und Handlungsgrundlage für die gemeinsame Erarbeitung eines gemeindeübergreifenden Radnetzes zu entwickeln.

 

Welches sind Ihre ersten Arbeitsschritte in dem Projekt? Wie ist Ihr Team aufgestellt?

Das Projekt haben Jörg Jenoch, der Bürgermeister von Eichwalde, und Alf Hamann, ein Gemeindevertreter aus Eichwalde, initiiert. Ich koordiniere das Projekt seit März 2020. Seit Oktober 2021 hat das Projekt drei weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vielfältige Perspektiven mitbringen. Ein Kollege bringt beispielsweise viel Erfahrung aus der Verwaltung mit. Als „interkommunaler Radverkehrsmanager“ soll er Projekte umsetzen und Fördermittel akquirieren. Es wäre natürlich super, wenn jede Kommune einen Radverkehrsmanager hätte, aber das geben die Ressourcen der Kommunen nicht her. Daher testen wir mit seinem Einsatz, ob und wie mehrere Kommunen durch eine vermittelnde Stelle unterstützt werden kann.

Zum Team gehören auch zwei wissenschaftliche Mitarbeiterinnen. Eine ist an der TH Wildau bei der Stiftungsprofessur „Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen“ beschäftigt und im Projekt zuständig für Realexperimente und Modellprojekte. Sie soll also Lösungen für lokal angepasste Radverkehrsförderung erarbeiten und diese evaluieren. Eine weitere wissenschaftliche Mitarbeiterin vom Institut für integrierte Verkehrsplanung der TU Berlin übernimmt die politik- und sozialwissenschaftliche Begleitforschung. Sie identifiziert Hemmnisse in der Radverkehrsförderung und schaut sich das Handeln aller Akteure genauer an. Dadurch können wir unsere Strategie fortlaufend anpassen.

 

Gibt es weitere Kooperationspartner?

Bereits seit 2020 kooperieren wir zur Erhebung von Nutzerdaten im Radverkehr mit dem Fachgebiet Mobile Cloud Computing der TU Berlin. Mit der dort entwickelten App „SimRa“ können Radfahrende ihre Route aufzeichnen. Mit erfasst werden dabei auch abrupten Richtung- und Geschwindigkeitsveränderungen sowie Informationen zu sogenannten Beinahe-Unfällen. Auch Standzeiten und Knotenpunkte werden erfasst und wir konnten eine Methode zur Erfassung der Erschütterungen durch Fahrbahnunebenheiten entwickeln. So bekommen wir für alle befahrenen Straßen Informationen, ob man da komfortabel fahren kann oder nicht.

Für die weitere Verarbeitung der Daten kooperieren wir mit dem Berliner Startup FixMyCity. FixMyCity baut die bereits erwähnte Datenplattform auf. Auf ihr werden verschiedene Analysetools bereitgestellt, welche die relativ komplexen Bedingungen für die Radverkehrsförderung auf Basis von Open Street Map-Daten auswertet und visualisiert. Beispielweise werden die erwähnten Informationen über Oberflächenbeschaffenheiten, Straßentypen usw. zusammengefasst. Diese Daten werden kombiniert mit anderen Datenquellen, beispielweise mit Unfalldaten und Ergebnisse aus analogen Umfragen. So entsteht im Projekt derzeit eine enge Zusammenarbeit zwischen Praxis und Forschung, die bis Juni 2024 vom Bundeswissenschaftsministerium im Rahmen der Strategie „Forschung für Nachhaltigkeit" als Teil des Wettbewerbs MobilitätsWerkStadt 2025gefördert wird.

 

"Beispielsweise fährt momentan von Eichwalde zum BER nur eine kleine Anzahl an Hardcore-Radfahrern. Aber es könnten viele Leute mit dem Rad hinkommen, daher muss hier ein besseres Angebot geschaffen werden – in interkommunaler Zusammenarbeit."

 

Das klingt nach einer großen Datensammlung…

... die wir möglichst kritisch hinterfragen wollen: Wir müssen uns bewusst machen, dass beispielsweise die erfassten Nutzerdaten nicht repräsentativ sind, weil wir mit der App nicht alle Bevölkerungsschichten erreichen. Wo Repräsentativität wichtig ist, beispielsweise bei der Betrachtung von Quelle-Ziel-Beziehungen, nutzen wir diese Daten nicht bzw. greifen auf andere Ansätze zurück. Denn Radverkehrsförderung im suburbanen und ländlichen Raum erfordert typischerweise eine Angebotsplanung, für die Nutzerdaten nur bedingt hilfreich sind. Beispielsweise fährt momentan von Eichwalde zum BER nur eine kleine Anzahl an Hardcore-Radfahrern. Aber es könnten viele Leute mit dem Rad hinkommen, daher muss hier ein besseres Angebot geschaffen werden – in interkommunaler Zusammenarbeit. Sich nur auf die derzeitigen Radfahrenden zu fokussieren, wäre hier beispielsweise nicht sinnvoll.

 

Welche Konflikte sind zu erwarten? In Zeuthen diskutiert man gerade über eine Straße mit Kopfsteinpflaster…

Wir verfolgen keinen radikalen Ansatz, denn den Radverkehr muss man immer im gesamten Kontext betrachten. Meistens haben wir es mit komplexen Situationen und Prozessen zu tun. Schöne Asphaltbahnen statt Kopfsteinpflaster zu fordern, greift da zu kurz. In Eichwalde ist Kopfsteinpflaster ja auch Teil des Ortsbildes, teilweise sogar geschützt. Gleichzeitig muss man schauen, welche Straßen mittel- bis langfristig saniert werden können und müssen, welche eben nicht und wie das in das in das Gesamtnetz passt. Das führt zu komplexen Situationen, in denen verschiedene Meinungen aufeinandertreffen.

 

"Meistens haben wir es mit komplexen Situationen und Prozessen zu tun. Schöne Asphaltbahnen statt Kopfsteinpflaster zu fordern, greift da zu kurz."

 

Auch innerhalb des NUDAFA-Teams gibt es immer wieder verschiedene Meinungen: Der eine meint, ein für Radfahrer freigegebener Bürgersteig ist keine angemessene Radverkehrsinfrastruktur, der andere hält das für eine Lösung, welche den lokalen Anforderungen so gut es geht gerecht wird – erst recht, wenn nicht viele Radfahrer dort langfahren. Hier wollen wir mit den Daten, die wir zusammentragen, mehr Übersicht und vor allem Konsens schaffen. Außerdem kooperieren wir mit Firmen, die eine Schleifmaschine entwickeln, mit der man Kopfsteinpflaster abschleifen kann. Aber bis zur Marktreife ist es noch ein langer, steiniger Weg. Glücklicherweise haben wir für all dies im NUDAFA-Projekt genügend Personal und Zeit.

 

Welche Rückmeldungen erhalten Sie aus der Politik und der Bevölkerung für Ihre Arbeit?

Die Kommunikation ist eine große Herausforderung. Ich erhalte regelmäßig Rückmeldungen zu konkreten Situationen, die ich jedoch nicht einfach beheben kann. Einerseits, weil die Probleme sich nicht ohne weiteres beheben lassen. Aber genau dafür haben wir jetzt glücklicherweise den interkommunalen Radverkehrsmanager, mit dem wir die jeweilige Kommune hoffentlich demnächst bei der Beseitigung der Probleme unterstützen können. Andererseits haben wir als Forschungsprojekt einen gewissen Auftrag gegenüber dem Fördermittelgeber zu erfüllen – und das ist nicht (nur) die Beseitigung von Problemstellen, sondern auch die Erforschung der Situation hier vor Ort und die Entwicklung von entsprechenden Lösungsansätzen und deren Evaluation. Das dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren.

 

"Operationen wollen wir nur starten, wenn das 'OP-Besteck' bereitliegt."

 

Wie kann es bei diesem Anspruch gelingen, Politik und Bevölkerung mitzunehmen?

Natürlich wollen wir bei dem, was wir tun, die Bevölkerung, vor allem aber auch Verwaltung und Politik mitnehmen. Aber das muss gut vorbereitet und mit Politik und Verwaltung abgestimmt werden. Dazu wollen wir im Sommer eine große öffentliche Veranstaltung durchführen, um gemeinsam eine Vision für die Region zu erarbeiten und die Netzplanung unter Anwendung der von uns erarbeiteten Planungsinstrumente einen Schritt weiter zu bringen. Doch bevor wir derartige Beteiligungsformate anbieten, ist es vor allem wichtig zu klären, wo Handlungsbedarfe sind und wo tatsächlich Spielraum für Partizipation vorhanden ist. Ansonsten führt dies zu Enttäuschung, beispielweise weil die gewünschte Maßnahme laut Straßenverkehrsordnung gar nicht zulässig bzw. genehmigungsfähig wäre. Daher müssen die Themenfelder und Formate für eine Beteiligung vorbereitet sein, denn Operationen wollen wir nur starten, wenn das „OP-Besteck“ bereitliegt. Daran arbeiten wir derzeit mit Hochdruck.

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Veröffentlichung

Mi, 22. Dezember 2021

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