Dahme-Spreewalds Stimme im Strukturwandel

Lübben könnte eine Gewinnerin des Strukturwandels in der Lausitz werden – als Teil einer Innovationsachse von Berlin über Lübben bis Cottbus und mit dem „Wasserreich Spree“. Um zu verhindern, dass Regionen wie Luckau und Lieberose abgehängt werden, hat der Landkreis ein Beratungsgremium für Kommunen gegründet.

 

Von Uwe Rada

 

So langsam nimmt der Strukturwandel in der Lausitz Gestalt an. Anfang August hat eine Expertenkommission ihre Pläne für ein Innovationszentrum Universitätsmedizin Cottbus (IUC) vorgestellt. Mit dem Ausbau des Carl-Thiem-Klinikums zu einem Universitätsklinikum und der Gründung einer Medizinischen Fakultät an der Brandenburgischen Technischen Universität BTU Cottbus-Senftenberg sollen bis 2035 1.600 neue Arbeitsplätze entstehen. 1,9 Milliarden Euro sollen dafür bis 2038 investiert werden, dem Jahr, in dem Brandenburg aus der Braunkohle aussteigt und das Kraftwerk schwarze Pumpe abschaltet.

 

Ende Juli waren bereits die Pläne für das neue ICE-Werk in Cottbus vorgestellt worden. Baubeginn soll statt 2023 bereits im kommenden Jahr sein, teilte die Bahn mit. Ab 2024 sollen dann die ersten ICE-Züge in Cottbus gewartet werden. Bis 2026 werden im ICE-Werk 1.200 Menschen arbeiten. Die Investitionssumme beläuft sich auf eine Milliarde.


Schon vor der Entscheidung, ob auf dem Campus der BTU noch ein Science-Park entsteht, ist Cottbus die Gewinnerin des Strukturwandels in der Lausitz. Für Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sind Universitätsmedizin und Bahnwerk die „ambitioniertesten Projekte“ des Strukturwandels.

 

Erst Cottbus, dann Lübben

Es scheint allerdings, als gäbe es, im Schatten von Cottbus, noch eine zweite Gewinnerin, und das ist Lübben. Die Kreisstadt von Dahme-Spreewald ist spätestens mit der Präsentation der Idee einer Innovationsachse Berlin-Lausitz in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Denn die Wissenschaftsstadt Adlershof will am Bahnhof von Lübben eine Dependance errichten. Bis zu 300 Arbeitsplätze sollen in einem Co-Working-Space entstehen.

 

Seine Pläne hat der Geschäftsführer der Wissenschaftsstadt, Roland Sillmann, auf einem Themengespräch des Zukunftsforums Berlin Brandenburg Anfang Juni vorgestellt. Und auch das Problem, vor dem er steht. Der 50-Jährige leitet in Adlershof den größten und erfolgreichsten Technologiepark in Deutschland. 22.000 Menschen arbeiten im High-Tech-Stadtteil im Südosten Berlins, dazu kommen 7.000 Studierende. Die Humboldt-Universität ist mit sechs Instituten vertreten. Die mehr als 1.000 Firmen auf dem Gelände sind mit durchschnittlich 20 Beschäftigten nicht groß, aber viele produzieren für den Weltmarkt. Adlershof ist eine Erfolgsgeschichte im wirtschaftlich lange gebeutelten Berlin.

 

Ganz glücklich ist Sillmann dennoch nicht. Denn Adlershof gerät spätestens 2027 an seine Grenzen. Dann werden in der Wissenschaftsstadt 30.000 Beschäftigte arbeiten. Mehr geht nicht. „Wir haben 2018 eine Studie in Auftrag gegeben, um herauszufinden, wo und wie wir wachsen können“, erklärte er. „Das Ergebnis war überraschend. Entgegen der Annahme, dass das Wachstum von Adlershof durch die Fläche begrenzt wäre, hat die Studie ergeben, dass unser Wachstum durch die Mobilität begrenzt ist.“

 

Lübben ist schon jetzt Gewinnerin des Strukturwandels. Foto: Dörthe Ziemer

 

Im Klartext heißt das, dass noch genügend Flächen da sind, auf denen sich neue Firmen ansiedeln können. Deren Beschäftigte schaffen es aber wegen der überfüllten Bahnen und Straßen nicht mehr rechtzeitig zur Arbeit. Roland Sillmann hat auf den Befund reagiert. Beim Themengespräch war er einer der Antreiber einer Idee, die zuvor die Stiftung Zukunft Berlin skizziert hatte: Eine Innovationsachse, die von Berlin bis in die Lausitz führen soll. Der Co-Working-Space in Lübben ist bisher das konkreteste Projekt. Allerdings soll die Achse weiter nach Cottbus führen, wo sich Sillmann auch vorstellen kann, beim Aufbau des geplanten Science-Parks behilflich zu sein.

 

Es könnte also sein, dass die Kreisstadt von Dahme-Spreewald der von Wachstumsschmerzen geplagten Wissenschaftsstadt aus der Patsche hilft – und selbst davon profitiert. Eine klassische Win-Win-Situation also, die Roland Sillmann so beschreibt: „Corona hat gezeigt, dass die Mitarbeitenden nicht immer in der Firma sein müssen“, sagt Sillmann. „Wir wollen, dass sie nur noch zwei oder drei Mal die Woche mit dem Zug zu uns kommen. Wenn das dann eine Stunde dauert, ist das nicht kritisch.“

 

Voraussetzung sei aber, dass die Beschäftigten die anderen Wochentage in Wohnortnähe arbeiten können. Und das ist die Chance von Lübben. „Das Thema Talente wird immer wichtiger“, erklärt Sillmann. „Wenn die Besten gehen, ist es schwer, neue Talente zu finden, deshalb wollen wir die Menschen halten.“ Für Sillmann heißt das, dass in den Hightech-Betrieben der Wissenschaftsstadt sowohl die 25-Jährigen arbeiten, die in Kreuzberg leben, als auch die 40-Jährigen, die sich mit der Familie im Spreewald niederlassen wollen. „Du musst also nicht den Arbeitgeber wechseln, wenn sich deine Lebensphase geändert hat“, sagt Sillman.

Und noch einen Vorteil hat Lübben, ergänzt er. „Hier gibt es auch die Flächen für eine industrielle Produktion, die wir in Adlershof nicht haben.“

 

Lübben will sichtbar werden

Lübbens Bürgermeister Lars Kolan ist von der Idee der Innovationsachse Berlin–Lausitz angetan. „Damit werden auch wir als Stadt in der zweiten Reihe sichtbar“, sagt der SPD-Politiker. „Wichtig ist beim Strukturwandel, dass es kein Wolkenkuckucksheim ist, sondern dass etwas Greifbares entsteht.“

Die Idee für einen Co-Working-Space gehört für Kolan dazu. „Wir denken aktuell beim Grundstück am Bahnhof an eine drei- bis viergeschossige Bebauung mit 100 bis 300 Arbeitsplätzen“, erklärt er. „Das müssen nicht nur Co-Working-Spaces sein, es können auch normale Büros dazu kommen. Da werden wir im Lauf der Antragsstellung auch noch Bedarfe abfragen.“

 

Allerdings sei noch eine Reihe von Fragen ungeklärt. Zum Beispiel muss der Flächennutzungsplan (FNP) überarbeitet werden. „Beim alten FNP sind wir noch von einem Rückgang der Bevölkerung ausgegangen“, erinnert sich Kolan. „Jetzt aber wächst Lübben, und wir haben Schwierigkeiten, Flächen für den Wohnungsbau zu finden.“ Deshalb kann sich Kolan rund um den Bahnhof auch eine Mischung aus Arbeiten und Wohnen vorstellen. Vorausgesetzt, er findet endlich genügend Stadtplaner, um die nötigen Bebauungspläne aufzustellen.

 

In der Stadtverordnetenversammlung hat Kolan bereits Unterstützung für das „große Ding“ bekommen, wie er das Vorhaben der Wista nennt. Und auch sonst sieht es ganz gut aus für seine Stadt. Eben erst hat die Wirtschaftsregion Lausitz WRL, die für die Vergabe der Lausitzmittel zuständig ist, einen Förderantrag für 23 Millionen bewilligt, mit dem Lübben unter der Überschrift „Wasserreich Spree“ ein neues Besucherzentrum für den Spreewald realisieren will.

 

Der Landkreis berät

Von den 40 Milliarden Euro, die der Bund den deutschen Kohleregionen für den Braunkohleausstieg zur Verfügung stellt, sollen zehn Milliarden in Brandenburg investiert werden. 6,4 Milliarden davon kommen direkt vom Bund, von ihnen werden größtenteils die Universitätsmedizin und das Bahnwerk in Cottbus finanziert. 3,6 Milliarden werden über das Land ausgereicht. Das hat dafür ein Strukturstärkungsgesetz verabschiedet. Mit den Milliarden soll der Wegfall von 8.000 Arbeitsplätzen in der Braunkohle kompensiert werden.

 

Für die Vergabe der Brandenburger Lausitzmittel ist die Wirtschaftsregion Lausitz zuständig. Neben den Kommunen und den Landkreisen will sich nun auch das Land an der Kooperationsgemeinschaft beteiligen. Um die Kommunen in Dahme-Spreewald bei der Antragsstellung zu unterstützen, hat die Kreisverwaltung inzwischen ein Beratungsgremium geschaffen, das sich mit der Strategieentwicklung beschäftigt, erklärt die Ideengeberin und stellvertretende Landrätin Heike Zettwitz. „Das Ziel ist, dass der Landkreis und die Kommunen gegenüber der WRL mit einer Stimme sprechen“, so Zettwitz. So sollen auch Konkurrenzen zwischen den Kommunen vermieden werden. „Mit einer Stimme zu sprechen ist besser als mit gespaltener Zunge“, sagt die geborene Görlitzerin.

 

Der Landkreis Dahme-Spreewald unterstützt den Förderverein Lieberose bei dessen Bemühungen um das Schloss Lieberose. Foto: Dörthe Ziemer

 

Hinter der Gründung des Beratungsgremiums steckt auch das Ziel, die wirtschaftliche Entwicklung im Landkreis zu steuern. Für Zettwitz gehören zum Beispiel Luckau und Lieberose zu den unmittelbar vom Strukturwandel betroffenen Regionen in Dahme-Spreewald. „Von Lieberose gibt es auch Pendelbeziehungen zum Tagebau und zum Kraftwerk in Jänschwalde“, sagt sie. „Da wollen wir uns dafür einsetzen, dass da auch Förderungen von der WRL kommen.“ In Jänschwalde geht das Kraftwerk, anders als Schwarze Pumpe, bereits 2028 vom Netz.

 

Tatsächlich gibt es auch in LDS Gewinner wie die berlinnahen Kommunen Wildau und Schönefeld sowie die Kreisstadt Lübben. Andererseits drohen Regionen wie Luckau und Lieberose abgehängt zu werden. Auch deshalb setze sich der Kreis für Projekte dort ein, betont Zettwitz. So soll zum Beispiel die Lieberoser Heide als ein Projekt der Regionalentwicklung vorangebracht werden. Geplant ist dort eine Internationale Naturausstellung INA. „Und wir unterstützen auch den Förderverein mit seinen Bemühungen um das Schloss Lieberose“, sagt Zettwitz. „Die Entwicklungsachse ist wichtig, aber wir müssen auch sehen, wie wir die Verknüpfungen in den Raum hineinbekommen.“

 

Kritik an RKI-Förderung

Tatsächlich ist die Idee einer neuen Achse Berlin–Lübben–Cottbus nicht ganz unumstritten. Vor allem im Süden des Landkreises gibt es vielerorts die Sorge, dass sich die Strukturfördermittel auf einige wenige Leuchttürme konzentrieren werden.

Ganz unberechtigt ist die Sorge nicht. So wird der Neubau einer Außenstelle des Robert-Koch-Instituts in Wildau mit 70 Millionen Euro aus den Lausitzmitteln gefördert. Der Bund plant sogar, den Betrieb der RKI-Außenstelle bis 2038 mit 420 Millionen Euro zu fördern. „Diese Investitionen im Berliner Speckgürtel helfen dem Ziel eines Strukturwandels in der Lausitz überhaupt nicht“, kritisieren die Freien Wähler. „Sie stellen damit einen zweckwidrigen Missbrauch der Mittel dar, was wir nicht akzeptieren werden.“

 

Die Schwartzkopffsiedlung in Wildau. Für die Förderung einer Außenstelle des RKI im Rahmen des Strukturwandels gab es Kritik. Foto: Dörthe Ziemer

 

Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) tritt deshalb etwas auf die Euphoriebremse, wenn es um die Achse Berlin–Lübben–Cottbus geht. „Jeder, der sich da einbringen will, ist herzlich willkommen“, sagt Steinbach, der vor seiner Zeit als Minister Präsident der BTU war. „Wir fangen aber nicht bei Null an. Die großen Infrastrukturentscheidungen sind gefallen.“

Seine Botschaft richtet Steinbach nicht nur an die Lausitz, sondern an das ganze Land, wenn er sagt: „Der Speckgürtel entwickelt sich von alleine.“ Und auch die Lausitz sei mit den Milliarden vom Bund und vom Land privilegiert. „Es gibt keine Region in Brandenburg, die mit diesem Ausmaß an finanziellen Mitteln ausgestattet ist. Wenn wir über eine Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg reden, darf man die anderen Regionen nicht vergessen.“

 

Auch deshalb versichert Roland Sillman, dass für die Finanzierung der Innovationsachse Berlin–Lausitz keine Strukturfördermittel beantragt werden. „Das muss ein gemeinsames Projekt von Berlin und Brandenburg sein.“ Mit dabei sollen auch die beteiligten Berliner Bezirke und der Landkreis Dahme-Spreewald sein.

 

Für den Co-Working-Space am Bahnhof Lübben aber sollen Brandenburger Lausitzgelder fließen. Mit der WRL hat Bürgermeister Lars Kolan schon erste Gespräche geführt. „Wir haben da positive Signale bekommen“, freut er sich.

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Veröffentlichung

Do, 05. August 2021

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