Sollen Eltern für den Schülerverkehr wieder bezahlen? Darüber entscheidet der Kreistag am 2. April, es könnte knapp werden. Diskutiert wird dazu seit November. Seitdem der Kreisschulbeirat im Februar öffentlich protestierte, hat die Debatte an Fahrt aufgenommen.
Von Dörthe Ziemer
Zehn Euro pro Kind und Monat, abzüglich der Sommerferien – das summiert sich auf 100 Euro jährlich, bei zwei Kindern auf 200 Euro zusätzlich. Ab dem dritten Kind soll die Schülerbeförderung kostenfrei bleiben. Bürgergeld-, Sozialhilfeempfänger oder Asylbewerber sollen von dem Beitrag befreit sein, und Kinder, die Anspruch auf Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket haben, können Erstattungen beantragen. So weit, so sozial. Doch die geplanten Änderungen werden nicht nur vom Kreisschulbeirat abgelehnt und in Sozialen Medien von Eltern kritisiert. Auch die Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS distanziert sich zurzeit ausführlich auf ihren Kanälen von der geplanten Neuregelung. Die AfD-Fraktion war seit Beginn der Debatte dagegen, allerdings ohne Alternativvorschläge zu nennen. Der kostenfreie Schülerverkehr in Dahme-Spreewald war erst vor gut fünf Jahren auf Initiative der damaligen Linken-Fraktion und mit breiter Zustimmung im Kreistag beschlossen worden.
Umfassende Änderung der Satzung zum Schülerverkehr geplant
Doch es geht nicht allein ums Geld, sondern um eine umfassende Änderung der Schülerbeförderungssatzung: Ursprünglich sollte vor allem eine praktikable Regelung für Kinder im Wechselmodell gefunden werden, also für Kinder, die von zwei verschiedenen Elternhäusern aus zur Schule pendeln. Neu soll auch sein, dass Eltern, deren Kinder eine Schule außerhalb des Landkreises besuchen, im gleichen Maß wie alle anderen an den Kosten für den Schülerverkehr beteiligt werden (und nicht stärker). Außerdem wurden Zumutbarkeitsgrenzen für den Schulweg geändert, was dazu führen dürfte, dass weniger Schülerspezialverkehr eingerichtet werden muss. Der schlägt zurzeit mit rund 7,5 Millionen Euro zu Buche, also rund der Hälfte des Schülerverkehrskosten insgesamt. Die vorgeschlagenen Änderungen dienten u.a. dazu, den Kreishaushalt zu entlasten, heißt es in Vorlagen und Stellungnahmen der Kreisverwaltung.
Zur Neufassung der Satzung wurde eine Arbeitsgruppe mit je einem Vertreter aus jeder Kreistagsfraktion, Verwaltungsmitarbeitern und der Vorsitzenden des Kreisschulbeirates (KSB) gegründet. Sie hat einmal im November und einmal im Januar getagt. Parallel dazu spielte das Thema auch in der Haushaltsdiskussion eine Rolle. Die 700.000 Euro Mehreinnahmen, die die Wiedereinführung des Elternbeitrags bringen soll, waren da bereits in den Haushaltsentwurf eingerechnet. In ihren Stellungnahmen zum Haushalt lehnte nur die AfD den Elternbeitrag komplett ab, die Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS sah die Einführung eines Elternbeitrages als „sehr kritisch“ an und mahnte, „wenn überhaupt“ eine soziale Staffelung sowie die Prüfung von Alternativen an.
Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS kündigt Ablehnung an
Darauf bezieht sie sich in ihren aktuellen Äußerungen. Der aktuellen Vorlage könne die Fraktion nicht zustimmen, heißt es in einer Pressemitteilung. „Die Kritik richtet sich insbesondere gegen den vorgeschlagenen Eigenanteil der Eltern, der von der Verwaltung als ‚alternativlos‘ dargestellt wird“, teilt die Fraktion mit. „Einsparungen mögen notwendig sein, aber es ist Aufgabe der Verwaltung, dem Kreistag echte Alternativen vorzulegen, über die dann entschieden werden kann“, wird Andrea Lübcke (Grüne) als Fraktionsvorsitzende zitiert. Derzeit gebe es jedoch „mehr offene Fragen als Antworten. Bis diese geklärt sind, darf keine Elternbeteiligung beschlossen werden“, ergänzt der Co-Vorsitzende Thomas Irmer (SPD). Außerdem müssten laut Kommunalverfassung Kinder und Jugendliche an der Entscheidung zwingend beteiligt werden, fordert die Fraktion.
„Einsparungen mögen notwendig sein, aber es ist Aufgabe der Verwaltung, dem Kreistag echte Alternativen vorzulegen, über die dann entschieden werden kann.“
Andrea Lübcke (Grüne), Fraktionsvorsitzende
Mit ausschlaggebend für die Ablehnung sei die Stellungnahme des Kreisschulbeirates (KSB) gewesen, so die Begründung der Fraktion. Der KSB setzt sich gleichermaßen aus Schüler-, Eltern- und Lehrervertretern zusammen und muss bei schulischen Belangen angehört werden. Auf seiner Sitzung im Februar hat er mehrheitlich gegen die Wiedereinführung des Elternbeitrages gestimmt – das Votum ist indes nicht bindend. Der Kreisschulbeirat kritisiert, dass mit dem Elternbeitrag vor allem die Menschen auf dem Land zusätzlich belastet würden, da vor allem dort Schülerverkehr benötigt wird. „Freizeit ist für die Schülerschaft aus dem ländlichen Raum bereits ein Fremdwort, denn aufgrund der ‚zumutbaren‘ Fahrt- und Wartezeiten bleibt kaum Platz für Erholung und Hobbys“, heißt es in einer Pressemitteilung des KSB. Nun solle dafür auch noch bezahlt werden. Die Kreisverwaltung hält dagegen und verweist beispielsweise auf höhere Wohnkosten in den städtischer geprägten Räumen.
„Bildung darf nicht zur finanziellen Frage werden, sondern muss für jeden Schüler gleichermaßen unabhängig von der sozialen und örtlichen Herkunft kostenfrei zugänglich bleiben.“
Stellungnahme des Kreisschulbeirates
Bildung dürfe nicht „zur finanziellen Frage werden, sondern muss für jeden Schüler gleichermaßen unabhängig von der sozialen und örtlichen Herkunft kostenfrei zugänglich bleiben“, heißt es in der Stellungnahme des KSB weiter. Das gebe das Schulgesetz mitnichten her, antwortet die Kreisverwaltung dazu – die Ausgestaltung des Schülerverkehrs, auch die finanzielle, obliege dem Landkreis als Träger. Der KSB befürchtet zudem, dass wieder mehr Elterntaxis unterwegs seien und Kinder nicht früh genug mit dem ÖPNV vertraut gemacht würden.
Kritik vom Kreisschulbeirat: Einsparungen und Aufwendungen nicht beziffert
Anett Kehling, Vorsitzende des KSB, kritisiert zudem, dass mögliche Einsparungen durch Änderungen beim Schülerspezialverkehr nicht beziffert worden seien. Wenn nur zehn Prozent weniger Schüler Anspruch auf Schülerspezialverkehr hätten, ergäbe sich eine Ersparnis von 720.000 Euro, rechnet sie vor – genau die in Rede stehende Summer durch Erhebung eines Elternbeitrags. Es sei in der Tat nicht absehbar, welche Anträge auf Schülerspezialverkehr nach den Änderungen eingehen werden, sagte Kreiskämmerer Stefan Klein im Kreisausschuss auf eine entsprechende Nachfrage von Andrea Lübcke (Grüne). Daher lasse sich auch keine Prognose über die zu erwartende Einsparung abgeben.
Anett Kehling merkt außerdem an, dass der Verwaltungsaufwand für die Wiedereinführung des Elternbeitrages ebenfalls nicht eingerechnet worden sei. Auch dies bestätigt die Verwaltung: Es stehe „außer Frage, dass die Einführung des Eigenanteils zu einem Verwaltungsmehraufwand und evtl. zu zusätzlichen Stellenanteilen führen wird“, heißt es in der Beschlussvorlage. Doch in welcher Höhe, könne „zum jetzigen Zeitpunkt nicht bezifferbar und abschließend eingeschätzt werden“.
Nun fordert nicht nur der KSB eine Überprüfung der geplanten Maßnahme. „Bevor die finanzielle Last der Haushaltsdefizite des LDS auf die Familien umgelegt wird, müssen aus Sicht des KSB alle anderen Einsparpotenziale geprüft und umgesetzt werden“, heißt es in der Stellungnahme des Kreisschulbeirates. Neben der Schülerbeförderung leiste sich der Landkreis freiwillige Ausgaben in Höhe von ca. 13 Millionen Euro, zählt der KSB auf: „z.B. für kostenfreie Menstruationsartikel an Schulen und in der Kreisverwaltung, Förderung in Kinder-, Jugend- und Sozialbereichen, Zuschüsse und Förderungen für Kultur, Sport, Volkshochschule, ausgewählte Musikschulen u.v.m.“ Der KSB fordert zudem die Möglichkeit, den Schülertransport flexibel nutzen zu können, z.B. nur in den Wintermonaten.
„Die Argumente der Elternvertretung waren eine wichtige Grundlage für unsere Entscheidung“, teilt die Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS mit. Sie fordert die Verwaltung auf, weitere Einsparmöglichkeiten „gründlich zu prüfen, bevor Familien zusätzlich belastet werden“. Man sehe „größere Einsparpotentiale durch eine verbesserte Routenplanung beim Schülerspezialverkehr und die Einführung eines Controllings“, hatte die Fraktion in ihrer Stellungnahme zum Haushalt Im Januar vorgeschlagen. „Durch eine geänderte Schülerbeförderungssatzung, die in bestimmten Fällen den Anspruch auf Beförderung von der Wohnung nur bis zum Bahnhof festlegt, können Kosten deutlich reduziert werden.“ Dies könne in der Arbeitsgruppe Schülerbeförderungssatzung diskutiert werden, lautete die Stellungnahme des Landrates dazu, ein Ergebnis dazu ist nicht bekannt. Weitere Ideen der Fraktion wie der Einsatz von Rufbussen stünden dem regelmäßigen Charakter der Schülerbeförderung indes entgegen, so der Landrat.
Wird die Debatte ums Sparen neu entfacht?
Die Debatte um den Elternbeitrag zum Schülerverkehr könnte die Diskussion um Sparmaßnahmen im Landkreis erneut entfachen. Eigentlich erscheint das genannte Einsparpotenzial in Höhe von 700.000 Euro zunächst ganz praktikabel: Fast nirgendwo sonst kann bei den freiwilligen Leistungen so viel auf einmal eingespart werden: Der Kulturtopf etwa ist rund 370.000 Euro groß plus rund 100.000 Euro für Aquamediale, Spektrale und Kunst am Bau sowie rund 47.000 Euro für die Sorben-/Wendenförderung, die Sportförderung beträgt rund 440.000 Euro. Wollte man bei diesen Positionen sparen, würde – wiederum für viele sicher schmerzhaft – entweder gleichmäßig bei allen gespart oder bei einzelnen Projekten, und man wäre noch immer nicht bei 700.000 Euro. In anderen Bereichen wie Jugendarbeit und Wohlfahrtspflege dürften Sparanstrengungen ebenso unpopulär sein. Derweil liegen die Kosten für Volkshochschule und Kreismusikschule bei rund 3,2 Millionen Euro. Durch höhere Eigenbeiträge mehr Kostendeckung herzustellen, ist ein weiterer Vorschlag, der nach Angaben der Kreisverwaltung in diesem Jahr geprüft werden solle.
„Ich war nicht dabei, aber da hätte rechtzeitig die Notbremse gezogen werden müssen.“
Sven Herzberger, Landrat, über die AG zur Schülerbeförderungssatzung
Während der Bildungsausschuss den Entwurf der neuen Schülerbeförderungssatzung samt Elternbeitrag mehrheitlich zur Beschlussfassung empfahl, bekam dieser im Finanz- und Kreisausschuss keine Mehrheit: Die Vertreter der Fraktion SPD/Grüne/Linke/WfKW/BIS sowie der AfD-Fraktion stimmten dagegen. Landrat Sven Herzberger berief sich im Kreisausschuss auf das Ergebnis der Arbeitsgruppe, die laut Beschlussvorlage einen „konsensualen Entwurf einer neuen Schülerbeförderungssatzung erarbeitet“ habe. „Ich war nicht dabei, aber da hätte rechtzeitig die Notbremse gezogen werden müssen“, sagte Sven Herzberger. Die KSB-Vorsitzende Anett Kehling berichtet hingegen aus der Arbeitsgruppe, dass es dort keine Abstimmung gegeben habe. Sie habe von Anfang an dagegen argumentiert. Ein Gremium aus fünf Abgeordneten könne aus ihrer Sicht kein verbindliches Papier erarbeiten, zumal der Kreisschulbeirat erst danach angehört wurde und sich klar gegen die Vorschläge positionierte.
Landrat Sven Herzberger verwies im Kreisausschuss darauf, dass alle neuen Maßnahmen der Schülerbeförderungssatzung im Zusammenhang betrachtet werden müssten: Erleichterungen beim Wechselmodell bräuchten schließlich eine Gegenfinanzierung. Doch noch ist offenbar unklar, welche konkrete Summe durch die Neuerungen insgesamt eingespart werden kann, wenn weder wegfallende Kosten durch verminderten Schülerspezialverkehr noch anfallende Stellenanteile kalkuliert wurden.
Für den Landrat stellt sich nun die Frage, ob er die Beschlussvorlage für die Kreistagssitzung zurückzieht, wenn eine Zustimmung mehr als unsicher ist. Er wolle eine gemeinsame Lösung finden, sagte er im Kreisausschuss, aber dann „können wir es für das kommende Schuljahr nicht mehr umsetzen, und die Herausforderungen im Wechselmodell bleiben“. Wichtig schien ihm zu betonen, „dass Eltern, die sich das nicht leisten könnten, auch nichts zahlen“ - das sei gesetzlich geregelt. „Es ist also auch etwas eine Wohlstandsdiskussion“, sagte er.