Die Einwohnerbefragung zum Königspark wird nicht wiederholt. Das haben die Stadtverordneten von Königs Wusterhausen gestern beschlossen. Warum Bürgerbeteiligung trotzdem wichtig bleibt: ein Blick in andere Kommunen.
Von Uwe Rada
Selbst in Berlin dürfte manch einer ungläubig auf das schauen, was in Königs Wusterhausen mit seinen knapp 36.000 Einwohnern derzeit geplant wird. 2.500 Wohnungen sollen im Norden des Landkreises Dahme-Spreewald entstehen. Königspark heißt das Quartier an der A 10, in dem einmal 5.000 neue Bewohnerinnen und Bewohner leben sollen. Es wäre ein Wachstum der Bevölkerung um fast 15 Prozent auf einen Schlag.
Ist das notwendig oder schon größenwahnsinnig? Zum Vergleich: Viele der neuen Wohnquartiere, die im wachsenden Berlin geplant werden, liegen in der Dimension weit unter dem Königspark. Auf dem ehemaligen Güterbahnhof Köpenick sollen 1.800 Wohnungen entstehen, in Pankow sind es 2.000. In Lichterfelde-Süd, wo mehr als zehn Jahre um einen Bebauungsplan gerungen wurde, entstehen 2.500 Wohnungen, also genauso viele wie in der Speckgürtelstadt Königs Wusterhausen.
Um einen B-Plan muss die Bürgermeisterin von KW, Michaela Wiezorek (parteilos), nicht ringen, sie hat ihn bereits in der Schublade. Schon Anfang der neunziger Jahre war er beschlossen worden – als planerische Grundlage für die Entstehung eines neuen Gewerbegebiets. Weil KW aber immer mehr Zuzug zu verzeichnen hat, soll nun ein gemischtes Quartier aus Arbeiten und Wohnen entstehen. Wo die Nachfrage wächst, soll das Angebot steigen – und zur Not umgeplant werden.
Quartiersentwicklung im Königspark, Blick aus Diepensee. Grafik: DLE
Würde aber im Gegenzug die Nachfrage sinken, wenn das Angebot ausbliebe? Diese Frage stellten sich Anfang Oktober 2024 die Grünen in KW – und luden ein zu einer Veranstaltung in den Saal der Kavalierhäuser. Über Wachstumsschmerzen sollte geredet werden und auch über die Frage, wann der kleinstädtische Charakter von Königs Wusterhausen verloren geht. Denn der Königspark wirft in der Stadt viele Fragen auf, auch wenn er zuletzt eine wichtige Hürde genommen hat. In einer Bürgerbefragung sprachen sich im August 2024 58 Prozent der Teilnehmenden für das Mischquartier aus. Für ein Gewerbegebiet könnten sich 42 Prozent erwärmen.
An der Briefwahl hatten sich 13.377 Bewohnerinnen und Bewohner beteiligt, hieß es aus dem Rathaus, das seien 37,3 Prozent der Wahlberechtigten. „Ich freue mich über den großen Zuspruch und das Interesse der Bürger an der Stadt“, sagte Bürgermeisterin Wiezorek anschließend der Märkischen Oderzeitung. Das Ergebnis diene als Grundlage und Arbeitsauftrag für Verwaltung und Stadtverordnete.
Regionalentwicklung entlang von Achsen
Mit dabei bei der Veranstaltung im Oktober war auch die Stadtplanerin und Forscherin Cordelia Polinna. Für sie ging es dabei auch um ein Thema, das über den Königspark hinausreicht. „Wie kann sich Königs Wusterhausen im Spannungsfeld zwischen Berlin und der Lausitz aufstellen?“, fragt sie. Denn es sei schon bemerkenswert, wenn im Speckgürtel Wohnungsbau in dieser Größenordnung geplant werde und weiter südlich noch immer Wohnungen abgerissen würden.
Auch in der Potsdamer Staatskanzlei wird dieses Thema heiß diskutiert. Mit der Landesentwicklungsplanung Hauptstadtregion wurde bereits 2019 ein Innovationskorridor Berlin-Lausitz ins Leben gerufen, an dem nicht nur KW, sondern auch Lübben und Cottbus liegen. Gleichzeitig wurde in einer „Regionalentwicklungsstrategie“ beschlossen, Fördergelder im Land verstärkt entlang dieser Entwicklungsachsen einzusetzen. Statt „dezentraler Konzentration“ und „Stärken stärken“ lautet das Leitbild seitdem „Stärken verbinden“.
Anders als in den Brandenburger Regionen, die zwischen den Korridoren liegen, ist das Wachstum in KW also nicht nur planerisch erlaubt, sondern auch politisch erwünscht. Aber ist es auch verträglich?
Michael Gleissner aus dem Ortsteil Diepensee meint: Nein. Bereits im November 2023 hatte Gleissner auf der Plattform openpetition.de eine Petition gegen den Königspark gestartet. „Nein zur Retortenstadt im Königspark“, hieß es da. „Der Profit von Bodenspekulanten sollte nicht über den Interessen von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Königs Wusterhausen stehen.“ Bis April 2024 haben 1.354 Menschen die Petition unterzeichnet. Sie fürchten, dass der Königspark zu einer reinen Schlafstadt für Berlinerinnen und Berliner wird.
„Wenn man den täglichen Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsflächen bis 2050 auf Netto-Null bringen will, kann man solche großen Projekte im ländlichen Raum nicht realisieren.“
Cordelia Polinna, Stadtplanerin
Auch Cordelia Polinna sieht den Königspark kritisch und sagt, er sei ein „Investorenprojekt, das in vieler Hinsicht nicht mehr zeitgemäß ist“. Gleichzeitig kann sie auch die Bürgermeisterin verstehen, die sich für ein gemischtes Quartier und gegen ein Gewerbegebiet einsetzt. Die Größe des Königsparks mit seiner Fläche von 56 Hektar hält sie allerdings für völlig überdimensioniert. „Wenn man den täglichen Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsflächen bis 2050 auf Netto-Null bringen will, kann man solche großen Projekte im ländlichen Raum nicht realisieren“, sagt sie. Hinzu komme das Problem mit der Verkehrsanbindung. „Nur mit dem Bus wird man das nicht schaffen.“
Bürgerbeteiligung entscheidend
Wachstumsschmerzen gibt es nicht nur im Süden des Speckgürtels, sondern auch im Norden. Seitdem es die Achse Berlin-Basdorf-Wandlitz in den Landesentwicklungsplan geschafft hat, darf auch Wandlitz weiterwachsen. Schon jetzt ist die Zahl der Bewohner von 14.000 auf 24.000 gestiegen. Planungen aus dem Rathaus zufolge soll die Gemeinde mit ihren neun Ortsteilen sogar auf 32.000 Einwohnerinnen und Einwohner wachsen dürfen.
Auch in Wandlitz wird deshalb kräftig gebaut, wenn auch in anderen Maßstäben als in Königs Wusterhausen. In den „Basdorfer Gärten“ entstehen derzeit 250 Wohnungen, auf dem Gelände eines historischen Bauernhofes gegenüber dem Barnim Panorama sollen mehrgeschossige Neubauten errichtet werden, an der Landesstraße 100 ist das letzte historische Chausseehaus abgerissen worden. Entsprechend groß ist der Unmut der Bewohner, wie im Mai 2024 in der Sendung „Wir wollen reden“ im RBB zu sehen war.
Eine Anwohnerin fragt: „Sind die Neuen rausgezogen, weil sie die Stadt mit sich nehmen wollten oder wegen des dörflichen Flairs?“ Das aber gehe so langsam verloren. „Das ist keine behutsame Entwicklung“, sagt ein Architekt, der vor vielen Jahren nach Wandlitz gezogen ist und die Verwaltung dafür kritisiert, Investorenprojekte ohne Auflagen zu genehmigen. Oliver Borchert, der Bürgermeister der Freien Wählergemeinschaft Wandlitz, entgegnet: „Ein Investor hat das Recht, Geld verdienen zu wollen. Um Baurechte einschränken zu können, brauchen wir gute Begründungen. Und die sind nicht da.“
Ländliches Flair adé? Kritiker befürchten dies angesichts rasanter Stadtenrtwicklungen in Brandenburg, hier das Areal Königspark. Foto: Dörthe Ziemer
Als „Schlichter“ bei diesem Aufeinandertreffen verschiedener Positionen vor laufender Kamera fungierte Stefan Schneider vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu). Er sagt: „Wir versuchen mit den Gemeinden zu reden und ihnen zu raten, Zuzug nicht nur einfach passieren zu lassen, sondern ihn zu gestalten.“
„Normalerweise gibt es eine Beteiligung in der Zeit, in der die B-Pläne entstehen. Aber da ist schon viel entschieden. Man müsste früher drüber reden, welche Vorstellungen man hat und die Zukunft aussehen soll.“
Stefan Schneider, Deutsches Institut für Urbanistik
Wie aber kann dieser Zuzug gestaltet werden? Von zentraler Bedeutung für Schneider ist in diesem Zusammenhang die Bürgerbeteiligung. „Man muss mit den Menschen reden, und zwar rechtzeitig, nicht erst, wenn die Pläne auf dem Tisch liegen“, sagt er. „Normalerweise gibt es eine Beteiligung in der Zeit, in der die B-Pläne entstehen. Aber da ist schon viel entschieden. Man müsste früher drüber reden, welche Vorstellungen man hat und die Zukunft aussehen soll.“
Tatsächlich fühlen sich in Brandenburg viele Menschen nicht ausreichend beteiligt, wenn es um die Mitsprache bei Bauprojekten in ihren Gemeinden geht. In einem Online-Voting während der Sendung aus Wandlitz antworteten auf die Frage, ob sie sich genügend eingebunden sähen, 88 Prozent mit Nein und nur 12 Prozent mit Ja.
Planung braucht Ressourcen
In Angermünde werden die Bürgerinnen und Bürger schon beteiligt, bevor es an die Planung geht. Denn auch Angermünde will wachsen. Zwar liegt die 14.000 Einwohner-Stadt als Tor zum Nationalpark Unteres Odertal und dem Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin nicht im Speckgürtel. Doch der Zuzug aus Berlin hat inzwischen nicht nur Eberswalde erreicht, sondern auch die Uckermark. Am Mündesee soll deshalb ein neues „Gartenquartier“ entstehen.
„Wir haben zwar ein städtebauliches Konzept, das auch den Neubau einer Grundschule vorsieht, aber noch keinen Aufstellungsbeschluss“, sagt der Leiter des Stadtplanungsamtes, Peter Berenz. „Dennoch haben wir damit begonnen, die Bürgerinnen und Bürger zu befragen, was sie sich vom neuen Quartier erwarten.“ Um das herauszufinden hat die Stadt einen Planungsbeirat einberufen, der Empfehlungen an das Amt aussprechen soll. Neun Mitglieder des Beirats wurden dabei durch das Los bestimmt. Neben diesen Vertreterinnen und Vertretern der Bürgerschaft kommen noch acht Vertreter von Institutionen, Politik und Vereinen.
Dass Angermünde in der Stadtplanung innovative Wege geht, ist nichts Neues. Zusammen mit dem „Netzwerk Zukunftsorte“ untersucht die Stadt seit längerem, wie Kommunen in Brandenburg leere Grundstücke einer neuen Nutzung zuführen können. Konzeptverfahren heißt das Instrument, mit dem nicht nur zahlungskräftige Investoren zum Zug kommen können. Damit werden jene „guten Begründungen“ gesucht, von denen der Bürgermeister von Wandlitz behauptet, es gäbe sie nicht.
Doch ohne Förderung vom Land könnte sich auch Angermünde die neuen Wege der Beteiligung nicht leisten. Für das „Gartenquartier“ hat die Stadt einen Antrag beim Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung MIL eingereicht – und zusammen mit sieben anderen „Modellstädten“ im Rahmen der Landesinitiative „Meine Stadt der Zukunft“ den Zuschlag bekommen. Mit den zusätzlichen Mitteln konnte die Stadt das Beteiligungsverfahren an ein externes Büro vergeben.
Mehr Beteiligung schafft mehr Qualität und Identität. Doch sie ist auch aufwändig. Peter Berenz weiß, dass viele Gemeinden und Städten gar nicht die Ressourcen haben, das umzusetzen, was sie gerne wollen. Und dann ist da noch der Fachkräftemangel. „Wir haben selbst ein Riesenproblem, offene Stellen zu besetzen“, betont Berenz. Dabei sind professionell arbeitende Planungsämter ein Schlüssel für ein geordnetes Wachstum – und für die notwendige Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern. „Manche Verwaltungen haben da nicht das notwendige Gespür dafür“, sagt Berenz.
Dennoch will Angermünde nicht unendlich wachsen. „Wir haben uns eine Grenze gesetzt“, sagt Berenz. Das Integrierte Stadtentwicklungskonzept sieht vor, dass bei 18.000 erstmal Schluss ist. Auch Einfamilienhäuser sollen nicht gebaut werden. „Unsere Ressource ist die Natur“, begründet Berenz seine Überzeugung, keine weiteren Flächen versiegeln zu wollen. Statt Wachstum ohne Grenzen werden eher die Grenzen des Wachstums betont.
In Königs Wusterhausen könnte der Königspark dagegen erst der Anfang sein. Ein Stadtentwicklungskonzept von 2017, das bislang nicht angepasst worden ist, sieht vor, dass sich die Einwohnerzahl 2030 bei etwa 35.000 einpendeln wird. Tatsächlich zählt KW bereits jetzt 38.500. Die aktuelle Bevölkerungsvorausschätzung des Landesamtes für Bauen und Verkehr aus dem Jahre 2019 prognostiziert für KW im Jahr 2030 41.500 Einwohnerinnen und Einwohner. Mit dem Königspark wäre diese Marke weit übertroffen.
INFO: Kurzer Abriss zum Königspark
1992: Inkrafttreten des Bebauungsplans 02/92
Ende 1990er-Jahre: Straßenbau durch den damaligen Eigentümer
2014 bis 2020: mehrere Wechsel der Grundstückseigentümer
2020: Beauftragung der DLE Land Development GmbH
11. Oktober 2023: Selbstbindungsbeschluss zum städtebaulichen Rahmenplan Königspark
27. November 2023:Rahmenvereinbarung zur städtebaulichen Entwicklung des Projekts „Königspark“ als aus Wohn- und Gewerbenutzung bestehendes Quartier
19. Februar 2024: Beschluss einer Einwohnerbefragung zum Königspark
8 April 2024: Start der Online-Petition mit 1.354 Unterschriften, davon 1.163 aus Königs Wusterhausen. Rund zwei Drittel der Unterzeichnenden gaben an, von dem Vorhaben direkt oder möglicherweise künftig betroffen zu sein.
14. Oktober 2024:Information über das Ergebnis der Einwohnerbefragung: 13.377 Befragungsbriefe sind im Rathaus eingegangen, von den als gültig zu gelassenen Teilnehmenden votierten 58 Prozent für die zuvor beschlossene Planung.
9. Dezember 2024: Ablehnung einer Petition zur Wiederholung der Einwohnerbefragung
Informationen der Stadtverwaltung zum Projekt: hier
Informationen des Investors zum Projekt: hier