Hunger auf Kultur

Die Kunst des guten Lebens ist das Motto von Kulturland Brandenburg im Jahr 2022, das heute in Beelitz eröffnet wird. Es geht nicht nur um Essen und Trinken, sondern auch um: Nachhaltigkeit. Zahlreiche Projekte aus Dahme-Spreewald und drumherum sind dabei.

 

Von Uwe Rada

 

Brandenburg kann auch anders. Sinnliche Genüsse zum Beispiel. Am Nachmittag ein Besuch in der barocken Stiftskirche Sankt Marien in Neuzelle, in der die Mönche nach der Pandemie wieder mehrmals am Tag ihre gregorianischen Gesänge darbringen. Ein Genuss für das Ohr. Dann hinunter zum neu eröffneten barocken Klostergarten zwischen Klosteranlage und Oderwiesen. Ein Genuss fürs Auge. Und anschließend zum Abendessen in eines des besten Restaurants Brandenburgs, die Wilde Klosterküche. Ein Genuss für den Gaumen.

 

In der Wilden Klosterküche, die zum Klosterhotel Neuzelle gehört, bereitet Küchenchef Manuel Bunke nicht nur erlesene Gerichte aus regionalen Zutaten zu. Er schenkt auch den „Grauweiß“ aus, eine Mischung aus Grauburgunder und Weißburgunder, deren Reben auf dem Tagebau Welzow-Süd reifen und vom Weingut Wolkenberg gekeltert werden. Wolkenberg ist der Name des Dorfs, das für den Tagebau einst weggebaggert wurde. Bergbau und Weinbau in unmittelbarer Nachbarschaft. Nicht überall, wo etwas endet, entsteht eine Wüste.

 

Kloster Neuzelle. Foto: Dörthe Ziemer

(Barocke) Lebenskunst...

Die barocke Klosterkirche in Neuzelle. Foto: Dörthe Ziemer

... im Kloster Neuzelle.

Der Barockgarten im Kloster Neuzelle. Foto: Dörthe Ziemer

Fotos: Dörthe Ziemer

 

„Die Kunst in Brandenburg zu leben“ lautet das Motto von Kulturland Brandenburg 2022, und natürlich ist auch Neuzelle mit dem erweiterten Barockgarten dabei. Denn das ursprüngliche Motto des Themenjahrs „Essen und Trinken“ habe sich bald als zu eng herausgestellt, erklärte Projektmanager Christian Müller-Lorenz bei der Auftaktpressekonferenz. Also wurde das Thema erweitert auf die Lebenskunst und damit auch, so Müller-Lorenz, auf die Lebenskünstlerinnen und Lebenskünstler in der Mark. Dazu zählen nicht nur Manuel Bunke von der Wilden Klosterküche und die Betreiber des Weinguts Wolkenberg, sondern auch die singenden Mönche und die Landschaftsarchitekten, die den Neuzeller Barockgarten wieder wachgeküsst haben. Brandenburg ist eben nicht nur das Land, in dem es „so einfach“ sein kann, wie das Landesmarketing betont. Es ist auch ein Land der Sinnesfreuden. 

 

Gleichwohl ziehen sich Essen und Trinken wie ein roter Faden durch das Programm. Manja Schüle etwa, Brandenburgs Kulturministerin, nannte bei der Vorstellung des Kulturlandjahres die Teltower Rübchen oder den Spargelanbau in Beelitz, das 2022 die Landesgartenschau in Brandenburg ausrichtet. Aber passt das wirklich zusammen, Brandenburg und Lebenskunst? Oder ist das nur eine Marketing-Behauptung, die die oft zitierte kulinarische Mittelmäßigkeit unter den Teppich kehrt, sieht man einmal von Ausreißern nach oben wie der Klosterküche in Neuzelle oder dem Weingut Wolkenberg ab?

 

Spargel. Foto: Dörthe Ziemer

Der Spargel als kulinarisches Aushängeschild Brandenburgs. Oder gibt es noch mehr? Foto: Dörthe Ziemer

 

Katja Melzer weiß um diese Ambivalenzen und kennt auch die Fallen, die sich dabei auftun. Die neue Geschäftsführerin der Gesellschaft Kultur und Geschichte, unter deren Dach sich sowohl Kulturland Brandenburg als auch das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam zusammengefunden haben, sagte bei der Vorstellung des Kulturlandjahres etwas diplomatisch: „Für Lebenskunst ist Brandenburg nicht gerade bekannt, inzwischen aber gibt es viele neue Initiativen.“

 

Reisen und Speisen

Eine davon ist sogar länderübergreifend. „Reisen und Speisen“ heißt ein Kooperationsprojekt, an dem mehrere Vereine und Initiativen in Halbe, Lübbenau, Raddusch und Cottbus sowie der Kulturzug Berlin-Wrocław beteiligt sind. Denn Speisen in Brandenburg sei auch immer mit dem Reisen verbunden, heißt es in der Projektbeschreibung: „Brandenburger Bauern liefern ihre Erzeugnisse in die Hauptstadt – früher mit dem Kahn oder der Bahn, heute mit dem Lieferwagen. Besucher nehmen vom Land kulinarische Produkte mit, während sie hier wandern, radeln oder paddeln.“ Und vor allem: „Was wäre Reisen ohne Speisen, also ohne Reiseproviant? Und wo ließe sich der Proviant besser genießen, teilen und verdauen als in der Bahn?“

 

In der Bahn, genauer gesagt im Kulturzug von Berlin über Halbe nach Breslau, startet deshalb das Projekt „Reisen und Speisen“ am 17. Juni. Mit an Bord werden nicht nur Brandenburgs Infrastrukturminister Guido Beermann sein, sondern auch der tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš. Er wird aus seinem Buch „Gebrauchsanweisung für Zugfahrten“ lesen.

 

Weitere Stationen von „Reisen und Speisen“ werden eine Ausstellung und eine Theaterperformance „Warten auf den Zug“ im Großenhainer Bahnhof in Cottbus sein sowie das Projekt „Kochen und Upcycling“ im Kulturzentrum Gleis 3 in Lübbenau. In Koch-Workshops mit ökologisch-nachhaltigen Produkten soll die Zubereitung von Lebenskunst erprobt und gleichzeitig auf das Thema „Bahn und Spreewaldgurke“ geschaut werden. Schließlich soll es ein Reisekochbuch geben, das 15 typische Rezepte für Reiseproviant enthält.

 

Lebenskunst und Corona

Mit dem Kochbuch legt „Reisen und Speisen“ auch den Finger in eine Wunde, die die Freude an der Brandenburger Lebenskunst etwas trübt. Mit der Corona-Pandemie sind zahlreiche gastronomische Betriebe in Brandenburg in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, manche mussten sogar aufgeben. Zudem hatten die Lockdowns 2020 und 2021 die Kunst, in Brandenburg zu leben, vom halböffentlichen Raum eines Restaurants in die Privatsphäre der eigenen Küche gedrängt.

 

Aber auch in dieser Situation erwies sich das Land als innovativ, wie eine Kampagne des Tourismusvereins Seenland Oder-Spree zeigt. „Picknick im Seenland“ heißt sie und präsentiert 36 Anbieterinnen und Anbieter von Picknick-Angeboten in den Landkreisen Oder-Spree und Märkisch-Oderland und in Frankfurt (Oder). Mit dabei sind zum Beispiel waren das Forsthaus Siehdichum im Schlaubetal, das Fährhaus Woltersdorf und natürlich auch die Wilde Klosterküche in Neuzelle.

 

„Es sind mehr als 1000 Picknick-Körbe verkauft worden, und wir haben mit der Aktion auch Einheimische erreicht“, bilanzierte Seenland-Geschäftsführerin Ellen Rußig die Kampagne in der Saison 2021, für die der Verein den pro agro-Marketingpreis in der Kategorie Land- und Naturtourismus bekommen hatte. Auch 2022 wird die Kampagne fortgesetzt. Das Pausenbrot gehört inzwischen zur Brandenburger Lebenskunst – nur, dass es nicht immer mit Jagdwurst belegt ist, sondern auch mal mit einem veganen Aufstrich.

 

Den Trend zum bewussten und nichtstationären Essen hat auch Kulturland aufgegriffen, zum Beispiel in Werder. Dort plant der Ernährungsrat Brandenburg ein Food-Festival unter der Überschrift „Vom Acker auf den Teller“. Man habe „bewusst die in der heutigen Zeit verbreitete Form des Essen-To-Go gewählt“, heißt es beim Ernährungsrat, „um ein Nachdenken über nachhaltige Produktion anzuregen“. Geplant ist eine „essbare“ Ausstellung entstanden, um Produkte innovativer Betriebe der Region sichtbar zu machen. So lande „grünes Wissen auf Ihrer Picknickdecke“. Beginn ist am 8. Oktober 2022.

 

Keine kulinarische Wüste mehr

Vielleicht muss an dieser Stelle noch einmal an einen Aufreger erinnert werden, der vor fast zwanzig Jahren Brandenburg auf der Skala der Lebenslust und der kulinarischen Künste ganz am unteren Ende der Skala Deutschlands verortet hatte. In einem Aufsatz hatte Ulf Matthiesen, Professor am Leibnitz-Institut für Regionalforschung und Strukturplanung in Erkner, die Mark als „kulinarische Wüste“ bezeichnet.

 

Wo werde die Lust des gemeinen Touristen aus Berlin auf aromatischen Käse, anständige Wurst, Salate aus dem Bauerngarten und ein vernünftiges brandenburgisches Bier zu fairen Preisen befriedigt?, hatte Matthiesen gefragt und zugleich die niederschmetternde Antwort gegeben: „Nirgends.“ Lediglich den Besuchern mit dickem Portemonnaie sei ein kulinarischer Genuss vorbehalten – in hochpreisigen „kulinarischen Ufos“ im märkischen Sand. Die breite Masse müsse darben und lasse sich mit Chinapfanne und Bratwurst abspeisen.

 

Ein Aufschrei ging damals durchs Land, was wohl bedeutete, dass sich der ein oder andere ertappt gefühlt hatte. Doch der Finger, den Ulf Mattheisen 2003 in die Wunde gelegt hatte, berührte nicht nur das damals magere kulinarische Angebot, sondern auch die Nachfrage nach kulinarischen Oasen. Nicht nur aus Berlin, sondern auch aus der Mark.

 

Regional als Lebenskunst

Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht. So in etwa lautet bis heute noch vielerorts das Image der Mark. In Lübben ist es das Motto, unter dem die „Spektrale“, das Kunstfest im Spreewald, nach zwanzig Jahren an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt. Mit Kunstwerken von über 60 Künstlerinnen und Künstlern, verschiedenen Ausstellungen und Veranstaltungen in drei verschiedenen Städten feiert die „Spektrale“ die zeitgenössische Bildende Kunst in Brandenburg. Das Motto ist dabei auch eine Metapher für die verschiedenen Welten von Eingesessenen und den Neuankömmlingen im traditionellen Einwandererland Brandenburg.

 

Werke der Spektrale:

Festtafel – Lebensart heute von Beate Bolender. Foto: Dörthe ZiemerFesttafel von Beate Bolender.

Wortspiegel von Kerstin Bragenitz. Foto: Dörthe Ziemer

Wortspiegel von Kerstin Bragenitz.

Verhältnisse von Anna Grunemann. Foto: Dörthe Ziemer

Verhältnisse von Anna Grunemann.

 

Brandenburgs Lebenskunst speist sich also auch von den Einflüssen, die von außen kommen. Gleichzeitig gibt es eine Rückbesinnung auf das Regionale, dessen Fehlen Matthiesen vor zwanzig Jahren noch wortreich beklagt hatte. Inzwischen aber hat es sich längst etabliert. Zum Beispiel im Schlaubetal. Dort gibt es seit 20 Jahren den so genannten Schlaubetalteller. Frisch und regional sind die Zutaten des jeweiligen Gerichts der Restaurants, die sich an der Kampagne beteiligen.

 

Regional geht es auch im Oderbruch zu. Dort präsentiert das Oderbruchmuseum in Altranft die Ausstellung „F(r)isch und Wild – Der Geschmack des Bruchs“. Thema ist der legendäre Fischreichtum des Oderbruchs in der Vergangenheit. „Alte Fanglisten zählen von Aal bis Zwergstichling 47 heimische Arten“, heißt es zur Ausstellung. „Und Rothirsch, Wildschwein, Reh und Feldhase dominierten das Jagdwild“. Dieser Reichtum wird die Küche damals beeinflusst haben, stellt das Museum fest und versucht einen Bogen in die Gegenwart zu schlagen. „Was lässt sich heute frisch aus der Natur und aus der Landschaft des Oderbruchs auf den Tisch zaubern?“ Drei Köchinnen und Köche kreieren neue Gerichte. Die Fotografien werden als großformatige Stillleben im Speisesaal des Schlosses Altranft zu sehen sein. Die Ausstellungseröffnung am 5. November beinhaltet auch ein Buffet.

 

Süß geht es dagegen in der Lausitz zu. Die „Niederlausitzer Bienen-Story“ in Luckau wird vom 11. Juni bis 11. September 2022 in der Parkanlage der ehemaligen Landesgartenschau die historischen Hintergründe der Bienenzucht in der Region erzählen und die Bedeutung der Bienen für die Landwirtschaft im Allgemeinen und für den Obstbau im Besonderen erklären. Aber auch um das Obst geht es in Luckau. Mit dem Wandel der Jahreszeiten wird der Obstbau, u. a. auf der historischen Streuobstwiese, auch hier hautnah erlebbar. Begleitend zu diesem Projekt präsentieren regionale Künstlerinnen und Künstler eine Ausstellung im Niederlausitz-Museum Luckau.

 

Den Bogen in die unmittelbare Gegenwart schlägt schließlich das Museum des Teltow. „Fourage – Was aßen die Soldaten?“ heißt die Ausstellung, die sich der Versorgung in Kriegszeiten widmet. Im frühen 17. Jahrhundert hatten die Landsknechte Anspruch auf Sold und auf die Beute bei Plünderungen. Die ersten stehenden Regimenter wurden von den Bürgerinnen und Bürger ihrer Garnisonen verpflegt. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine organisiertere Form der Verpflegung, die auch durch die Errungenschaften der Lebensmittelindustrie voranschritt. Eröffnet wird die Ausstellung im September.

 

„Es kann so einfach sein. Da sind Wasser, Seen, Wälder und Felder gemeint, Kontemplation und Einfachheit. Aber das Leben ist nicht einfach. Das gute Leben ist eine Kunst. Lebenskunst.“
Manja Schüle, Kulturministerin

 

Heute sind die Anforderungen andere. „Lebenskunst in Zeiten der Klimakrise verlangt aber auch ein bewusstes Nachdenken über unser Konsumverhalten und unseren Lebensstil“, sagt Brandenburgs Umwelt- und Landwirtschaftsminister Axel Vogel zum Kulturlandjahr. „Hierzu gehört es auch, die spannenden Wechselbeziehungen von Alltagskultur und Agrikultur in unserem Land besser zu verstehen.“

 

So lässt sich schon zum offiziellen Auftakt des Themenjahrs am 20. Mai in Beelitz sagen, dass es eine richtige Idee war, sich nicht nur auf das Essen und Trinken zu beschränken. Lebenskunst und Brandenburg sind längst keine Gegensätze mehr, wie die Projekte der 50 Projektpartner zeigen. Dennoch muss der Zusammenhang immer wieder betont werden, meinte Kulturministerin Manja Schüle bei der Auftaktpressekonferenz: „Es kann so einfach sein. Da sind Wasser, Seen, Wälder und Felder gemeint, Kontemplation und Einfachheit“, zitierte Schüle die offizielle Landeswerbung. „Aber das Leben ist nicht einfach. Das gute Leben ist eine Kunst. Lebenskunst.“ Das Programm solle deshalb „den Hunger auf Kultur entfachen“.

 

Weitere Infos zum Kulturland-Jahr „Lebenskunst“ und alle Veranstaltungstermine gibt es hier. Das dazugehörige Magazin kann hier heruntergeladen werden.

Weitere Informationen

Veröffentlichung

Fr, 20. Mai 2022

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